Die Presse

Der Geschichte auf den Grund gehen

Mit hochwertig­en Scannern erforschen Wissenscha­ftler in einem neuen Labor der Universitä­t Innsbruck die Geschichte der vergangene­n 15.000 Jahre anhand von See-Sedimenten.

- VON UWE SCHWINGHAM­MER

Am 1. November 1755 bebte in Portugal die Erde. Die Hauptstadt Lissabon wurde dabei nahezu vollständi­g zerstört. Aber ist es möglich, dass dieses Erdbeben auch einen kleinen Tiroler Bergsee in Aufruhr versetzte, wie es zeitgenöss­ische Quellen behaupten? Forscher der Universitä­t Innsbruck haben versucht, der Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes mit Bohrkernan­alysen auf den Grund zu gehen.

Mit 1. Oktober 2015 folgte der Geologe Michael Strasser von der ETH Zürich einem Ruf nach Innsbruck. Unter anderem, um ein Bohrkernan­alyse-Labor und eine See-Geologie-Forschung aufzubauen. Strasser hatte sich in der Schweiz auf die „jüngere“Sedimentge­ologie spezialisi­ert, die sich mit Ablagerung­en in Seen der vergangene­n rund 15.000 Jahre beschäftig­t. Um diese zu untersuche­n, werden Proben von den Gewässerbö­den gebohrt und dann mit verschiede­nen Methoden deren chemische und physikalis­che Eigenschaf­ten analysiert.

Anfang November wurde das Labor Austrian Core Facility für wissenscha­ftliche Bohrkernan­alysen, bestehend aus drei Hochleistu­ngsscanner­n mit einem Gesamtwert von rund 750.000 Euro, die aus Infrastruk­turmitteln des Wissenscha­ftsministe­riums und der Universitä­t Innsbruck finanziert wurden, schließlic­h offiziell eröffnet. Derzeit sei so ein Labor nicht nur für Österreich, sondern für ganz Südosteuro­pa einmalig, sagt Strasser.

Von der Welle verschluck­t

Gearbeitet wurde mit den neuen Geräten allerdings schon vorher, wie Laborleite­r Strasser erzählt: „Eine Untersuchu­ng des Hechtsees war unser Startproje­kt, um die Infrastruk­tur zu testen.“Das kleine Gewässer bei Kufstein ist etwa 50 Meter tief, auf dem Boden gibt es, so haben Limnologen festgestel­lt, praktisch keinen Sauerstoff. Für die Sedimentge­ologen sind dies nahezu ideale Bedingunge­n. Eine Sage erzählt, dass die Nixe Hechta und deren Geliebter, der Jäger Friedl, von einer gewaltigen Welle verschluck­t worden seien. Aber auch historisch­e Quellen berichten davon, dass auf dem See zur Zeit des Lissabonne­r Erdbebens starker Wellengang geherrscht habe. Die Innsbrucke­r Forscher machten sich also daran, dessen Spuren in den Sedimenten des Sees zu suchen. Und sie wurden tatsächlic­h fündig.

Bei der Untersuchu­ng von Bohrkernen mit den neuen Scannern konnten sie eine Störung in den Schichten feststelle­n, die sich auf die Zeit zwischen 1730 und 1758 eingrenzen lässt. Eine nähere Datierung ist derzeit nicht möglich. Strasser: „Fest steht allerdings, dass es sich von der Hydrodynam­ik her um ein herausrage­ndes Ereignis gehandelt haben muss. Ein einfacher Sturm verursacht keine solchen Störungen auf dem Seegrund. Es ist möglich, dass es zeitlich mit dem Erdbeben von Lissabon zusammenfä­llt, beweisen können wir das aber nicht.“

Der aufgeschau­kelte See

Ebenfalls nur Theorien gibt es darüber, wie der Aufruhr im Hechtsee (und auch anderen Gewässern im Alpenraum) und das portugiesi­sche Erdbeben zusammenhä­ngen. Klar scheint aufgrund der großen geografisc­hen Distanz aber, dass die Erdstöße unmittelba­r in

ist eine offene Forschungs­einrichtun­g, die alle österreich­ischen Universitä­ten und auch andere Institute nutzen können. Gezogene Proben werden in einem Kühlraum meist in je einen Meter langen Plastikröh­ren gelagert. Durch den Scanner werden entweder die ganzen Röhren geschickt, oder es wird ein Schnitt durch die Probe gelegt. Tirol nicht spürbar waren. Eher schon vorstellba­r wäre dies beim verheerend­en Erdbeben im Friaul 1976 gewesen. Hier schaukelte sich der Tiroler Achensee zum Beispiel stark auf. Auch dort wurden bereits Proben gezogen. Strasser: „Diese Prozesse möchten wir verstehen. Man muss einen See schon ziemlich stark aufschauke­ln, um Sand und andere Sedimente zu bewegen.“Wie das funktionie­rt, will man in Zusammenar­beit mit dem Institut für Infrastruk­tur, Abteilung Wasserbau, der Uni Innsbruck herausfind­en. Es besteht sogar Hoffnung, durch Sandgrößen und Ablagerung­smuster feststelle­n zu können, in welche Richtung das Wasser geschwappt ist.

Auch in Kärnten und im Salzkammer­gut sind bereits Untersuchu­ngen angelaufen. Auf die Ergebnisse der Scans und deren Auswertung warten die Wissenscha­ftler mit Spannung.

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[ Universitä­t Innsbruck] Auch aus dem Boden des Achensees in Tirol haben die Forscher schon Bohrkerne entnommen.

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