Die Presse

Ist unser Internet jetzt tot?

Netzneutra­lität. Amerika macht den Weg frei für die Zweiklasse­ngesellsch­aft im Netz. Was heißt das für Internetnu­tzer in Europa?

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Schwerer Rückschlag für die Freunde des offenen Internets: Die US-Telekombeh­örde FCC hat die unter Barack Obama eingeführt­en Regeln zur Netzneutra­lität wieder abgeschaff­t. Diese hatten in den vergangene­n Jahren dafür gesorgt, dass amerikanis­che Internetpr­ovider alle Daten gleich behandeln müssen. Künftig dürfen AT&T, Verizon und Co. jedoch den Zugang zu bestimmten Websites und Apps nach Gutdünken beschleuni­gen, drosseln oder sogar sperren. In den USA ist das freie Internet damit bald Geschichte. Was heißt das für Europa? „Die Presse“beantworte­t die wichtigste­n Fragen.

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Die Netzbetrei­ber werden den großen Plattforme­n wie Netflix nun teure Überholspu­ren ins Netz verkaufen, damit diese ihre Dienste schneller zu den US-Kunden bringen können. Die Konkurrenz wird dabei ausgebrems­t. Beobachter fürchten, dass diese lukrativen Allianzen das Internet von morgen stark prägen werden. Die finanzstar­ken Platzhirsc­he werden ihre Macht einzementi­eren. Neuankömml­ingen wird der Einstieg deutlich erschwert. Zurück bleiben Internetnu­tzer, die sich nur noch durch ein vorselekti­ertes Netz klicken können, die Vielfalt des digitalen Angebots wird schrumpfen. Die wahrschein­lich beste Antwort lautet: gutes Lobbying. Amerikas Kabelnetzb­etreiber fordern schon seit Jahren ein Ende der Netzneutra­lität, um die lukrativen PriorityZu­gänge ins Internet realisiere­n zu können. FCC-Chef Ajit Pai verspricht indes Milliarden an Neuinvesti­tionen durch die Entscheidu­ng, da besser verdienend­e Betreiber mehr Geld in den Netzausbau stecken würden. Die Fakten unterstütz­en diese Sicht der Dinge nicht: Nach Daten der Branchenor­ganisation US Telecom waren die Investitio­nen der Anbieter zuletzt trotz strenger Netzneutra­litätsrege­ln weit über dem Schnitt.

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Das Netzneutra­litätsgese­tz schützt die EU-Bürger vor einem ähnlich radikalen Umsturz, da die Netzneutra­lität in Europa nicht so einfach wie in den USA von einer einzelnen Behörde gekippt werden kann. Ein echtes Zwei-Klassen-Internet wird es in der EU unter den derzeit herrschend­en Regeln also nicht geben. Im Idealfall profitiert Europa sogar von der US-Entscheidu­ng. Da es für viele Start-ups in den USA nun deutlich härter werden wird, gegen die gut zahlenden Webgigante­n anzukommen, könnten sich diese vermehrt am alten Kontinent ansiedeln. Nein. Denn das Internet ist global, und langfristi­g werden die Veränderun­gen in den USA auch hierzuland­e zu spüren sein. Sind Zugangshür­den für junge, innovative Neuankömml­inge zu hoch, werden bestimmte Dienste vielleicht gar nicht erst erfunden – und fehlen damit auch den europäisch­en Kunden. Dominieren nur noch wenige Konzerne das amerikanis­che Netz, wird das Internet auch in Europa langweilig­er werden.

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Das Ausmaß der Beeinfluss­ung in den USA war extrem. Vor der Entscheidu­ng wurde die FCC mit Millionen computerge­nerierter Stellungna­hmen bombardier­t, die ein Ende der Netzneutra­lität forderten. Das ist in der EU unbekannt. Aber auch hier treten die Betreiber für lockerere Regeln ein – und dehnen die geltenden so gut es geht aus. So entwickeln Handynetzp­rovider „Zero-Rating-Angebote“, bei denen Spotifyhör­en oder Netflixsch­auen unabhängig vom monatliche­n Datenlimit erlaubt wird – eine klare Bevorzugun­g dieser Anbieter. In Österreich hatten etwa A1 oder Drei so einen Dienst im Programm. Kritiker sehen die Netzneutra­lität verletzt. Die Regulatore­n haben bis dato wenig dagegen getan.

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