Die Presse

Meister und Margarita, vom Teufel befreit

Der Papst hat Recht: Es gibt das konkrete Böse. Zum Glück für Dichter. Ohne Leibhaftig­e wär’s fad. Wie würde eine Reise in Dantes „Inferno“ohne das Monster mit drei Köpfen verlaufen?

- E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Für den obersten Hirten der römisch-katholisch­en Kirche ist es klar: Wer an das „summum bonum“glaubt, wer also in Gott das höchste Gut sieht, für den muss es auch das „summum malum“geben, die dunkle Seite der Macht. Deshalb wird es zwar biedere Atheisten, nicht aber nervöse Apokalypti­ker erstaunen, dass Papst Franziskus die Gläubigen erneut vor jedem Kontakt mit dem Teufel gewarnt und daran erinnert hat, dass Luzifer, dieser gefallene Engel, das konkrete Böse sei. „Er ist keine diffuse Sache, er ist eine Person“, sagte der Heilige Vater just in der besinnlich­en Zeit des Advents.

Der Versucher ist intelligen­ter als wir armen Sünder. Er hat viele Namen, man kann ihn nicht nur unter der sinistren Kurzwahl 666 jederzeit telepathis­ch erreichen. Theologisc­he Feinheiten aber, mit denen dieses höllische Wesen umrissen wird, sol- len hier ausgespart werden. Vielmehr reichen rein literarisc­he Gründe aus, um dem Papst bei der Personalis­ierung Satans zuzustimme­n. Religionsk­ritiker, die pauschal Gott, das Jenseits, Dämonen und selbst harmlosere Formen von Transzende­nz leugnen, tun gewiss Unrecht.

Nicht nur viele Faschingsu­mtriebe, sondern vor allem die Dichter wären arm dran ohne den Gottseibei­uns, der so manchen Roman erst lesbar macht, der sonst elende lyrische Ergüsse würzt. Besonders die Geschichte des Jesuitendr­amas wäre weniger interessan­t, wenn nicht der Teufel und all seine defekten Gehülfen ihre Hand im Spiel hätten. Weil er dort jedoch keine Person ist, sondern nur eine Allegorie, kann nicht einmal der frömmste Vatikanolo­ge gegen solch eine fiktive Begegnung mit der Finsternis sein, in der man gedanklich in einen Abgrund blickt, der gruselig zurückblic­kt.

Wie würde etwa eine Reise in Dantes „Inferno“ohne dreiköpfig­es Monster verlaufen, das ewiglich die Erzverräte­r Judas, Brutus und Cassius frisst? All die armen Verdammten müssten sich eiskalt bis in den letzten Kreis der Hölle selbst verwalten. Und Milton hätte keine packende Ratsversam­mlung im Pandämoniu­m von „Paradise Lost“geschriebe­n, wo fiese Schlachtpl­äne gegen den Himmel geschmiede­t werden, sondern ein schmales veganes Versepos: „Paradise“, weder „Lost“noch „Regained“. Aus Mangel an Antagonist­en hätte er uns vieles erspart. Goethes „Faust“wäre ohne Mephisto nicht über erste Szenen hinausgeko­mmen: Alter Gelehrter beschwört vergeblich Geister, vom Eise befreit trifft er beim Osterspazi­ergang keinen Pudel, sondern die brave Margarete. Sie weist ihn ab. Als Emeritus schreibt er fade Frankfurte­r Elegien.

Am schlimmste­n aber träfe Bulgakow die Nichtexist­enz des Leibhaftig­en: In „Meister und Margarita“gäbe es ohne ihn weder eine Passion noch ein Happy Ending für das Paar.

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