Zwei Politikberater im Jahr 1516
Philosophen der Macht. Nicht alle wollten wie Plato die Macht im Staat gleich den Philosophen überantworten. Niccol`o Machiavelli und Thomas Morus ließen sich ein auf das Abenteuer Politikberatung.
Popper befürwortet die Politik des schrittweisen Umbaus. Dadurch würde am ehesten garantiert, dass bei der Durchführung des Programms die Vernunft und nicht Leidenschaft und Gewalt zu Wort kommen. Er gesteht zu, dass die Art von herumprobierender Politik nicht besonders „ästhetisch“ist: „Ein solches Herumbasteln entspricht nicht dem politischen Temperament vieler Aktivisten.“Attraktiver erscheint auf den ersten Blick, „eine Welt zu bauen, die nicht nur ein wenig besser und vernünftiger ist als die unsrige, sondern die von all ihrer Hässlichkeit frei ist: Nicht ein aus alten Flecken zusammengesetztes Kleidungsstück, sondern ein ganz neues Gewand, eine wirklich schöne neue Welt.“
Popper hält das für eine verständliche Haltung, fast jeder von uns scheine ein wenig „an derartigen Vollkommenheitsträumen zu leiden“. „Visionen“sollte solche Träume später ein prominenter deutscher Politiker, der bekennende Popper-Anhänger Helmut Schmidt, nennen: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“
Das heißt nicht, dass man klein beigeben und zwangsläufig konservative oder gar reaktionäre Politik machen soll. Die Ziele Ratschläge von einem Philosophen für die Politik? „Natürlich, warum denn nicht?“, würde Niccolo` Machiavelli sagen, der seinen Fürstenratgeber „Il Principe“nur zu dem Zweck geschrieben hat, bei den Medici als Berater einen Job zu bekommen. Aber wie steht es mit der Moral? Nach der Veröffentlichung des „Principe“verbreitete sich das negative Image des Verfassers als teuflischverschlagene Figur rasend schnell. Friedrich II., der sich gerade anschickte, Österreich Schlesien zu rauben, schrieb eine Polemik dagegen, einen „Anti-Machiavell“.
Wir gehen in der Regel eben davon aus, dass Philosophie moralischer ist als Politik, eine „unmoralische Philosophie“gilt als contradictio in se. Soll also ein Philosoph, ein Wahrheitsliebender und -sucher, überhaupt anstreifen an die Politik? Die Frage stellte sich auch für den Humanisten Tho- mas Morus, der seine „Utopia“im selben Jahr veröffentlichte wie Machiavelli seinen „Principe“. Der Unterschied ist: Im Fall der „Utopia“kann man dem Autor nicht eine Bewerbungsabsicht als politischer Berater in und mit diesem Werk unterstellen, wie es der Florentiner in seinem Bewerbungsschreiben an Lorenzo di Medici vorhatte.
Im „inner circle“der Macht
Beide Autoren befanden sich 1516 als Politikberater im Zwischenraum zwischen Kontemplation und politischer Aktivität und vor der Frage: Soll ein gelehrter Mann dem Machthaber seinen Rat erteilen? Morus, der Berater des englischen Königs Heinrich VIII., sah sich vor der Situation, mitzuhelfen, mit List und Gewalt möglichst effizient den Fortbestand der Herrschaft zu sichern. Da wurden alle eingespannt, auch intellektuelle Handlanger. Erasmus, der Freund des Morus, warnte ihn vor dem politikberatenden Engagement, das ihn von den Büchern ablenke und der Geschäftigkeit auszuliefern drohe. Dennoch verabschiedete sich Morus vom Schreibtisch und begab sich in den „inner circle“von Praxis und Macht, wo der Freund des Deliberativen, des „sowohl – als auch“und „einerseits – andererseits“täglich zu eindeutigen Entscheidungen gezwungen war. Das besiegelte sein Ende als politischer Berater. Morus, der es sogar ins Amt des Lord Chancellor schaffte, landete letztendlich als katholischer Märtyrer auf dem Schafott. Er war sich der Tragweite seiner Karriere- und Lebensentscheidung durchaus bewusst, entschied sich aber dennoch für die Politikberatung, nicht weil er glaubte, alles zum Guten wenden zu können, sondern um es „möglichst wenig schlecht ausfallen zu lassen“, da es ja unmöglich ist, dass alles gut ist, „es sei denn, dass alle Menschen gut wären; aber das erwarte ich für eine ganze Reihe von Jahren noch nicht.“