Schläge in der Südstadt?
Missbrauchsvorwurf. Auch im Südstadt-Internat gab es Initiationsriten für Neuankömmlinge, berichtet ein Absolvent. Mit Gürteln soll auf Erstklässler in der Nacht eingeschlagen worden sein.
Wien. Sie sahen es als eine Art Einstiegsgeschenk. Um zirka drei Uhr in der Nacht schlichen ältere Schüler im Leistungssportzentrum Südstadt rund um die Jahrtausendwende zu den Neuankömmlingen, suchten einen aus, hielten ihn fest und schlugen mit Gürteln auf ihn ein. Das berichtet ein Absolvent im Gespräch mit der „Presse“. Er war von 2000 bis 2004 dort im Internat.
In Österreichs größtem Schulund Sportzentrum im Süden Wiens werden Schwimmen, Leichtathletik, Fechten, Tennis, Judo, Radsport und Frauenhandball trainiert. Es brachte Stars sonder Zahl hervor.
Im Gegensatz zu anderen Sportinternaten war in der Südstadt der Initiationsritus willkürlicher, „nicht jeder kam dran, und bei manchen wurde fester zugeschlagen und bei anderen – die eher beliebter waren – weniger fest“, erzählt der heute über 30-Jährige. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, die Redaktion kennt ihn jedoch. Auch wurden die Betroffenen in seiner Erinnerung nur einmal geschlagen – eben als Willkommensgeschenk.
Doch auch das hatte Folgen: „Ich habe im ersten halben Jahr kaum geschlafen, weil ich nicht wusste, wann jemand kommt. Sobald man was gehört hat, war man auf“, erinnert er sich. Eine Zeit, die er in ständiger Angst verbrachte.
Nackt, auf dem Sessel gefesselt
Als schließlich die älteren Schüler den jungen Mann heimsuchten, reagierte er anders als erwartet, nämlich so hysterisch, „dass sie aufhörten, bevor sie angefangen haben“. Zwei Mitschüler hatten weniger Glück. „Bei ihnen konnte man in der Umkleidekabine die blauen Flecken am Bauch sehen.“
Manche sollte es noch schlimmer erwischen. Schon während seiner Schulzeit gab es Gerüchte, „dass Schüler nackt auf Sesseln gefesselt wurden und aus einem Pornoheft vorlesen mussten. Wenn sie eine Erektion bekamen, wurde ihnen auf ihr Glied geschlagen.“An ihm selbst wurde das Ritual nicht verübt, doch er selbst fand einmal einen Klassenkollegen nackt und gefesselt auf einem Stuhl in einem der Internatsräume vor. „Er hat dann erzählt, was ihm eben passiert ist.“Der Betroffene, der eher Außenseiter gewesen sein soll, verließ wenig später die Südstadt. Ob noch andere während ihrer Schulzeit nackt auf einem Stuhl gefesselt wurden, weiß der Absolvent nicht.
Von den Erziehern war keine Hilfe zu erwarten. „Was mich so schockiert hat, ist, dass die Erzieher von den Gürtel-Übergriffen wussten, und uns später sogar ermahnt haben, nicht so fest zuzuschlagen.“Anlass dafür war ein „Paster-Fall“2002 in der GAK-Fußballakademie. Pastern ist ein verbreitetes Initiationsritual, besonders in Skiinternaten („Die Presse“berichtete). Dabei wird jungen Schülern Schuhputzcreme oder Zahnpasta auf den Hintern geschmiert; davor oder danach wird auf sie eingeschlagen. In der GAKAkademie soll die Schuhcreme als eine Art Gleitmittel verwendet worden sein – dem Betroffenen wurde von Mitschülern eine Klobürste eingeführt, so der Vorwurf. Die Eltern des Jungen machten den Fall öffentlich, die Empörung war groß.
Das wusste man offenbar auch in der Südstadt, die Erzieher reagierten. „Sie haben uns gesagt, dass wir leichter zuschlagen sollen und dass das eigentlich nicht mehr geht“, erinnert sich der junge Mann. Nach der Schelte der Erzieher, die daraufhin auch genauer beobachteten, nahmen die brutalen Riten mit dem Gürtel und den Schlägen ab, hörten aber nicht auf.
Dass die Erzieher die Schläge duldeten, zeigt eine andere Episode, an die sich der junge Mann erinnert, als er selbst in die vierte Klasse kam – und selbst Neuankömmlinge hätte „begrüßen“sollen. Doch er weigerte sich. „Darauf bin ich stolz. Ich habe gewusst, wann die Schüler besucht werden, und den Jüngeren gesagt, sie sol- len in der Nacht heimfahren oder woanders schlafen.“Die Erstklässer hätten daraufhin die Erzieher informiert. Die hätten die Aktion allerdings nicht unterbunden, sondern den Erstklässlern die Schlüssel für ihre Zimmer gegeben, damit sie diese zusperren können. „Das halte ich für sehr hilflos, wenn das Einzige, was den Erziehern einfällt, ist, die Zimmertür zuzusperren“, empört sich der Mann. Für ihn sei das riskant gewesen. Hätte man ihn erwischt, wäre „ich unten durch gewesen“.
Seinen Eltern hat er von den Initiationsriten erst Jahre später erzählt. Auch ein Schulwechsel war undenkbar. „Ich hatte natürlich Angst, aber ich wusste, ich will Sportler werden, und da gehört das einfach dazu.“Er habe auch bis auf diese Ausnahmen seine Zeit in der Südstadt als glücklich erlebt. Dass er jetzt seine Erlebnisse öffentlich macht, habe damit zu tun, wie betroffene Institutionen versuchen, das Tabuthema abzutun.