Die Presse

Azoren: Im Ozean geht’s aufwärts

Atlantik. Karge Hochländer und gewaltige Kraterseen, aus dem Meer aufragende Vulkanberg­e und paradiesis­che Wasserfäll­e: Ein Österreich­er auf den Azoren entführt Wanderer zu den schönsten Flecken.

- Von REN JO LAGLSTORFE­R E ´

Wir stehen mitten in einem riesigen Vulkankrat­er mit 14 Kilometern Durchmesse­r. Die letzte Eruption datiert von 1630, was erdgeschic­htlich betrachtet „gar nicht lang her ist“, erzählt Oliver Handler seinen zwölf Wanderern im azorischen Schwefelku­rort Furnas. Der Niederöste­rreicher lebt seit 2011 auf den Azoren, die eigentlich Milhafres heißen müssten. „Die portugiesi­schen Entdecker hielten die zahlreiche­n Mäusebussa­rde für Habichte. Auf Portugiesi­sch heißen sie ,acores‘,¸ deshalb wandern wir heute auf den Azoren“, erzählt der 42-Jährige seinen Zuhörern.

Alte Kirchen, Kuhherden und Kukuruzfel­der säumen den Weg nach Furnas auf der Hauptinsel Sao˜ Miguel. Sie ist eine von neun Azoreninse­ln, von denen wir auf dieser Reise mit Handler fünf besuchen werden. Im Ort selbst raucht und blubbert es, sogar aus den Kanaldecke­ln. Die Caldeiras genannten Schwefelqu­ellfumarol­en sind vulkanisch­en Ursprungs und verleihen dem Ort etwas Mystisches. In manchen Caldeiras werden Maiskolben gekocht und an Touristen verkauft. Eine Quelle hat mit 80 Grad die perfekte Temperatur, um azorischen Tee aufzugieße­n, der auf den Inseln von April bis Oktober wächst. Zudem gibt es hier zahlreiche Bademöglic­hkeiten, öffentlich wie privat. Die schönste ist die Therme Poca¸ da Dona Beija mit einem tropischen Garten, vielen Steinbecke­n und einem Bachbett zum Baden – ein kleines Naturparad­ies, in der Nacht stimmungsv­oll erhellt.

Das Essen ausgegrabe­n

„Ein bisschen Jurassic-Park-Feeling“, kündigt Handler die spektakulä­re Wanderung am nächsten Tag an. Mit ihren Riesenfarn­en und ihrer üppigen, unberührte­n Flora erinnert die Natur tatsächlic­h an die Urzeit. Wie im Bilderbuch stürzt aus dem dichten Urwald der Wasserfall Salto de Prego rund 20 Meter tief in ein Naturbecke­n, das wir schwimmend erkunden. „Seinen Namen Nagelwasse­rfall verdankt er vermutlich dem Ge- fühl, das man auf der Haut spürt, wenn man sich unter die Wassermass­en stellt“, warnt Handler, der in den vergangene­n 15 Jahren nach und nach die schönsten Wanderrout­en auf den Azoren erschlosse­n und dank einer Kooperatio­n mit dem Reiseveran­stalter Welt Weit Wandern sein eigenes Unternehme­n aufgebaut hat. Seither zeigt der charismati­sche Emigrant jedes Jahr rund 200 Wanderern aus Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz die schönsten Flecken des Archipels.

Zurück in Furnas beobachten wir am gleichnami­gen Kratersee, wie unser Abendessen ausgegrabe­n wird. Bei 70 bis 80 Grad gart

auf allen neun Inseln des Archipels. Insgesamt gi\t es an die 80 markierte Wanderwege, in Summe 800 Kilometer lang für jede konditione­lle Verfassung und Anforderun­g. Es gi\t auch fünf Fernwander­wege. Die Herausford­erung schlechthi­n ist der Montanha do Pico: Für den 2351 Meter hohen Berg – der höchste Portugals – muss man mindestens sechs Stunden Gehzeit einrechnen. Auch Mountain\iker können auf den Azoren viele Kilometer machen, Radfahren ist auf den früheren Wegen der das azorische Nationalge­richt Cozido langsam in der Erde. Es besteht aus der Marlene, einer Blutwurst, sowie aus Schweine-, Rindund Hühnerflei­sch, Gemüse, Yamswurzel­n, Kraut und Erdäpfeln. „Da es früher zu Streitigke­iten unter Familien gekommen ist, wenn der falsche Topf ausgebudde­lt wurde, gibt es jetzt einen offizielle­n Ausgräber der Gemeinde“, erfahren wir beim Nachtmahl.

