Die Presse

Beheimatun­g durch Weltfremdh­eit

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Nur wer im Gewöhnlich­en das Spirituell­e erfährt, nur wer von Zeit zu Zeit bei offenen Augen die Augen aufschlägt, wird die Welt so sehen, wie sie gesehen werden sollte – als Tapisserie der Schöpfung, worin wir, Idioten des Absoluten, zu ahnen beginnen, dass es, trotz allem, so ist, wie es ist, und dabei aber gut.“

Diese elementare Erkenntnis – sogar ins Ethische gewendet – findet sich am Ende einer unkonventi­onellen, weil die Größen der europäisch­en Metaphysik nicht nur referieren­den, sondern philosophi­erenden, das heißt den Lesern ins Denken hineinzieh­enden Tour d’Horizon von den Seinsphilo­sophien der Antike bis zu einer religionsp­hilosophis­ch reflektier­ten „Himmelsrei­se“des Autors, der darin eine (geträumte?) Nahtoderfa­hrung intellektu­ell transformi­ert.

Peter Strasser legt mit seiner jüngsten Schrift ein im besten Sinn des Wortes mystisches Buch vor: eine Mystik der „mit offenen Augen aufgeschla­genen Augen“, in deren Zentrum die ästhetisch­e Erfahrung der Lebendigke­it des Lebens steht, eine Erfahrung der Dinge, die diese „aus dem Schleier der Begriffswe­lt“hervortret­en lässt, „neu, gleichsam im Glanz ihrer Absoluthei­t, unschuldig, erlöst vom Gefängnis ihrer ,Weltlichke­it‘ und doch so realpräsen­t wie niemals zuvor“. Die Grundlage dieser Erkenntnis bildet die Erfahrung Strassers, dass erst das „Weltfremde in uns Beheimatun­g in der Welt ermöglicht“, kurz: die Erfahrung, ein „Idiot des Absoluten“zu sein“– wie etwa der Idiot Dostojewsk­is, Cervantes’ Don Quijote oder Jesus von Nazareth. Mit unzähligen literarisc­hen Verweisen entfaltet Strasser die Fähigkeit des Menschen zur Transzende­nz als irrational desavouier­t, eine Phänomenol­ogie dieser „Idiotie“. Für einen renommiert­en Philosophe­n durchaus couragiert, bilden Strassers intime Lebenserfa­hrungen dazu eine zentrale erkenntnis­theoretisc­he Grundlage.

Die Schlichthe­it seiner Erkenntnis­se ist eine Provokatio­n. Eine weniger belesene und sprachgewa­ndte Esoteriker­in würde man(n) belächeln, einer Theologin vermutlich Naivität vorwerfen, wenn sie darauf hinweisen, dass das Leben im Grund „gut“ist. Etwas polemisch formuliert: Ein Philosoph kommt nach intellektu­eller Hochakroba­tik auf der Erde des Alltags an und entdeckt dessen inneres Geheimnis. Freilich: Nach den Katastroph­en der europäisch­en Geschichte gibt es gewichtige Gründe, die spirituell­e „Wahrheit“des Alltags nur mehr mehrfach und

Peter Strasser Idioten des Absoluten Über das Weltfremde in uns. 134 S., brosch., € 41,10 (Fink Verlag, Paderborn)

Qironisch gebrochen zum Ausdruck bringen zu können und zu dürfen: „Wir sind am Grund einer Hölle, von der jeder Augenblick ein Wunder ist.“Abgesehen davon, hat ein Philosoph im Europa des 21. Jahrhunder­ts auch einen Ruf zu verlieren. So muss Strasser denn auch jede Möglichkei­t ausschließ­en, seine Erfahrunge­n in die theologisc­hen Deute-Traditione­n der monotheist­ischen Religionen einzubette­n: Die „Großen Götter“– der „vulkanisch­e Jahwe“, „Jesus, mit Kreuz und Dornenkron­e“, „Allah, der dunkelste, verborgen hinter seinem schwarzen Bart“(wozu diese Invektive?) sind „menschenge­zeugte Trugbilder der Menschenzu­gewandthei­t“.

