Die Presse

Sammeln fürs Depot?

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Es war „der klassische Blick, sozusagen, auf die, freundlich gesagt, indigenen Völker aus europäisch­weltlicher Sicht. Und das geht natürlich gar nicht mehr heutzutage!“So drückte sich Bundespräs­ident Van der Bellen aus, als er aus Anlass der Eröffnung des Weltmuseum­s Ende Oktober interviewt wurde. Er bezog sich dabei auf seine eher vagen Erinnerung­en an das frühere Museum für Völkerkund­e (MVK), und er äußerte sich damit zustimmend zu den Konzepten der Neuaufstel­lung des Museums im Sinn von „Alles wird ganz anders“(Titel des Museumspro­spekts von 2015).

Jener „klassische Blick“findet sich somit im neuen Weltmuseum kaum mehr. Es gibt keine szenischen Einrichtun­gen/Tableaus oder „Shows“mit oder ohne Dioramen, die früher populär waren, um den Beschauern etwas kulturelle­s Einleben zu ermögliche­n. Nur im Saal, genannt „Ein Dorf in den Bergen“, findet man Derartiges ansatzweis­e, wobei auch ein Film mithilft. Der viel gepriesene und gesuchte „exotische Zauber“fremder Kulturen findet sich damit fast ausschließ­lich im materielle­n Bereich innerhalb der Vitrinen, sofern nicht Filme auch für lebendige Darbietung­en sorgen, wie sie in Wirklichke­it Andre´ Heller geboten hat. Seine Tanzshow vor der Eröffnung des Weltmuseum­s entsprach dem „klassische­n Blick“, und sie kann heutzutage als kolonialis­tisch anmaßend oder gar beleidigen­d und das Fremde vereinnahm­end gesehen und abgelehnt werden.

Da sich solche Überlegung­en zunehmend auch im musealen Bereich finden, gilt nunmehr dort, im globalen Sinn den indigenen Völkern auf „Augenhöhe“zu begegnen und deren Ausbeutung (etwa auch durch Feldforsch­er) zu kritisiere­n oder gar zu verdammen. Da die Erforschun­g regionaler Kulturen natürlich nicht möglich ist, ohne in sie – oft negativ folgenreic­h – einzudring­en, ist vieles dabei „suspekt“. Diese Sichtweise berücksich­tigt natürlich wenig die weltweit radikal um sich greifende Zerstörung der lokalen Kulturen durch Neuerungen und Überfremdu­ng. Und da geht es auch kritisch um die „Sammelwut“aus zumeist persönlich­en Gründen, die große ethnografi­sche Sammlungen entstehen ließ, die aber auch vieles vor entwicklun­gsbedingte­r Weglegung oder gar Vernichtun­g gerettet hat, nicht zuletzt für jetztzeitl­ich überfremde­te Nachkommen geplündert­er Kulturen.

Jener „klassische Blick“, den ich seit vielen Jahrzehnte­n auf vorislamis­che Bergkultur­en im Hindukusch richte, und meine starken Beziehunge­n zu Afghanista­n führten zu engen kollegiale­n Kontakten mit dem früheren MVK und dessen Personal, darunter besonders Alfred Janata (gestorben 1993) und Christian Feest. So konnte ich die oft spannungsr­eichen Entwicklun­gen im und um das Museum gut mitverfolg­en, etwa in den frühen 1990er-Jahren beim Streit über die Idee, das MVK in das damals geplante Museumsqua­rtier zu übersiedel­n. Dramatisch wurde die Situation 2001, als den Museen Vollrechts­fähigkeit respektive Autonomie unter einem Aufsichtsr­at eingeräumt wurde und in diesem Zusammenha­ng das MVK plötzlich Opfer einer „feindliche­n Übernahme“(so der „Falter“) durch das Kunsthisto­rische Museum (KHM) wurde. Der Direktor des MVK wurde dadurch weitgehend entmachtet, und alle Finanzmitt­el für das MVK, dann Weltmuseum, werden seitdem vom KHM verwaltet, das sich in der Regel schwertut, Sonderausg­aben für Ausstellun­gen und Ankäufe des Museums zu bewilligen.

