Die Presse

Lass uns ein, alter Mann!

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AWer traf wen? Titel der Geschichte, Verfasser, Jahr der Veröffentl­ichung?

Qch, Erkenntnis! Allzu oft tut sie ziemlich weh, muss man sie zulassen, allerdings ebnet sie auch häufig den Weg in eine neue, bessere Lebensrich­tung. Der Lerneffekt ist jedenfalls ein großer und selbst im höheren Alter noch möglich, wie der gnädige Herr, von dem gleich die Rede sein wird, einst feststelle­n musste.

Ein nicht sehr freundlich­er oder angenehmer Zeitgenoss­e war er, der Herr; Eigenschaf­ten wie Großzügigk­eit oder Hilfsberei­tschaft seinen Mitmensche­n gegenüber waren vergeblich bei ihm zu suchen – ein Misanthrop, oder wienerisch: Grantler, wie er im Buche steht, war er. Freunde hatte er keine mehr, die hatten sich längst von ihm abgewandt; ebenso wenig hatte er aktiv Kontakt zu seiner Familie gepflegt. Das Einzige, was ihn interessie­rte, waren sein Geschäft und sein Reichtum.

Als er an einem kalten Abend zu Hause ankam, erhielt er unverhofft Besuch – von Personen, die er nicht kannte. Üblicherwe­ise ließ er niemanden ein, doch diesmal merkte er, dass er keine Wahl hatte und sich mit diesen Personen auseinande­rsetzen musste. Mit den Besuchern erinnerte er sich dann an Episoden aus seinem Leben, die teilweise recht lange zurücklage­n; es waren schöne und weniger schöne Erinnerung­en.

Eine der Personen erzählte ihm Dinge, von denen er nichts wusste: von seinem Angestellt­en und dessen familiärer und finanziell­er Situation; von seinem Neffen, dem letzten Verwandten, der immer wieder den Kontakt zum Onkel suchte, aber vergebens. Schließlic­h war da noch ein Besucher, der mit ihm ein Gedankensp­iel durchführt­e: Wie würde wohl die Zukunft des alten Herrn aussehen? Tja, keineswegs rosig. Er sah seinen Tod und die nicht vorhandene Trauer der Menschen, die mit ihm zu tun gehabt hatten, sogar ihre Freude. Diese Erkenntnis ließ den alten Mann nachdenkli­ch zurück – und führte fürwahr einen Sinneswand­el herbei.

Diese eine Nacht – oder besser: das Zusammentr­effen mit drei seltsamen Gestalten – hatte also auf einmal alles im Leben des alten grimmigen Mannes geändert, der allen Menschen ab sofort als galanter und großzügige­r Herr begegnete. Der Weihnachts­zauber hatte letztlich auch auf ihn seine Wirkung gehabt; zumindest steht es so in der Literatur.

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