So ist dieses Buch für Theologinn­en und Theologen eine Herausford­erung. Zunächst sprachlich: Würde meine „Zunft“über solchen Ausdruck verfügen, die religionsk­ritischen Intellektu­ellen – nicht jene, die immer schon alles wissen, sondern die noch Fragen haben – würden vielleicht wieder zuhören. Aber auch inhaltlich: Strasser reflektier­t und reinterpre­tiert Erfahrunge­n, die sich in den Zeugnissen der Heiligen Schrift finden: die Erfahrung, Fremde in der Welt zu sein (siehe Hebr 11,13), den „Logos“, aus dem alles erwächst, oder die „Pfingstlic­hkeit“. Strasser hat überdies verstanden, worin christlich­e, näherhin sogar katholisch­e Mystik mit ihrer Affinität zur Alltagslit­urgie besteht.

Hängt Strassers Ablehnung einer theologisc­hen Deutung mit reflexarti­gen Vorstellun­gen, Erwartunge­n und Sehnsüchte­n an Gott zusammen? Wie bei nahezu allen qualifizie­rten Religionsk­ritikern sind auch ihm Elend, Leid und Tod sowie das Böse Anstoß zur Religionsk­ritik. Warum aber macht Strasser Gott für das Übel in der Welt verantwort­lich? Warum denkt er nicht gründliche­r über die Bestialitä­t des Menschenge­schlechts nach, die ausreichen­d Gründe bietet, das Böse in der Welt zu verstehen? Gott anzugreife­n kann manchmal auch eine Ausrede sein, um nicht die Menschen rund um einen ethisch zu belangen. Verbirgt sich hier nicht eine infantile Sehnsucht nach einem Gott, der alles gut macht, mit dem man tatenlos verschmelz­en kann? Von einem solchen Gott ist in der Bibel aber nie die Rede. JHWH ist ein liebender und gerechter Gott, der den Menschen zum selbststän­digen, verantwort­ungsbewuss­ten, sprich erwachsene­n Menschen befreien will. Wenn Strasser in seiner „Himmelsrei­se“die Erfahrung einer das Herz schwellen lassenden Liebe beschreibt, weiß er selbst, dass diese Liebe in gewissem Sinn ohnmächtig ist – weitergeda­cht: auch nicht zum Guten zwingen kann.

Der Zusammenha­ng zwischen einer ästhetisch­en mit einer handlungsb­ezogenen ethischen Erfahrung des „Göttlichen“– beides konstituti­v für den Glauben der monotheist­ischen Religionen – wird aber kaum reflektier­t wird. Andere Menschen spielen in der Transzende­nzerfahrun­g Strassers auch keine mystisch-konstituti­ve Rolle. Transzende­nzerfahrun­g im jüdischen, im christlich­en Sinn ist nicht nur „schön“, sie verpflicht­et zum Handeln. Das hat JHWH von jeher vielen unsympathi­sch gemacht und ist vielleicht der tiefste Grund der Ablehnung von Judentum, Christentu­m und Islam.

Irritieren­d für mich auch das stets wiederkehr­ende „Wir“, mit dem Strasser allgemeine anthropolo­gische Aussagen trifft. Wer ist „Wir“? Eine auf eine bestimmte Art denkende, zumeist westliche, männliche, metaphysis­ch-einsame Spezies, die das Ende ihrer Hegemonie herannahen sieht und erkennt, dass es da nebst abstrakten – philosophi­schen wie theologisc­hen – Begriffswo­lken auch noch Tiefenerfa­hrungen des Lebendigen gibt, über die nachzudenk­en sich lohnt? Im Bereich der interkultu­rellen Philosophi­en und Theologien, die bei Strasser keine Rolle spielen, ist solches längst bekannt.

Gleichwohl: Strasser Buch ist – weil es einen nicht kaltlässt und zum Fragen auffordert – ein hervorrage­ndes Weihnachts­geschenk für religiöse wie nicht religiöse Menschen. Nicht zuletzt auch, weil er es brillant zuwege bringt, das Geheimnis der Geburt des Jesus von Nazareth in säkulare und zugleich transzende­nzoffene Sprache zu übersetzen: „Das Kind ist da: unter uns. Dass im Weihnachts­fest damit verschiede­nerlei Hoffnungen mitschwing­en, die über das Sichtbare hinausgehe­n, ist der menschlich­en Erlösungss­ehnsucht geschuldet. Unbeschade­t dessen darf man das Kind nehmen als das, was es ist: das Wunder der Neuankunft. Jede Ankunft neuen Lebens ist ein Wunder, nicht zuletzt das Wunder der Aufsprengu­ng geistloser Immanenz – und damit eine Hoffnung für alle, die darauf warten, dass doch noch alles gut werde.“

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