Ist unser Internet jetzt tot?
Netzneutralität. Amerika macht den Weg frei für die Zweiklassengesellschaft im Netz. Was heißt das für Internetnutzer in Europa?
Wien. Schwerer Rückschlag für die Freunde des offenen Internets: Die US-Telekombehörde FCC hat die unter Barack Obama eingeführten Regeln zur Netzneutralität wieder abgeschafft. Diese hatten in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass amerikanische Internetprovider alle Daten gleich behandeln müssen. Künftig dürfen AT&T, Verizon und Co. jedoch den Zugang zu bestimmten Websites und Apps nach Gutdünken beschleunigen, drosseln oder sogar sperren. In den USA ist das freie Internet damit bald Geschichte. Was heißt das für Europa? „Die Presse“beantwortet die wichtigsten Fragen.
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Die Netzbetreiber werden den großen Plattformen wie Netflix nun teure Überholspuren ins Netz verkaufen, damit diese ihre Dienste schneller zu den US-Kunden bringen können. Die Konkurrenz wird dabei ausgebremst. Beobachter fürchten, dass diese lukrativen Allianzen das Internet von morgen stark prägen werden. Die finanzstarken Platzhirsche werden ihre Macht einzementieren. Neuankömmlingen wird der Einstieg deutlich erschwert. Zurück bleiben Internetnutzer, die sich nur noch durch ein vorselektiertes Netz klicken können, die Vielfalt des digitalen Angebots wird schrumpfen. Die wahrscheinlich beste Antwort lautet: gutes Lobbying. Amerikas Kabelnetzbetreiber fordern schon seit Jahren ein Ende der Netzneutralität, um die lukrativen PriorityZugänge ins Internet realisieren zu können. FCC-Chef Ajit Pai verspricht indes Milliarden an Neuinvestitionen durch die Entscheidung, da besser verdienende Betreiber mehr Geld in den Netzausbau stecken würden. Die Fakten unterstützen diese Sicht der Dinge nicht: Nach Daten der Branchenorganisation US Telecom waren die Investitionen der Anbieter zuletzt trotz strenger Netzneutralitätsregeln weit über dem Schnitt.
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Das Netzneutralitätsgesetz schützt die EU-Bürger vor einem ähnlich radikalen Umsturz, da die Netzneutralität in Europa nicht so einfach wie in den USA von einer einzelnen Behörde gekippt werden kann. Ein echtes Zwei-Klassen-Internet wird es in der EU unter den derzeit herrschenden Regeln also nicht geben. Im Idealfall profitiert Europa sogar von der US-Entscheidung. Da es für viele Start-ups in den USA nun deutlich härter werden wird, gegen die gut zahlenden Webgiganten anzukommen, könnten sich diese vermehrt am alten Kontinent ansiedeln. Nein. Denn das Internet ist global, und langfristig werden die Veränderungen in den USA auch hierzulande zu spüren sein. Sind Zugangshürden für junge, innovative Neuankömmlinge zu hoch, werden bestimmte Dienste vielleicht gar nicht erst erfunden – und fehlen damit auch den europäischen Kunden. Dominieren nur noch wenige Konzerne das amerikanische Netz, wird das Internet auch in Europa langweiliger werden.
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Das Ausmaß der Beeinflussung in den USA war extrem. Vor der Entscheidung wurde die FCC mit Millionen computergenerierter Stellungnahmen bombardiert, die ein Ende der Netzneutralität forderten. Das ist in der EU unbekannt. Aber auch hier treten die Betreiber für lockerere Regeln ein – und dehnen die geltenden so gut es geht aus. So entwickeln Handynetzprovider „Zero-Rating-Angebote“, bei denen Spotifyhören oder Netflixschauen unabhängig vom monatlichen Datenlimit erlaubt wird – eine klare Bevorzugung dieser Anbieter. In Österreich hatten etwa A1 oder Drei so einen Dienst im Programm. Kritiker sehen die Netzneutralität verletzt. Die Regulatoren haben bis dato wenig dagegen getan.