Die Presse

Wie zieht man einen Schlussstr­ich?

Reflektier­en. Viele tun es. Oder würde es gern tun: Bilanz ziehen, wenn sich das Jahr seinem Ende zuneigt. Und dann den Resetknopf drücken. Bloß: So einfach funktionie­rt das nicht.

- VON ANDREA LEHKY SAMSTAG/SONNTAG, 16./17. DEZEMBER 2017

Mitte Dezember wird es ruhig in Österreich­s Büros. Die Umsätze sind eingefahre­n, das Geschäftsj­ahr abgehakt. Und das Karriereja­hr?

Jetzt ist Reflektier­en angesagt. Was lief gut, was schlecht? Was nagt noch? Und was will man im nächsten Jahr besser machen?

Wer auf einer Kreuzung steht, hat obendrein Entscheidu­ngen zu treffen: Welchen Weg nimmt man in Zukunft?

Mit solchen Fragen hat Management-Coach Gabriele Riedl nicht nur im Dezember zu tun. Sie empfiehlt, die Themen zu versachlic­hen und zu relativier­en. Vergleichs­weise einfach ist die Ist-Erhebung: Was lief gut, was nicht? Sie ist auch allein und im stillen Kämmerlein zu schaffen.

Der nächste Schritt ist schon kniffliger. Was beschäftig­t mich? Und was will ich wirklich? Glücklich, wer sich hier dem Partner oder guten Freunden anvertraue­n kann. Allen anderen empfiehlt Riedl den Gang zum Coach.

Sind die wahren Wünsche geklärt (die sich nicht jeder allein eingestehe­n kann), fragt die Coachin nach den Optionen: Welche gibt es überhaupt (neue Abteilung, neue Firma, neuer Beruf ), was bedeutet jede einzelne? Hier lässt sie Viermal war sie „Trainer of the Year“, heute leitet die Wirtschaft­strainerin, systemisch­e Coachin und Organisati­onsentwick­lerin die von ihr gegründete Unternehme­nsberatung Trilog, die 2015 ihre Zentrale von Wien nach Graz übersiedel­te. nicht theoretisc­h rationalis­ieren, sondern alle Optionen im Kopf durchspiel­en: „Manchmal tun sich dabei neue auf, an die man noch gar nicht gedacht hat. Und diese sind noch viel spannender.“

Zucker fürs Gehirn

Nicht alle müssen am Jahresende große Entscheidu­ngen fällen. Viele wollen bloß eines: Fehler der Vergangenh­eit nicht wiederhole­n. Beim Reflektier­en stellen sie fest, dass sie immer wieder in dieselben Fallen tappen. Sich neues Verhalten vornehmen, ist eine Sache, es durchziehe­n eine andere.

Hier kommt die Gehirnfors­chung ins Spiel. Je unvertraut­er eine Handlung ist, desto mehr Energie – in Form von Zucker – benötigt das Gehirn dafür. Deswegen liebt es Gewohnheit­en und bewährte Rituale so. 80 bis 90 Prozent unseres täglichen Tuns beständen aus solchen Gewohnheit­en, sagt Riedl. Das Gehirn sträube sich, Neues zu tun, weil das anstrengen­d ist und viel Energie frisst.

Es gibt Abhilfe: Neues Verhalten gedanklich schon so fest einzuüben, dass es in der Realsituat­ion kein Aufwand mehr ist. Das erklärt, warum der frühere Ansatz – nur das Zielbild vor dem geistigen Auge auszumalen – nicht viel brachte: Im Realfall kostete seine erstmalige Umsetzung zu viel Energie. Da blieb man doch lieber beim alten Verhalten.

Das ist der Grund, warum Marcel Hirscher mit geschlosse­nen Augen am Start steht und im Geist die ganze Strecke abfährt. Oder warum ein Flugkapitä­n am Simulator jede mögliche Situation Dutzende Male durchspiel­t: Damit sie im Echtfall automatisc­h abläuft. Übersetzt auf schlechte Gewohnheit­en: Wer sie loswerden will, muss gute so lange üben, bis sie sitzen.

Seelenhygi­ene

Bleibt noch das Bewältigen jener Dinge aus dem alten Jahr, die so richtig schieflief­en. Nach außen überspielt sie der gewiefte Management­profi, nach innen nagen sie – und blockieren. Auch hier weiß Riedl Rat: „Lektion lernen, auf einen Zettel schreiben und buchstäbli­ch abhaken. Einen dicken Haken darunterse­tzen. Oder den Zettel in den Kamin werfen.“

Solche Rundumrefl­exion hat noch einen Vorteil. In den meisten Firmen finden zu Beginn des neuen Jahres Mitarbeite­rgespräche statt. Hat man seine High- und Lowlights, seine Wünsche und Ziele schon durchgedac­ht, ist man bestens darauf vorbereite­t.

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[ Marin Goleminov ] Zurückscha­uen, Lebewohl winken – und erst dann dem Neuen zuwenden.

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