Besuch im Hobbitland

Von der größten und bevölkerun­gsreichste­n Insel Sao˜ Miguel ist es eine gute Flugstunde zur westlichst­en Azoreninse­l Flores. Sie liegt wie ihre kleine Nachbarins­el Schafhirte­n und Feldwegen oft möglich.

werden von zahlreiche­n Veranstalt­ern ange\oten, meist handelt es sich da\ei um Wanderreis­en – unter anderem \ei Ruefa, Rhom\erg oder ASI. Die \eschrie\enen Touren wurden im Zuge von „Olivers Azoren2 unternomme­n, einem 15-tägigen Trip des Grazer Spezialan\ieters Weltweit wandern. Die nächsten Reisetermi­ne sind im Mai 2018. www.weltweitwa­ndern.at

www.visitazore­s.com Corvo bereits auf der nordamerik­anischen Platte und gehört damit zumindest geologisch zu Amerika. „Die Azoren erscheinen aus mitteleuro­päischer Sicht isoliert und weit draußen im Atlantik“, meint Wanderprof­i Handler. „Aber anderersei­ts liegen sie auch zentral: Nach Toronto sind es fünf Flugstunde­n und nach Boston sogar nur vier.“Also geht unsere erste Wanderung auch gleich an das Ende Europas – zumindest im politische­n Sinn – zum letzten Felsen vor Amerika, dem Ilheu´ do Monchique. Dort überwindet die Touristeng­ruppe 800 Höhenmeter und erhält dafür als Lohn fantastisc­he Ausblicke auf die wild zerklüftet­e Steilküste und die kleinen Inseln vor Flores. „Diese Insel ist Hobbitland. Statt in Neuseeland hätte ,Herr der Ringe‘ ohne Probleme auch hier gedreht werden können“, sagt Handler, der Flores zu seinen Lieblingsi­nseln zählt.

Die kleinste und abgelegens­te Azoreninse­l, Corvo, erreicht man mit einem motorisier­ten Schlauchbo­ot; rund eine Stunde fährt man zu diesem Eiland, das praktisch nur aus einem riesigen Vulkan besteht. Traumhafte Steilküste­n mit malerische­n Wasserfäll­en und Höhlen säumen den Weg, und fünf verspielte Delfine gewähren uns Begleitsch­utz. Der Höhepunkt jedes Corvo-Ausflugs ist der erloschene Vulkan Caldeirao˜ – mit zwei Kilometern Durchmesse­r und 300 Metern Kratertief­e ist er ein grüner Riese. Innerhalb des weiten Vulkanschl­undes grasen zwischen den kleinen blauen Lagunen Kühe auf den Kraterweid­en, an einigen der Steilhänge betreiben die Einwohner der 400-Seelen-Insel Landwirtsc­haft.

Seismische­r Inselzuwac­hs

Kosmopolit­isches Flair liegt hingegen auf einer anderen Insel in der Luft, Faial, beziehungs­weise deren Inselhaupt­stadt: In Horta gibt es englische Pubs und einen internatio­nalen Segelhafen. 1957 erlebten die Insulaner ein seltenes Naturereig­nis: Durch den gewaltigen Ausbruch des Vulkans Capelinhos ist Faial zwischenze­itlich um eine 2,4 Quadratkil­ometer große Halbinsel gewachsen. Gesäumt vom Grün der ehemaligen Landgrenze wandern wir auf einer kargen, aus braunem Sand bestehende­n Marslandsc­haft. Eine besondere Kuriosität ist der früher am Meer gelegene Leuchtturm der Insel – seit Ende des Ausbruchs steht er mitten im Land und hat seine Funktion verloren. Belohnt wird die Rundwander­ung überdies mit majestätis­chen Ausblicken auf jenen Berg, der wie ein riesiger Kegel aus dem Meer herausragt: Der Vulkan Pico ist mit 2351 Metern der höchste Gipfel Portugals und die große Herausford­erung für morgen.

Der Pico schläft nicht

Schon um halb acht in der Früh startet die erste Fähre von Horta auf die Nachbarins­el Pico, die mit ihrem Mikroklima an den fruchtbare­n Vulkanhäng­en für den besten Wein der Azoren bekannt ist. Der etwa dreistündi­ge Aufstieg zum Kraterrand ist steil und ermüdend. Auf der Vulkanspit­ze Piquinho angelangt, haben wir Glück, und der Nebel reißt kurz die Wolkenbank auf und vergönnt uns einige Sonnenstra­hlen, bevor es wieder zu regnen beginnt. Der Abstieg ist kräftezehr­end und auf dem glitschige­n Lavagestei­n besonders schwierig. Dennoch bezwingen den Pico alle Teilnehmer der Gruppe, selbst die ältesten mit knapp 80 Jahren.

Beim Abstieg säumen erstarrte Lavabäche den Weg ins Tal, fast wie asphaltier­te Gehsteige. Viele Gesteinsbr­ocken sind spürbar heiß, und aus einigen Felsen raucht es – der Pico schläft nicht, er ist aktiv. „Ich vergleiche unsere Erdkruste mit einem durchgesch­lissenen Socken, in dem ein Loch entsteht, wodurch es zu Vulkanausb­rüchen kommt“, erläutert Handler.

Von den Azoren bis Lissabon soll sich eine Kette von vulkanisch­en Unterseebe­rgen spannen, die es – anders als die mächtigen Vulkane Pico und Capelinhos – knapp nicht geschafft haben, aus dem Meer herauszutr­eten. „Vielleicht gibt es in den Weiten des Atlantiks ja bald eine Insel mehr zu erkunden“, meint Handler noch zum Abschied.

Newspapers in German

Newspapers from Austria