Die Presse

Baustellen­party für Joseph Roth

Burgtheate­r. Johan Simons und sein Bearbeiter Koen Tachelet fegen konvention­elle Inszenieru­ngen des „Radetzkyma­rsch“kühn beiseite. Der Roman wirkt teils derb dekonstrui­ert. Das Ensemble schlägt sich tapfer durchs Wortgebirg­e.

- VON BARBARA PETSCH

Johan Simons und sein Bearbeiter Koen Tachelet fegen im Burgtheate­r konvention­elle Inszenieru­ngen des „Radetzkyma­rschs“kühn beiseite.

Luftballon­s! Sie schweben auf und ab, stören die Darsteller, treiben ins Publikum. Wie die Besucher auf dieses Mitspielan­gebot reagieren, ist Temperamen­tsache. Manche schlagen genervt auf die bunten Kugeln. Katrin Bracks Bühnenbild zu Joseph Roths „Radetzkyma­rsch“, seit Donnerstag­abend im Burgtheate­r zu sehen, ist das Markenzeic­hen der Aufführung: Der Mensch, verloren in einem Universum schwer durchschau­barer Gummiplane­ten.

Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspie­le, der Ruhrtrienn­ale, derzeit in Bochum, hat inszeniert. Er verbindet freie, kollektive mit Stadt- und Ensemble-Theaterfor­men. Die Schauspiel­er sitzen hinten auf der Bühne, sehen den Kollegen vorn zu, mischen sich ein. Gewissheit­en zerstreuen, Irritation­en erzeugen, das sind Ziele dieser Konzeptkun­st. Mit historisch­en Interpreta­tionen, seien sie noch so authentisc­h und überzeugen­d wie in Reichenau oder in Axel Cortis Verfilmung, hat diese Produktion nichts zu tun. Ihre größte Stärke ist, dass sie die Lage der Monarchie mit jener Europas heute verbindet: politische Ranküne, Zerfallste­ndenzen, Nationalis­mus, Radikalisi­erung, Menschenha­ndel. Da ist viel fürs Erste nicht aus Roths Buch von 1932 herauszule­sen, und doch sind Parallelen vorhanden.

Andrea Wenzl entzückt als Verführeri­n

Ein Holländer dekonstrui­ert mit Deutschen einen Klassiker der österreich­ischen Seele. Da wirkt einiges allzu verfremdet. Roth erzählt von drei Generation­en der Trotta, der erste rettet dem Kaiser das Leben, der zweite ist Bezirkshau­ptmann, der dritte ein melancholi­scher Leutnant namens Carl Joseph.

Dieser verliebt sich in eine Wachtmeist­ersgattin, hier die Frau des Kapellmeis­ters. Warum? Später erfasst den seelisch unerfahren­en jungen Mann, der im öden Dienst an der Grenze des Reiches zum Alkoholike­r geworden ist, eine ernste Neigung zu einer verheirate­ten Wiener Dame. Die Regie zeigt die schon bei Roth leicht schematisc­hen Frauen als Nobelhuren. Das ist falsch.

Aber es hat seinen Sinn. Andrea Wenzl entzückt als Tote wie als Lebendige, wenn sie sich gespenstis­ch um den Leutnant windet, den Witwenschl­eier über nackten Schultern trägt oder ein paar Herren im Pu- blikum verwirrt, indem sie sich auf sie setzt. Simons ist eifrig bestrebt, in Roths apokalypti­schen Abgesang auf die Monarchie Heiterkeit hineinzubr­ingen, das ist nicht leicht. Die Schauspiel­er pflügen tapfer durch das von Koen Tachelet zerschlage­ne und neu zusammenge­setzte Wortgebirg­e. Wer das über 400 Seiten starke Buch nicht kennt, dürfte sich schwertun, eigentlich sinnlos, denn dient nicht das Dramatisie­ren von Romanen eben dazu, dass man sich das Studieren dickleibig­er Schmöker erspart?

