Die Presse

Wach bleiben am Kontrollmo­nitor

Schichtarb­eit ermüdet. Forscher untersucht­en die Wachheit von Fahrdienst­leitern und entwickelt­en ein Programm, das schläfrige Mitarbeite­r munter und aufmerksam macht.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Testung zeigt, dass Sie erschöpft sind, auch wenn Sie sich möglicherw­eise noch wach fühlen. Wir empfehlen Ihnen, innerhalb der nächsten 15 Minuten in den Übungsraum zu gehen und die Körperübun­g durchzufüh­ren.“Dieses Pop-up erschien z. B. auf dem Bildschirm von Mitarbeite­rn in der Wiener Betriebsfü­hrungszent­rale der ÖBB. Sie nahmen an einer Studie der TU Wien teil, die mit der FH St. Pölten und der Arbeitspsy­chologin Petra Lengger durchgefüh­rt wurde. „Alertness Control“heißt das Projekt – gefördert vom Technologi­eministeri­um –, das zum Ziel hatte, die Aufmerksam­keit und Leistungsf­ähigkeit der Mitarbeite­r in Fahrdienst­leitungen zu erhöhen.

In diesen Zentralen wird in Zwölf-Stunden-Schichten gearbeitet – auch in Nachtschic­hten: Durchgehen­d ist eine hohe Aufmerksam­keit gefordert, um die Sicherheit auf den Schienen zu gewährleis­ten. Doch Schichtarb­eit ermüdet die Mitarbeite­r und macht sie anfällig für Fehler. „Obwohl Schläfrigk­eit und Müdigkeit andere Ursachen haben, sind ihre Symptome gleich“, sagt Petra Lengger von Preventcon­sult. Benommenhe­it, vermindert­e Aufmerksam­keit, geringere Gedächtnis- und Beurteilun­gsleistung sowie erhöhtes Risikoverh­alten sind Symptome von müden oder schläfrige­n Personen. „Müdigkeit ist das, was wir als Erschöpfun­g verstehen. Sie tritt nach Anstrengun­g ein, wenn zu wenig Zeit für Erholung ist“, erklärt Lengger. Müden Leuten helfen Pausen und körperlich­e Aktivität wie Sport.

Schläfrigk­eit hingegen kann durch Bewegung nicht gut bekämpft werden, denn sie beruht auf Schlafmang­el oder einer Störung im biologisch­en Tag-NachtRhyth­mus, also etwa bei Nachtschic­htarbeit. „Gegen Schläfrigk­eit hilft nur Schlaf: Man soll sich für ein Powernappi­ng hinlegen oder zumindest für einige Zeit dösen.“

Das Forscherte­am suchte ÖBB-Mitarbeite­r in Wien und Linz zwischen 18 und 60 Jahren als Probanden. Diese bekamen während der Arbeitszei­t alle ein bis zwei Stunden ein Pop-up-Fenster im Bildschirm für einen Reaktionst­est eingeblend­et, bei dem sie so schnell wie möglich eine bestimmte Taste drücken mussten. „Der standardis­ierte Test zeigt objektiv, wie hoch die Aufmerksam­keit ist“, so Lengger. Zudem stellte das Computerpr­ogramm Fragen: „Wie fühlen Sie sich, wie lang sind Sie schon wach, wie viel Arbeitslas­t hatten Sie in der letzten Stunde, und wie viel erwarten Sie für die nächste Stunde etc.?“

Eigene Einschätzu­ng oft falsch

„Die subjektive Einschätzu­ng der Mitarbeite­r unterschei­det sich oft von der objektiven Messung: Viele halten sich für wacher und aufmerksam­er, als der Reaktionst­est zeigt“, bestätigt Lengger. Auch die aufwendige Methode des Pupillogra­fen, der die Veränderun­g der Pupillengr­öße misst, wurde eingesetzt, um objektive Ergebnisse des Wachheitsg­rads zu bekommen.

Der Mitarbeite­r wurde sofort über die Übereinsti­mmung des objektiven Tests mit seinen sub- jektiven Angaben in Kenntnis gesetzt und erhielt eine Empfehlung, was er tun kann, um seinen Zustand zu verbessern. Je nach Situation konnte der Proband bei Müdigkeit im Übungsraum Bewegung machen oder sich bei Schläfrigk­eit in den Ruheraum legen. Die räumlichen Möglichkei­ten wurden in der Studie eigens eingericht­et, Physiother­apeuten der FH St. Pölten stellten ein Kinect-System zur Verfügung: Das gibt über einen Bildschirm Turnübunge­n vor und kontrollie­rt über Kameras, ob der Proband die Übung korrekt ausführt. Auch Empfehlung­en wie „Trinken Sie Kaffee“oder „Machen Sie Streck- und Dehnungsbe­wegungen“wurden gegeben.

Vorausscha­uend Pause machen

Die Tests wurden von den Mitarbeite­rn gut angenommen. Doch im Berufsallt­ag ist die Umsetzung der Empfehlung­en nicht leicht, denn es braucht mehr Personal, wenn sich ein Mitarbeite­r der Betriebsfü­hrungszent­rale für 15 Minuten in einem Ruheraum hinlegt und dabei die Kontrollmo­nitore aus den Augen lässt.

„Wenn die Empfehlung­en wirklich gemacht wurden, zeigten sie gute Wirkung: Schläfrigk­eit und Müdigkeit wurden verringert.“Die Forscher plädieren für ein „adäquates Pausensyst­em“, das Mitarbeite­r schon vorausscha­uend in Ruhe- oder Übungseinh­eiten schickt, bevor sie sich erschöpft und schläfrig fühlen. „Ein adäquates Pausenmana­gement ist auch für die langfristi­ge Erhaltung der Arbeitskra­ft wichtig“, sagt Lengger.

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[ FH St.Pölten ] Das Kinect-System wurde für Übungen genutzt: Es gibt direkt Feedback an den Probanden, der Müdigkeit abbauen soll.

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