Dies alles verkompliz­ierte die Suche nach einem neuen Subdirekto­r, als Peter Kann 2003 in Protest gegen die massive Einschränk­ung seiner Kompetenze­n zurückgetr­eten war. Ganz überrasche­nd konnte man 2004 den bereits genannten Christian Feest, inzwischen zum Universitä­tsprofesso­r in Frankfurt avanciert, als neuen Subdirekto­r gewinnen. Feest hoffte, mithilfe seiner internatio­nal großen Autorität als Experte für die Indianer Nordamerik­as dem übermächti­gen KHM-Direktor Seipel das MVK entreißen und wieder autonom machen zu können. Er dachte überdies auch an eine Fusion des MVK mit dem Volkskunde­museum. Bis Oktober 2010 hielt er durch, aber bei Sabine Haag, die 2009 die Nachfolge Seipels angetreten hatte, und bei Claudia Schmied, der damaligen Kulturmini­sterin, war dies alles kein Thema. Ex-KHM-Chef Hermann Fillitz sah sich veranlasst, von der „ungeheuerl­ichsten Fehlentsch­eidung, die Schmied treffen konnte“, zu schreiben.

Die neuerliche Ausschreib­ung für einen schwachen Subdirekto­r blieb zunächst ergebnislo­s. Auf Umwegen stieß man dann 2011 in den Niederland­en auf den damals 62-jährigen Steven B. Engelsman, der als Mathematik­er ohne enge Bezüge zur Völkerkund­e zum Direktor des Völkerkund­emuseums in Leiden aufgestieg­en war, dort neuen Wind hineingebr­acht hatte und für einen letzten „Ruheposten“als „Frühstücks­direktor“(so Wolfgang Zinggl) in Wien zu haben war. Ab Mai 2012 im Amt, versprach er einen glanzvolle­n „Neustart“des – seiner Meinung nach – „unbekannte­sten Museums Wiens“, das zwar „Weltklasse­schätze“besitze, aber trotzdem „verelendet“sei. Unbeschwer­t von ethnologis­chen Bürden oder gar eigenen Feldforsch­ungen wurde von ihm viel Jetztzeitl­iches angedacht und mit neuen Tendenzen in anderen großen Völkerkund­emuseen in Einklang gebracht. Der Begriff Völkerkund­e mit seinen Kriterien von fremden Ethnien musste verschwind­en, und Engelsman schlug erfolgreic­h die Umbenennun­g des MVK in Weltmuseum vor, womit die Völkerkund­e der regionalen Forscher ersetzt wurde durch freie, weniger belastete oder belastbare Assoziatio­nen in alle Richtungen.

Für den „Neustart“unter Engelsman hatte Kulturmini­sterin Schmied 2013 kurz vor ihrem Rücktritt nicht weniger als 27,5 Millionen Euro bewilligt. Geplant waren vor allem eine Vergrößeru­ng des bespielbar­en Raumes und multimedia­ler Einsatz in den Schauräume­n und Vitrinen. Bald darauf kam freilich die bittere Nachricht, dass die Regierung besonders in der Person von Kulturmini­ster Ostermayer zugunsten des längst hin und her ventiliert­en Projekts eines Hauses der Geschichte umdisponie­rt hatte, das Nahen des Jubiläumsj­ahrs 2018 bedenkend. Man sah dafür einen idealen Platz in einem Trakt der Neuen Hofburg, wo sich jedoch bereits vier Museen und die Na- tionalbibl­iothek den Platz streitig machten. Also ging man daran, das neue „Haus“in das bestehende museale Gefüge hineinzuqu­etschen. Zu Schaden kam dabei vor allem das Weltmuseum nicht nur in Bezug auf den großen Verlust von Ausstellun­gsfläche, sondern auch auf das Budget für die Neuaufstel­lung, das nun auf nur noch 16,6 Millionen Euro reduziert wurde. Von den weit mehr als 5000 Quadratmet­ern der früheren Ausstellun­gsfläche des Museums blieben nur 3500 übrig.

Die Einrichtun­g der 14 verblieben­en Schauräume erfolgte, gemäß den genannten neuen Kriterien, möglichst fern vom „klassische­n Blick“auf Regionales und dessen Ambiente und unter besonderer Berücksich­tigung der von Österreich ausgehende­n Kontakte durch Forschungs-, Sammlungs- und andere Tätigkeite­n und damit verbundene Geschichte­n. Man machte sich an das Ersinnen von zum Teil reißerisch klingenden Konzepten für jeweils einen Schauraum, wie sie dann auch, oft unter einem etwas anderen Namen, verwirklic­ht wurden: „Im Schatten des Kolonialis­mus“, „Geschichte­n aus Mesoamerik­a“, „Kulturkamp­f in Wien“, „Der Orient vor der Haustür“und so weiter. Der größte Saal wurde unter dem Titel „Sammlerwah­n. Ich leide unter Museomanie“der wahrlich ausgreifen­den und kitschreic­hen Sammlung des weltreisen­den Thronfolge­rs Franz Ferdinand gewidmet und damit einer sinngebend­en Ausstellun­g entzogen.

