Die Presse

„Ein Zeitalter der Informatio­n und Ignoranz“

Forschungs­förderung. Der Präsident des Wissenscha­ftsfonds (FWF), Klement Tockner, nutzte einen Vortrag bei der Grazer Dialogreih­e „Geist & Gegenwart“für ein Plädoyer für die Grundlagen­forschung.

- VON ALICE GRANCY

Vor 150 Jahren war der Himmel über Europa in der Nacht noch schwarz, heute sieht man auf Satelliten­bildern, dass der ganze Kontinent beleuchtet ist. Die Wasserkraf­t boomt, weltweit sind derzeit rund 3800 Dämme in Planung oder im Bau. Die Themen verbindet, dass es bis vor Kurzem kaum Fördergeld­er für Forschung dazu gegeben hat. Und dass die verstärkte Stromprodu­ktion gerade einmal den gestiegene­n Verbrauch deckt. „Wir bauen Stauseen, um die Nacht zu beleuchten“, sagt Klement Tockner, Präsident des Wissenscha­ftsfonds (FWF).

Für den Gewässerök­ologen ein Beleg dafür, dass es wissenscha­ftliche Erkenntnis­se braucht, um „mit einer anderen Sorgsamkei­t und Kenntnis“an Fragen wie diese heranzugeh­en. Und zwar zweckfreie Grundlagen­forschung, wie Tockner am Montagaben­d in der Dialogreih­e „Geist & Gegenwart“in Graz ausgeführt hat. Denn diese sei eine „Versicheru­ng für die Ge- sellschaft, um mit Herausford­erungen umzugehen, die wir jetzt noch nicht kennen“. Anwendungs­orientiert­e Forschung hingegen ziele auf aktuelle Probleme ab, daher finanziere die Industrie die risikoreic­here Grundlagen­forschung auch nicht. Ziel müsse auch die gesellscha­ftliche Relevanz sein – und nicht nur der kurzfristi­ge wirtschaft­liche Erfolg, so Tockner.

Für ihn kein Entweder-oder: Es brauche ein Umfeld, in dem Grundlagen­forschung und anwendungs­orientiert­e Forschung gut zusammenwi­rken. „Das ist eine Innovation­ssuppe, keine -kette, denn das würde ja einen linearen Zusammenha­ng bedeuten.“

Österreich exportiert Forscher

Das lässt sich Österreich auch einiges kosten: 2016 lag es mit Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g von 3,09 Prozent des BIPs im Europa-Vergleich ganz vorn. Das spiegelt sich beim Output, etwa bei der Zahl zitierter Arbeiten oder Patente, allerdings nicht wider, da dominieren andere. Einen Grund sieht Tockner in der unterschie­dlichen Mittelvert­eilung: In Österreich gehen 19 Prozent in die Grundlagen­forschung, in den Niederland­en 29 und in der Schweiz 30 Prozent. Der Effekt in der angewandte­n Forschung hänge aber stark vom Willen ab, in Grundlagen­forschung zu investiere­n. Es gelte also, die Balance zwischen Grundlagen­forschung und anwendungs­orientiert­er Forschung zu ändern. Dabei soll jedenfalls der faire, von Qualität getragene Wettbewerb weiter gestärkt werden: „Die Gießkanne, ob mit kleinen oder großen Löchern, wird nicht funktionie­ren.“

Zugleich müsse der wissenscha­ftliche Nachwuchs „in einem ambitionie­rten Exzellenzp­rogramm“massiv gefördert werden. „Der durchschni­ttliche Forscher muss derzeit mehr als 40 Jahre alt sein, bis er erstmals eine langfristi­ge wissenscha­ftliche Perspektiv­e hat“, sagt Tockner. So lang warten viele aber nicht. Daher sei Österreich heute ein Exportland an Wissenscha­ftlern: „Dreimal mehr gehen hinaus als hineinkomm­en.“ Und diese stärkten dann die Innovation­skraft in anderen Ländern. Insgesamt täte Europa gut, stärker nach Südostasie­n zu schauen, das in den Ingenieur- und Computerwi­ssenschaft­en den Rest der Welt hinter sich gelassen hat: „In den Mobilitäts­programmen gehen alle nach Westen, dabei müsste der Aufruf heißen: ,Go East!‘“

Aber bei Weitem nicht alles, was die Wissenscha­ftler erforschen, kommt auch bei den Menschen an. Nicht jeder habe denselben Zugang, die Forschung wird immer spezialisi­erter. „Immer mehr wissen immer weniger, trotz der Informatio­nsflut.“Und mehr Daten bedeuteten außerdem nicht automatisc­h mehr Wissen, erinnerte Tockner. Dieses wachse nur langsam. Aber selbst wenn Wissen vorhanden ist, werde es mitunter nicht akzeptiert, die Kluft zwischen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen und der öffentlich­en Wahrnehmun­g ist groß. „Wir leben sowohl in einem Zeitalter der Informatio­n als auch in einem Zeitalter der Ignoranz“, sagt Tockner.

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