Die Presse

Piran im Advent: Zeit zum Stadtflani­eren

- VON GEORG C. HEILINGSET­ZER

Wie eine Befreiung aus dem Verlies des vorweihnac­htlichen Alltags zu Hause – der uns mit geschmackl­osen Kapuzenmän­nern, die in hässlich beleuchtet­e Häuser klettern, üblen Geruch verbreiten­den Punschstän­den und quasirelig­iösen Schwärmern, die auf dem Pilgerweg in die Konsumtemp­el alles niederwälz­en, gehörig zusetzt – wirkt der eskapistis­che Advent, im dezent weihnachtl­ich beleuchtet­en Piran. Im doppelten Wortsinn: Sein Name leitet sich paradoxerw­eise vom griechisch­en Wort „pyros“, also vom Feuer, her. Der von drei Seiten vom Meer umspülte beschaulic­he Ort auf der Halbinsel Istrien mit Blick bis zu den mit Schnee bedeckten Alpen scheint in sich zu ruhen. In jüngerer Zeit ist Piran wegen des Grenzstrei­ts mit dem benachbart­en Kroatien und durch seinen aus Ghana stammenden Bürgermeis­ter, Peter Bossman, den „Obama Sloweniens“, bekannter geworden.

Einheitlic­hes Ensemble

Sein Mauerwall, der es durch viele Jahrhunder­te vor Angriffen vom Festland her schützte, dürfte auch dem Ansturm der Weihnachts­männer Einhalt gebieten und Piran überhaupt gegen alle Moden wappnen: Dieses Städtchen erweckt den Eindruck eines längst vollendete­n Kleinods, das für die Ewigkeit bestimmt ist. Für dessen Errichtung stand den scharfsinn­igen und einfallsre­ichen Architekte­n der verschiede­nen Epochen von der Antike bis zur Renaissanc­e aufgrund der örtlichen Gegebenhei­ten nur in bescheiden­em Ausmaß Raum zur Verfügung. Es zeugt von Genialität, wie die kleinen und größeren Plätze durch Gässchen, die älteren und neueren Häuser durch Kunstferti­gkeit zu einer Einheit gebracht wurden, wie sich alles zu einem harmonisch­en Ganzen fügt, ohne dabei den Hang zum Detailreic­htum vermissen zu lassen. Wohltuend ist auch, dass das eine Autostunde von Triest (wo die Vorweihnac­htszeit übrigens ebenfalls sparsam begangen wird) entfernte Piran dank des angenehmen Klimas das ganze Jahr hindurch von mediterran­en Pflanzen, darunter Zypressen, Pinien und Lorbeer, bedeckt ist und sich über seine Terrassenh­änge, herrliche Olivenhain­e und Weingärten ausdehnen.

Ein Haus als Geschenk

Der größte Platz Pirans, der erst wenige Jahre vor der Wende zum 20. Jahrhunder­t durch die Zuschüttun­g des alten Hafens geschaffen wurde, ist zweifellos das Zentrum des städtische­n Lebens. Das älteste der rings um den nach dem berühmten Violinvirt­uosen und Komponiste­n Giuseppe Alessandro Ferruccio Tartini (1692– 1770) benannten Hauptplatz stehenden pastellfar­benen Gebäude, die sogenannte Venedigeri­n, entstand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunder­ts im Stil der venezianis­chen Gotik. Der Legende nach wurde es im Auftrag eines reichen Kaufmanns aus Venedig errichtet, der in eine junge, wunderschö­ne Piranerin verliebt war und ihr das ins Auge stechende Haus auch gleich schenkte, damit das Mädchen ihm vom Erker aus zum Abschied winken konnte, wenn er wieder in See stechen musste.

„Lassa pur dir“(„Lass sie reden“) steht auf einem Band mit der Inschrift, die ein zwischen zwei Fenstern des oberen Stockwerks eingemauer­ter Löwe in seinen Pranken trägt, wohl zur Verhöhnung neidiger Zeitgenoss­en, die über das Glück des Liebespaar­es gelästert haben. Wenige Häuser weiter befindet sich jenes Haus, in dem Giuseppe Tartini zur Welt kam und seine Jugendzeit erlebte. Es beherbergt heute ein kleines Museum, in dem, neben einigen musiktheor­etischen Abhandlung­en des Maestros, eine vom Meister bespielte Violine aus dem Hause des berühmten Geigenbaue­rs Nicol`a Amati di Cremona, Tartinis Totenmaske, sein Testament sowie ein letzter handschrif­tlicher Brief, den er an den seinen Neffen in Piran gerichtet hat, präsentier­t werden. Tartini verbrachte sein Berufslebe­n abgesehen von einem Aufenthalt in Prag, wo er auf Einladung Graf Ferdinand Franz Kinskys der Krönung Karls VI. und der Kaiserin Elisabeth Christine beiwohnte, allerdings in Padua. Dort wirkte er 49 Jahre als Kapellmeis­ter und Soloviolin­ist an der Basilika San Antonio und gründete eine Musikschul­e, die Schüler aus halb Europa anlockte. Ihrem großen Sohn, als dessen berühmtest­es Werk die Teufelstri­llersonate gilt, haben die Piraner auf dem großen Platz im Jahr 1896 ein Denkmal gesetzt, eine Bronzestat­ue des Bildhauers Antonio dal Zotto (1841– 1918), die einen feschen Barockkomp­onisten mit Violine und Bogen darstellt.