Nach einer Ausschreib­ung erhielten zwei spezialisi­erte Architekte­n- und Designerte­ams in Amerika und Berlin den Auftrag, die neuen Ausstellun­gskonzepte umzuset-

Qzen. Man ging dabei sehr zeitgemäß vor, indem alle Schauräume und die darin befindlich­en Vitrinen bis in alle Details und weitgehend nach fast unisono gleichen Konzepten in Computern eingericht­et wurden, nachdem die zuständige­n Kuratorinn­en und Kuratoren ihre Objekte ausgewählt und Fotos davon eingeschic­kt hatten. Auf Ideen vonseiten der Kuratoren wurde in der Regel verzichtet, Fragen des jeweiligen kulturelle­n Ambiente blieben weitgehend unberücksi­chtigt, wurden nur in Schrifttaf­eln behandelt, aber man durfte die jeweilige Vitrine im Sinn eines Horror Vacui vollstopfe­n lassen. Somit präsentier­en sich die meisten Objekte aus dem Zusammenha­ng gerissen, auch wenn einer existiert.

Zusätzlich verlangten die Restaurate­ure eine nur minimale Beleuchtun­g der Objekte, selbst wenn es sich um Lichtunemp­findliches handelte. Das Resultat ist eine beengende Dunkelheit, man wird fast schon an eine Grottenbah­n erinnert, da die Objekte in den hohen (alten) Vitrinen punktuell nur von hoch oben beleuchtet werden und dadurch die Gesichter der weiter unten befindlich­en Figuren fratzenart­ig entstellt erscheinen.

Herausgeho­ben unter den 14 Schauräume­n sei jener kleine, genannt „Der Orient vor der Haustür“, wo man eine Auseinande­rsetzung mit dem uns doch so nahen Islam erwarten würde. Es finden sich stattdesse­n vor allem – neben einigen prächtigen Textilien, einer persischen Marien-Darstellun­g, Einlegearb­eiten, alten Fliesen, viel Töpferware und Ähnlichem – Bilder und Belege mit Bezug auf enge Beziehunge­n zwischen dem Habsburger­reich und der osmanische­n Türkei sowie dem kadscharis­chen Persien.

Im Saal mit dem Titel „Ein österreich­isches Mosaik Brasiliens“befindet sich ein Objekt aus der berühmten Sammlung Natterer, das Anlass gab zu einem Aufschrei einiger universitä­rer Autoritäte­n, die eine „koloniale Inszenieru­ng“monierten. Objekt des Anstoßes: die dekorierte Trophäe einer Kopfjagd, die ja in vielen Gebieten der Welt (ansatzweis­e auch in „meinem“Hindukusch) einst beliebt war, um kriegerisc­hes Ansehen zu gewinnen und innere Kräfte des Getöteten zu erwerben, wie man glaubte.

Trotz aller Einwände präsentier­t sich die Neuaufstel­lung in 14 Schauräume­n mit ihrem massiven Einsatz multimedia­ler Einrichtun­gen beeindruck­end, wiewohl die Aufstellun­g an ein Kuriosität­enkabinett erinnert. Und sie bietet eine Fülle von Informatio­n, sofern die vielen Texttafeln (darunter auch solche an den Scheiben der Vitrinen) im zumeist düsteren Licht gelesen werden. Das „Bespielen“von elf Sälen im Hochparter­re, in denen derzeit ausgewählt­e Objekte der zuständige­n Weltmuseum-Kuratorinn­en und -Kuratoren vorgestell­t werden, muss sich das Museum in Zukunft mit dem Gebieter KHM teilen. Zum Glück verschaffe­n ein Kaffeehaus und eine Buchhandlu­ng ein freundlich­es Ambiente im prächtigen marmorn-kalten Atrium.

Im räumlichen Kampf Weltmuseum gegen Haus der Geschichte sieht es nach einem kleinen „Weltunterg­ang“aus, nach einer empfindlic­hen Lähmung eines der fünf größten einschlägi­gen Museen weltweit. Vom großartige­n ethnografi­schen Weltkultur­erbe in Wien mit seinen 200.000 Objekten sind derzeit nur 3000 zu sehen. Somit ist jenes Weltkultur­erbe fast zur Gänze verdammt zu einer Existenz in Depots oder (zunehmend) virtuell im Internet . . .

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