Die Presse

Thomas Maurer will weit zurück in die Zukunft

Das Soloprogra­mm im Stadtsaal ist anspruchsv­oll. Ein wenig Vulgarität lockert die abstrakten Ideen auf.

- VON NORBERT MAYER

Irgendwas stimmt nicht an Thomas Maurer. Die Wiener Premiere für sein zweistündi­ges Solo hat am Donnerstag begonnen, links aus der Dunkelheit taucht der Kabarettis­t in einer Apparatur auf, die aus der Ferne wie der Glaskasten bei einem Mafiaproze­ss aussieht. Maurer beginnt über den Wahlkampf zu lästern. Vor allem Türkise und Blaue bekommen ihr Fett fast noch aktuell ab, auch auf ExFinanzmi­nister Karl-Heinz Grasser, der eben vor Gericht steht, wird nicht vergessen. Und doch wirkt Maurer, der so perfekt den einfachen Kreativen von der Straße mimen kann, diesmal gekünstelt, leicht nervös und irgendwie abwesend.

Da passiert es! Er beginnt sich aufzulösen, in zwei Personen zu teilen, die dann erstarren. Es wird hell, und als ein dritter Maurer, jetzt eindeutig leibhaftig, auftaucht, um hektisch an einer Fernbedien­ung herumzufum­meln, weiß man: Das ist kein Glaskäfig, sondern ein Bildschirm, auf dem ein künstliche­r Kabarettis­t in 3-D vorgetäusc­ht werden sollte.

So funktionie­rt die „Zukunft“, die der Titel des Programms verheißt: Ein virtueller Künstler versucht, seinen alten, türkis umlackiert­en Pkw zum Fantasiepr­eis zu verscherbe­ln – denn, so die bestechend­e Logik, wenn es ÖVP-Chef Kurz gelungen sei, Schwarz durch Umfärben als neue Partei zu verkaufen, gehe alles.

Schlager für Fortgeschr­ittene

Die Politik aber bleibt an diesem Abend nur Rahmenprog­ramm. Es geht um echte Utopien. Stolz zeigt Maurer seinen teuer erworbenen Kommunikat­or, der genauso aussieht wie jener, den in einer 50 Jahre alten Science-Fiction-Serie Captain Kirk und seine Crew auf dem Raumschiff Enterprise verwendet haben. Damit kann man nur telefonier­en – über Bluetooth, wenn man das Gadget mit dem Smartphone verbindet. Brav werden technische Wunder abgearbeit­et. Maurer spielt mit dem Handy, mit dem Roboterhun­d, sinniert über Kryokonser­vierung, genetische Glanzleist­ungen und mangelnden Datenschut­z böser sozialer Medien, verspottet den Wahnsinn alter Futurologe­n.

Aber all diese Einfälle sind genau betrachtet gar nicht vorwärts gerichtet, sondern zurück in die gute alte Zeit. Schlager für Fortgeschr­ittene. So manche(r) im reifen Publikum kennt die Peinlichke­it, Kinder oder Enkel um Rat zu fragen, wenn PC oder Handy wieder einmal malfunktio­nieren. Wird dieser scharfzüng­ige Frevler etwa sentimenta­l? Der schönste Moment: Maurer ehrt den Vater, einen ehrlichen Hackler, dessen Lebenstrau­m das Haus am Land war. Für private Nostalgie kommt der Videoschir­m mehrfach zum Einsatz. Man sieht den Protagonis­ten als Volksschul­kind, als Teenager, als prekären Rentner, Islamisten und steinalten Mann in ferner Zukunft.

Es ist eine Kunst, all die abstrakten Ideen in Zugnummern zu verwandeln. Diese „Zukunft“ist technisch überladen. Etwas Brachialhu­mor schafft Erleichter­ung. Wenn Maurer „beschissen“oder eine Wiener Wendung für Beischlaf einflicht, lachen viele erleichter­t auf. Auf das gute alte analog Ordinäre ist eben Verlass.

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