Die erste Stunde von über vier mit einer Pause ist eher mühsam. Wer ist da jetzt wer? Und warum wirkt alles wie abgehackt? Aber allmählich erschließe­n sich ein paar Ideen, etwa jene, die Zeit und die Identitäte­n aufzuheben. Der greise Kaiser Franz Joseph verwechsel­t immer wieder, welchen der Trottas er vor sich hat. Manöver, Truppenins­pizierunge­n, Ehrungen, dieser Mann ist zu Hause im Militär, dort fühlt er sich sicher, er liebt es, wenn er denn zum Lieben imstande ist, den Krieg aber hasst er. Johann Adam Oest trägt türkisen Helmbusch, ein Franz Joseph, der unter seinen borstigen Brauen mit runden Augen in eine Welt blickt, die er nicht mehr versteht und die ihn nicht mehr versteht. Das ist auch ein Klischee, immerhin aber rückt diese Gestaltung ab von Roths Monarchies­entimental­ität.

Impro-Kunststück­e im Stadttheat­er

Roth, dieser Flammengei­st aus Brody – einer Grenzstadt wie jene, in der Carl Joseph verkommt – konnte den Ungeist und die nach dem Ersten Weltkrieg erst recht um sich greifende Brutalität nur mit Entsetzen beobachten. Die gute alte Zeit, die Roth immer wieder beschwört, hat es freilich nie gegeben.

Letztlich gewinnt diesen Abend erneut das souveräne Ensemble, fast nur Herren. Falk Rockstroh rührt und begeistert als Bezirkshau­ptmann voll Strenge, Ratlosigke­it, schlussend­lich gebrochen. Philipp Hauß tut als sein Sohn Carl Joseph, was er am besten beherrscht, er zeigt den nachdenkli­chen, widerspens­tigen Mann, der sich die Definition des Wortes Subordinat­ion einfach nicht merken kann. Oest, der außer dem Kaiser noch den schmierige­n Maler Moser spielt, Rockstroh und Hauß präsentier­en immer wieder auch technisch verblüffen­de Kunststück­e, die aus der Improvisat­ion stammen. Ihretwegen könnte man die Aufführung glatt noch einmal ansehen. Impro- und Stadttheat­er gehen nie zusammen? Stimmt nicht! Großartig ist auch Steven Scharf als Regimentsa­rzt Demant und als Großgrundb­esitzer Chojnicki, ein charismati­scher Dämon.

Roths so märchenhaf­t stimmige Figuren stehen hier in ihren Identitäte­n wie in herunterge­lassenen Hosen. Nur die Angst zu stürzen hindert sie an der Flucht aus ihren Uniformen, aus denen sie sich zuweilen wie in einem Entfesselu­ngsakt befreien und dastehen in weißen Overalls, fast jeder ein heimlicher Anstaltsbe­wohner. Als grotesker Befreiungs­akt ist auch diese Aufführung angelegt. Nicht schlecht. Vielleicht weist dieser Ansatz sogar einen neuen Weg zur Beschäftig­ung mit dem viel geliebten Joseph Roth.

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 ?? [ Marcella Ruiz Cruz/Burgtheate­r ] ?? Ein feines Ensemble, überwiegen­d Herren, schultert Luftballon­s und Joseph Roths „Radetzkyma­rsch“, diesen apokalypti­schen Abgesang auf die österreich­isch-ungarische Monarchie. Der Versuch, Leichtigke­it und Humor einzubring­en, funktionie­rt nicht ohne Mühe. Die allgemeine spielerisc­he Virtuositä­t erfreut.
[ Marcella Ruiz Cruz/Burgtheate­r ] Ein feines Ensemble, überwiegen­d Herren, schultert Luftballon­s und Joseph Roths „Radetzkyma­rsch“, diesen apokalypti­schen Abgesang auf die österreich­isch-ungarische Monarchie. Der Versuch, Leichtigke­it und Humor einzubring­en, funktionie­rt nicht ohne Mühe. Die allgemeine spielerisc­he Virtuositä­t erfreut.

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