Die vielleicht beste Kaisersemmel der Welt
Gutes Brot und Gebäck zu machen braucht vor allem eines: viel Zeit. Und dann noch die richtige Mischung an Mikroorganismen, die das Aroma formen. Ein Besuch im Backlabor der Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung in Wien.
Es duftet nach frischem Brot. Durch mehrere Laborräume, vorbei an Messgeräten, Reagenzgläsern und Pipetten, geht es nach hinten, zum Ofen. Dort backen gerade bei 180 Grad Celsius Kipferln und Lebkuchen. Im Fach darunter gärt bei 30 Grad Celsius und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit ein Blech voller Teiglinge für Kaisersemmeln. Eine Weltpremiere, denn Christian Kummer, Geschäftsführer der Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung (VG), hat das Gebäck aus fermentiertem Weizensauerteig nach einem eigenen, neuen Rezept hergestellt.
Er nennt ihn schmunzelnd den Kummericus. Quellwasser vom Fuße des Rosaliengebirges hat er dafür verwendet, der Saft eines Topasapfels hat den mikrobiologischen Prozess in Gang gebracht. Das damit gebackene Gebäck soll nicht nur besser schmecken, sondern auch länger halten, formuliert er die Ziele. Hinter der mit großer Experimentierfreude erzielten Qualität steckt ein aufwendiges Verfahren. „Guten Weizensauerteig muss man bis zu acht Tage lang ansetzen und jederzeit füttern, wenn er schreit. Wenn nötig, auch um zwei Uhr nachts“, erzählt der Boku-Absolvent im weißen Arbeitsgewand.
Die Artenvielfalt des Teigs
Alles muss stimmen, damit sich der Sauerteig gut entwickelt. Das Prozedere von Mischen, Kneten, Ruhe und Gären ist bis ins kleinste Detail festgelegt. „Eine eigene Wissenschaft“, sagt Kummer. Hier sei viel Know-how verloren gegangen. Vieles sei aber einfach wissenschaftlich noch nicht belegt. Sein achtköpfiges Team unterstützt ihn dabei, alle Schritte zu dokumentieren. Die Naturwissenschaftler kontrollieren etwa laufend die Raumtemperatur und messen den pHWert des Teigs, damit die Mikroorganismen gedeihen, wie sie sollen. Ihre Artenvielfalt sei wichtig für den Geschmack, erklärt Kummer. „In Fertigsauer, wie es Bäckereien zum Teil über den Handel beziehen und dem Teig beimengen, finden sich drei bis vier verschiedene Milchsäurekulturen, in unseren Sauerteigen mehr als 35“, berichtet er. Die mikroskopisch kleinen Lebewesen sind außerdem entscheidend dafür, wie gut sich ein Teig verarbeiten lässt.
Die Forscher analysieren daher die Mikroorganismen im Teig. Die Informationen speisen sie in eine eigens angelegte Sauerteigdatenbank ein. All das ist Teil des von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten, in Kooperation mit der Boku Wien durchgeführten Projekts „FermKult-Austria“. Dessen Vision sei nicht einfach, irgendwelche Sauerteige zu finden, sondern, die besten, betont Kummer.
Die Semmelteiglinge bekommen inzwischen in Stanzen ihre typische Gestalt mit den fünf bogenförmigen Einschnitten. Kummer schiebt sie bei 220 Grad in den Ofen des Backlabors.
Dazwischen legt er eine längliche Steirersemmel, so, wie man sie auch nahe Klagenfurt kennt. Dort wuchs der Forscher auf einem Gutsbetrieb mit 180 Rindern, 150 Schafen und 55 Zuchtpferden auf. Er studierte Pflanzenbau, befasste sich in der Diplomarbeit mit dem Einfluss der Bienenbestäubung auf die Erdbeere und übernahm 2006 die Leitung der VG.
Als Brotprophet nach Paraguay
Mitten in Wien, gleich neben dem Schwarzenbergplatz, bereitet Kummer heute nicht nur Teige im Namen der Forschung zu und bäckt sie, bei ihm lassen auch Landwirte ihr Getreide überprüfen und Mühlen ihr Mehl. Die VG ist das einzige eigenständige Forschungs- und Entwicklungsinstitut dieser Art in Österreich. Kummers Expertise ist aber auch in Uruguay, Paraguay, der Ukraine oder der Schweiz gefragt. „Mitunter mehr als im eigenen Land“, sagt er nachdenklich.
Hier will er vor allem den wenigen noch bestehenden kleinen Bäckern helfen, ihr Brot und Ge-
ist die Lehre vom Fließen. In der Teigrheologie befassen sich Forscher damit, wie sich Teig verhält, etwa, wie er sich verformen lässt.
für Getreideverarbeitung (VG) prüft, berät und forscht in allen Fragen rund um Getreide und Brot. Sie ist Mitglied der Austrian Cooperative Research (ACR), dem Verbund anwendungsorientierter Forschungseinrichtungen in Österreich. ACR-Institute bieten ihre Services vor allem Klein- und Mittelbetrieben an, die meist keine eigene F&E-Abteilung haben. bäck weiter zu verbessern. „Qualität ist ihre einzige Chance, wenn sie weiter bestehen wollen.“Er berät aber genauso Großbäckereien bei der Weiterentwicklung ihrer Produkte. Sein Repertoire reicht vom Allerheiligenstriezel bis zum Weihnachtskeks. Auch die Zubereitung von Waffeln haben er und sein Team in einem preisgekrönten Projekt schon optimiert. Und Kummer träumt davon zu beweisen, dass Brot niemals schlecht für den Menschen ist, sondern lediglich dessen billige Verarbeitung.
Nach 20 Minuten läutet ihn die Küchenuhr zurück in die Realität. Er holt die goldgelben Semmeln und den bauchig aufgegangenen Lebkuchen aus dem Ofen. Dieser sei aber nicht für die Forschung, sondern ganz einfach für die Mitarbeiter. Die ihre Forschungsobjekte auch sonst immer wieder gern aufessen, sagt Kummer und füllt das Körberl mit Kaisersemmeln.