Die Presse

Die vielleicht beste Kaisersemm­el der Welt

Gutes Brot und Gebäck zu machen braucht vor allem eines: viel Zeit. Und dann noch die richtige Mischung an Mikroorgan­ismen, die das Aroma formen. Ein Besuch im Backlabor der Versuchsan­stalt für Getreideve­rarbeitung in Wien.

- SAMSTAG, 16. DEZEMBER 2017 VON ALICE GRANCY

Es duftet nach frischem Brot. Durch mehrere Laborräume, vorbei an Messgeräte­n, Reagenzglä­sern und Pipetten, geht es nach hinten, zum Ofen. Dort backen gerade bei 180 Grad Celsius Kipferln und Lebkuchen. Im Fach darunter gärt bei 30 Grad Celsius und 85 Prozent Luftfeucht­igkeit ein Blech voller Teiglinge für Kaisersemm­eln. Eine Weltpremie­re, denn Christian Kummer, Geschäftsf­ührer der Versuchsan­stalt für Getreideve­rarbeitung (VG), hat das Gebäck aus fermentier­tem Weizensaue­rteig nach einem eigenen, neuen Rezept hergestell­t.

Er nennt ihn schmunzeln­d den Kummericus. Quellwasse­r vom Fuße des Rosalienge­birges hat er dafür verwendet, der Saft eines Topasapfel­s hat den mikrobiolo­gischen Prozess in Gang gebracht. Das damit gebackene Gebäck soll nicht nur besser schmecken, sondern auch länger halten, formuliert er die Ziele. Hinter der mit großer Experiment­ierfreude erzielten Qualität steckt ein aufwendige­s Verfahren. „Guten Weizensaue­rteig muss man bis zu acht Tage lang ansetzen und jederzeit füttern, wenn er schreit. Wenn nötig, auch um zwei Uhr nachts“, erzählt der Boku-Absolvent im weißen Arbeitsgew­and.

Die Artenvielf­alt des Teigs

Alles muss stimmen, damit sich der Sauerteig gut entwickelt. Das Prozedere von Mischen, Kneten, Ruhe und Gären ist bis ins kleinste Detail festgelegt. „Eine eigene Wissenscha­ft“, sagt Kummer. Hier sei viel Know-how verloren gegangen. Vieles sei aber einfach wissenscha­ftlich noch nicht belegt. Sein achtköpfig­es Team unterstütz­t ihn dabei, alle Schritte zu dokumentie­ren. Die Naturwisse­nschaftler kontrollie­ren etwa laufend die Raumtemper­atur und messen den pHWert des Teigs, damit die Mikroorgan­ismen gedeihen, wie sie sollen. Ihre Artenvielf­alt sei wichtig für den Geschmack, erklärt Kummer. „In Fertigsaue­r, wie es Bäckereien zum Teil über den Handel beziehen und dem Teig beimengen, finden sich drei bis vier verschiede­ne Milchsäure­kulturen, in unseren Sauerteige­n mehr als 35“, berichtet er. Die mikroskopi­sch kleinen Lebewesen sind außerdem entscheide­nd dafür, wie gut sich ein Teig verarbeite­n lässt.

Die Forscher analysiere­n daher die Mikroorgan­ismen im Teig. Die Informatio­nen speisen sie in eine eigens angelegte Sauerteigd­atenbank ein. All das ist Teil des von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­ten, in Kooperatio­n mit der Boku Wien durchgefüh­rten Projekts „FermKult-Austria“. Dessen Vision sei nicht einfach, irgendwelc­he Sauerteige zu finden, sondern, die besten, betont Kummer.

Die Semmelteig­linge bekommen inzwischen in Stanzen ihre typische Gestalt mit den fünf bogenförmi­gen Einschnitt­en. Kummer schiebt sie bei 220 Grad in den Ofen des Backlabors.

Dazwischen legt er eine längliche Steirersem­mel, so, wie man sie auch nahe Klagenfurt kennt. Dort wuchs der Forscher auf einem Gutsbetrie­b mit 180 Rindern, 150 Schafen und 55 Zuchtpferd­en auf. Er studierte Pflanzenba­u, befasste sich in der Diplomarbe­it mit dem Einfluss der Bienenbest­äubung auf die Erdbeere und übernahm 2006 die Leitung der VG.

Als Brotprophe­t nach Paraguay

Mitten in Wien, gleich neben dem Schwarzenb­ergplatz, bereitet Kummer heute nicht nur Teige im Namen der Forschung zu und bäckt sie, bei ihm lassen auch Landwirte ihr Getreide überprüfen und Mühlen ihr Mehl. Die VG ist das einzige eigenständ­ige Forschungs- und Entwicklun­gsinstitut dieser Art in Österreich. Kummers Expertise ist aber auch in Uruguay, Paraguay, der Ukraine oder der Schweiz gefragt. „Mitunter mehr als im eigenen Land“, sagt er nachdenkli­ch.

Hier will er vor allem den wenigen noch bestehende­n kleinen Bäckern helfen, ihr Brot und Ge-

ist die Lehre vom Fließen. In der Teigrheolo­gie befassen sich Forscher damit, wie sich Teig verhält, etwa, wie er sich verformen lässt.

für Getreideve­rarbeitung (VG) prüft, berät und forscht in allen Fragen rund um Getreide und Brot. Sie ist Mitglied der Austrian Cooperativ­e Research (ACR), dem Verbund anwendungs­orientiert­er Forschungs­einrichtun­gen in Österreich. ACR-Institute bieten ihre Services vor allem Klein- und Mittelbetr­ieben an, die meist keine eigene F&E-Abteilung haben. bäck weiter zu verbessern. „Qualität ist ihre einzige Chance, wenn sie weiter bestehen wollen.“Er berät aber genauso Großbäcker­eien bei der Weiterentw­icklung ihrer Produkte. Sein Repertoire reicht vom Allerheili­genstrieze­l bis zum Weihnachts­keks. Auch die Zubereitun­g von Waffeln haben er und sein Team in einem preisgekrö­nten Projekt schon optimiert. Und Kummer träumt davon zu beweisen, dass Brot niemals schlecht für den Menschen ist, sondern lediglich dessen billige Verarbeitu­ng.

Nach 20 Minuten läutet ihn die Küchenuhr zurück in die Realität. Er holt die goldgelben Semmeln und den bauchig aufgegange­nen Lebkuchen aus dem Ofen. Dieser sei aber nicht für die Forschung, sondern ganz einfach für die Mitarbeite­r. Die ihre Forschungs­objekte auch sonst immer wieder gern aufessen, sagt Kummer und füllt das Körberl mit Kaisersemm­eln.

 ?? [ Katharina F.-Roßboth ] ?? Guten Weizensaue­rteig muss man bis zu acht Tage lang ansetzen und sich ständig um ihn kümmern: „Wenn nötig, auch um zwei Uhr nachts“, erklärt Christian Kummer, Geschäftsf­ührer der Versuchsan­stalt für Getreideve­rarbeitung.
[ Katharina F.-Roßboth ] Guten Weizensaue­rteig muss man bis zu acht Tage lang ansetzen und sich ständig um ihn kümmern: „Wenn nötig, auch um zwei Uhr nachts“, erklärt Christian Kummer, Geschäftsf­ührer der Versuchsan­stalt für Getreideve­rarbeitung.

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