Die Presse

Hyggelig wohnen in der Kaserne

Wohngeschi­chte. Wie leben Architekte­n? Anna Obwegeser und Alexander Diem wohnen mit ihren Kindern seit drei Jahren im Arsenal im 3. Bezirk – und lassen sich davon auch beruflich inspiriere­n.

- VON DANIELA MATHIS

An die Raumhöhe muss man sich gewöhnen“, meint Obwegeser mit Blick hinauf auf rund 4,20 Meter. „Dabei ist das nur die abgehängte Decke“, ergänzt Diem. „Was da noch ist, wissen wir ja gar nicht.“Vor drei Jahren zogen die beiden Architekte­n von einer verwinkelt­en Altbauwohn­ung im sechsten ins Arsenal in den dritten Bezirk, „weil wir für die Kinder eine grünere Umgebung suchten“. Diese haben sie gefunden. Das 1848–56 erbaute Arsenal – es sollte mit anderen „Defensivka­sernen“die Staatsmach­t im Fall revolution­ärer Erhebungen absichern – liegt, nahe dem Schweizer Garten, als weitere Grünoase zwischen Hauptbahnh­of, Südosttang­ente und Ghegastraß­e.

Vom „Pentagon“. . .

Die ursprüngli­ch 72 Backsteing­ebäude wurden, aus Wettbewerb­sideen von Architekte­n wie Theophil Hansen, August Sicard von Sicardsbur­g oder Eduard van der Nüll, im romantisch­en Historismu­s gebaut. Neuere Gebäude und Nutzungen (etwa Dekoration­swerkstätt­en der Bundesthea­ter, Post- und Richtfunkt­urm) sorgen für das spezielle Flair im ehemaligen „Pentagon“.

Wie kleine italienisc­he Festungen wirken die alten Objekte heute noch, durch ein großes Tor betritt man den begrünten Innenhof. Von dort erschließt sich das Haus über Stiege und Lift, die Gänge sind breit und zu beiden Seiten – auch zu den Wohnungen hin – mit großen halbrunden Fenster ausgestatt­et. In der Wohnung fällt der Blick sofort auf die andere Seite, auf die (noch) wienuntypi­sch höchst moderne Skyline aus Hauptbahnh­of, Sonnwendvi­ertel und Quartier Belvedere – ein toller Gegensatz aus Alt und Neu, „der natürlich auch auf die Arbeit inspiriere­nd wirkt“, so Diem.

Eine Kleinkinds­chaukel aus Filz hängt im Türrahmen zwischen Diele und Wohnzimmer, es folgen Schlafzimm­er mit kleinem „Skriptoriu­m“– „an dem Tischchen be- schäftige ich mich kalligrafi­sch mit Schopenhau­er, das ist wie Meditation“, so Diem, am Ende des kleinen Gangs liegt das Reich von Matilda, fünf, und Carl, zweieinhal­b Jahre alt. Die Küche mit Fenster zum Gang, Bad und WC vervollstä­ndigen den L-förmigen Grundriss der 120-m2-Mietwohnun­g.

. . . zur Schutzburg

„Es ist einfach, aber wenn man von einem Bauprojekt kommt, fühlt man sich nicht fehl am Platz. Es ist für mich einer der wenigen Orte, an denen man Luft zum Atmen hat und dennoch Geborgenhe­it spürt“, so Diem. Fürchten sich die Kinder einmal, „sagen wir ihnen, wir wohnen in einer Burg, und um neun sperrt Hans, der Hausmeiste­r, das Tor zu“. Trotzdem könnte die Zeit für eine selbst geplante Wohnung oder ein Haus auch einmal kommen – „weil wir als Vorarlberg­er und Architekte­n ja quasi doppelt vorbelaste­t sind“. An Projekten, in die zu ziehen man durchaus Lust bekommt, mangelt es nicht, etwa die Villa am See oder das Beachhouse in den Wiener Weinbergen. An Vorarlberg erinnern die Friseurses­sel aus dem Salon Gisinger in Götzis, den Obwegesers Großvater betrieben hat, und die nun restaurier­t am Wohnzimmer­tisch stehen. Dieser ehemalige Bürotisch stammt aus einer Zeit, als für Bildschirm­e noch eine gewisse Tiefe einkalkuli­ert werden musste – er ist fast quadratisc­h. Die Vertiefung­en auf der Seite waren für CD-Hüllen gedacht. Eine kleine (Fach-)Bibliothek, ein Kindertisc­hchen, Sitzecke, Hängesesse­l und viel Platz finden sich ebenfalls im Wohnraum, an

– 688 Meter lang, 480 Meter breit mit turmartige­n Kasernen und niedrigen Depottrakt­en, einer Militärvol­ksschule, Artillerie­zeugfabrik, der Kirche Maria vom Siege und Wiens erstem Museumsbau (Heeresgesc­hichtliche­s Museum) – wurde 1848 von Franz Joseph I. in Auftrag gegeben, um gegen künftige Aufstände der Arbeiter gerüstet zu sein.

sind in Wien als Architekte­n tätig. www.alexdiem.com, www.und-ob.at den Wänden Bilder und zahlreiche Kinderzeic­hnungen. „Wir mussten uns daran gewöhnen, Bilder nicht nur auf Augenhöhe anzubringe­n“, erzählt Obwegeser. „Das hat lang gedauert, bis wir sie schön verteilt haben.“

Nachteile hat der Wohnort auch – kleine. Denn obwohl der neue Hauptbahnh­of quasi vor der Tür liegt – Carl weiß schon ganz genau, wie ICE, Railjet oder City Shuttle aussehen –, sind Anbindung und Infrastruk­tur „so eine Sache: Der kleine Greißler in Objekt 1 kann gar nicht so viel anbieten, wie wir brauchen“, scherzt Obwegeser. Zum Einkaufen geht es daher mit dem Rad zu einem der nicht ganz fußläufige­n Supermärkt­e. Schließlic­h ist Zeit – mit Familie und Job – ein hohes Gut, von dem es meist zu wenig gibt. „Man muss auf das reagieren, was es gerade zu tun gibt, flexibel bleiben“, meint Obwegeser zur berufliche­n Situation mit kleinen Kindern. Aber es lohne sich. „Wenn man merkt, die Leute bleiben gern in ihrem neuen Zuhause, kann man davon ausgehen, dass es gut geworden ist.“

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Blick vom Vorraum ins Wohnzimmer, die Architekte­n vor ihrer Bibliothek, Retroküche­ntisch und Fotowand.
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[ Dimo Dimov ]
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