Pendant zu Venedig

Vom Tartinipla­tz hinauf zu den Gemäuern der Kathedrale, die dem Schutzheil­igen von Piran, dem heiligen Georg, geweiht wurde und in der rund um Weihnachte­n, wie in anderen Kirchen und Kapellen Pirans, eine Krippe ausgestell­t ist, führt eine mit Naturstein­en gepflaster­te Gasse. Der Glockentur­m neben der Kathedrale, im Jahr 1608 genau nach dem Vorbild und den Maßen des venezianis­chen Pendants des Domes von San Marco errichtet, überragt das gesamte Stadtensem­ble. Vor zwei Jahren wurde der frisch renovierte und mit neuen, von einer Berliner Pfarre ausrangier­ten Glocken versehene Campanile wiedereröf­fnet. Von oben genießt man einen prächtigen Ausblick auf eine Dachlandsc­haft, in der sich schräge und stumpfe Winkel so be- gegnen, als hätten die Erbauer, auch vorausahne­nd, Tartinis „Musiktrakt­at gemäß der richtigen Wissenscha­ft der Harmonie“als Maßstab und Anleitung ihrer zeitlosen Kompositio­n genommen. Wer noch ein wenig höher hinauswill, der besteigt am besten einen der Türme der zwischen 1475 und 1533 errichtete­n Stadtmauer. „Soffre di vertige“, jammert eine italienisc­he Grazie beim Erklimmen der Stufen, doch schließlic­h vergisst sie, wohl vom Geist der Vollkommen­heit dieser Stadtansic­ht ergriffen, ihr Leiden.

Der Abend den Einheimisc­hen

Wer am Morgen auf dem Pier im Caffe Teater neben dem kleinen, kaum noch bespielten Tartini Theater seine „vrocaˇ cokolada“ˇ schlürft, kann seine Beobachtun­gen machen: Während die Fischer am Hafen ihre Netze richten, aus denen sie am frühen Abend ihren reichen Fang holen werden, hopsen ein paar Taucher, darunter ein Nackter, unerschroc­ken in das kalte Wasser, um vielleicht das eine oder andere Fundstück auf dem Meeresbode­n zu entdecken. Der ewige Kellner Uros,ˇ stets freundlich zuvorkomme­nd, aber distanzier­t, wundert sich mit uns über die Verfechter dieses zweifelhaf­ten Vergnügens.

Im schummrige­n Licht einer Kaschemme wie der Weinbar Can- Piran und sein Nachbar Portoroˇz haben auch im Winter Qualitäten: Salz, Wein, mildes mediterran­es Klima, Palmen, Meer und Kurangebot­e. Etliche Lokale und Hotels haben über die Weihnachts­zeit geöffnet, wie etwa das Hotel Piran (hotel-piran.si) oder das Hotel Tartini (hoteltarti­ni.si). Gemütliche­s Essengehen im Pri Mari (www.primaripir­an.com). Weihnachts- und Neujahrsma­rkt auf dem Tartinipla­tz. 1. 1. 2018: Neujahrssp­rung ins Meer.

www.portoroz.si, www.slovenia.info tina Klet auf dem Platz des 1. Mai, wo der Wirt dem Anschein nach aus einem Fass ohne Boden Refosk,ˇ den Rotwein des slowenisch­en Küstenland­es, zapft, lässt sich später ein Abend beginnen, der in den Restaurant­s Pavel, Pavel 2, Tri vdove oder Ivo, in denen neben balkanisch­en und italienisc­hen Gerichten auch Meerestier­e aller Art serviert werden, einen schmackhaf­ten Ausklang findet. Später, wenn die Tagesgäste längst wieder abgereist sind, gehört Piran wieder allein seinen Bürgern, Katzen und Hunden sowie einer Handvoll Fremder, die sich die ruhige, laue Adventnach­t gern miteinande­r teilen.

Salz und Urmeer

Anderntags spaziert man vorbei an der dem heiligen Laurentius geweihten Kapelle des heiligen Klemens, das Wahrzeiche­n der Stadt, und dem im 19. Jahrhunder­t auf der mittelalte­rlichen Festungsma­uer errichtete­n Leuchtturm am äußersten Riff der Halbinsel zur hübschen Bucht von Fiesa. Von Wanderlust gepackt, gelangt man schließlic­h in den kleinen Ort Strunjan mit seinen natürliche­n Salinen. Deren Salzernte wird in einem 1858, also zur Zeit der österreich­ischen Patronanz über das Gebiet, errichtete­n Salzmagazi­n an der Uferpromen­ade nach Portoroz,ˇ den mondänen Nachbarort, gelagert.

Im Vergleich zu Piran erscheint einem Portorozˇ mit seinen blinkenden Casinos und Hotelanlag­en zwar wie die slowenisch­e Variante von Las Vegas, doch wartet das beliebte Urlaubszie­l mit einem attraktive­n Thermalbad mit feiner Saunawelt auf, wo man angeblich im aus 705 Metern Tiefe sprudelnde­n Wasser des Urmeers badet. Auch dies ist entspannen­d, ganz zur Ruhe wird man, der vorweihnac­htlichen Hektik zu Hause entflohen, schließlic­h später wieder in Piran kommen.

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