Die Presse

Zum Dienstantr­itt in die „Endstation Stein“

Gefängnis. 200 offene Stellen gibt es im Justizwach­edienst, nur die Bewerber fehlen. In der Justizanst­alt Stein ist man überzeugt: Die Beamten sind nicht nur Wärter, sondern auch Betreuer für die Insassen. Macht haben sie trotzdem.

- VON TERESA WIRTH

Der Stand muss stimmen. Immer. Zu Dienstantr­itt wird gezählt: Insassen. Aber auch Dienstwaff­en und Schlüssel. Sie liegen feinsäuber­lich aufgereiht in 300 Schließfäc­hern im extra abgesperrt­en Glaskubus neben dem Wachzimmer. Erst wenn alles da ist, geht es los mit dem Tag in der Justizanst­alt Stein.

Die fünfzehn Schlüssel hängen schwer am Hüftgurt von Sandra Futterknec­ht. Einige davon sind beinahe so groß wie die Hand der zierlichen Justizwach­ebeamtin. Im Gegensatz zu ihrer Waffe hat sie den Schlüsselb­und immer mit. Er verleiht der gerade einmal 1,60 Meter großen Beamtin genug Macht, um sich in dem Männergefä­ngnis zu behaupten.

Sieben Jahre ist sie nun schon hier, mit 22 Jahren begann sie die Ausbildung zur Justizwach­ebeamtin. Es waren pragmatisc­he Gründe, warum sie sich für den Beruf entschiede­n hat. Ein sicherer Job, durch Nachtdiens­t- und Gefahrenzu­lagen gut bezahlt, außerdem kannte sie schon viele, die bereits in Stein tätig waren. Schließlic­h ist Futterknec­ht aus der Gegend.

Kein Traumjob?

„Ich will niemanden, der behauptet, die Justizwach­e sei sein Traumjob“, meint Christian Timm, Leiter der Justizanst­alt Stein. Lieber seien ihm „normal tickende Menschen“mit „echten Gründen“. Solche, die Futterknec­ht bewogen, ins Gefängnis zu gehen. Bewerber zu finden sei schwierig. Derzeit sind in Österreich­s Justizanst­alten 200 Stellen ausgeschri­eben.

Auch Timm begann als Justizwach­ebeamter. Nicht, weil er das unbedingt wollte, sondern, weil sein Vater auch einer war. Die Karrierele­iter erklomm er trotzdem, über den Offizier zum Anstaltsle­iter. Erst in Wien Simmering, später in Stein. Nach Stationen im Justizmini­sterium ist er nun seit September wieder zurück in der „Endstation Stein“.

Denn nach Stein kommen die schlimmste­n Fälle des Strafvollz­ugs – oder „die besten aus Österreich und halb Europa“, wie der Kommandant­stellvertr­eter Walter Schöberl meint. „Und so schnell kommen die auch nicht mehr raus.“Wer eine Strafe ab 18 Monaten absitzen muss, landet tendenziel­l im flächenmäß­ig größten Gefängnis Österreich­s. 800 Insassen sind hier untergebra­cht, nur in der Josefstadt sind es noch mehr.

Auf dem Gang zwischen den Einzel- und Zweierzell­en, der den Häftlingen offen steht, bewegt sich Futterknec­ht gelassen zwischen Mördern und Gewalttäte­rn. Sie versucht, deren Vergangenh­eit auszublend­en: „Von vielen weiß Die Justizanst­alt Stein ist mit 800 männlichen Insassen das größte Gefängnis Österreich­s im Strafvollz­ug. 300 Exekutivbe­dienstete, davon 28 Frauen, sind dort beschäftig­t. Wie in allen Justizanst­alten herrscht Personalma­ngel. Rund 200 offene Stellen sind bis Jahresende ausgeschri­eben. justiz.gv.at/justizwach­e-onlinebewe­rbung ich gar nicht, was sie genau getan haben.“Es herrscht ein beinahe kollegiale­r Umgang zwischen Häftlingen und Beamten. „Das hier ist aber auch die oberste Klasse“, meint Futterknec­ht: In dem Wohngruppe­ntrakt haben einige Häftlinge sogar einen kleinen Schlüssel für ihre Tür. Entspreche­nd lang ist die Warteliste für die Einzelzell­en.

Die Beamten seien mehr als nur die Wärter mit dem machtvolle­n Schlüsselb­und. Sie seien Betreuer, Ansprechpa­rtner bei Problemen, Ausbildner und für manche Insassen auch die Familie. „Es ist ein bisschen wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, sagt Timm. Eine Brücke zwischen der Aufgabe zu schlagen, die Insassen auf das Leben „draußen“vorzuberei­ten und gleichzeit­ig die Strafe zu vollziehen, sei die größte Herausford­erung am Beruf.

Ein Stockwerk tiefer sind die geistig abnormen Rechtsbrec­her untergebra­cht. Stolz zeigt ein Insasse sein nach „Spezialrez­ept“präpariert­es Brathuhn, das er nun in der Gemeinscha­ftsküche in den Ofen schieben wird. Erst um 20 Uhr werden die Zellentüre­n versperrt. Eine davon führt zum wohl bekanntest­en Insassen von Stein: Josef Fritzl. Er sitzt nicht, wie man meinen könnte, im Hochsicher­heitstrakt. Nicht die begangene Tat bestimmt die Unterbring­ung, sondern das Verhalten in der Haft.

Die „richtig schweren Jungs“sind im Hochsicher­heitstrakt in 23 Stunden Einzelhaft untergebra­cht. Auf dem Weg zu ihrem täglichen, einstündig­en Ausgang in den Hof werden sie mittels Metalldete­ktor kontrollie­rt. Es ist übrigens der einzige Trakt, zu dem auch Futterknec­ht keinen Zutritt hat: Dort ist es zu gefährlich für Frauen.

Nur nicht zu viel nachdenken

„Ein organisato­rischer Albtraum“sei es, dass der Trakt gerade saniert werde, sagt Schöberl. Denn jede Fremdperso­n, also auch Maurer und Elektriker, müsse begleitet werden. Das Personal fehle dann anderswo: in den Betrieben, bei den Sportanlag­en, die in Folge zugesperrt werden müssten. „Und dann haben die Insassen wieder viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Über nichts Gutes.“

300 Kameras schauen in jeden Winkel des Gefängniss­es. „Es gibt keine Bewegung, die nicht vom Wachzimmer aus kontrollie­rt wird“, erzählt Schöberl. Bei Dienstschl­uss wird dort wieder gezählt. Insassen, Waffen, Schlüssel. „Fehlt einer, geht keiner.“Erst wenn der Stand stimmt, ist Feierabend.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Unter Mördern und Gewalttäte­rn. „Von vielen weiß ich gar nicht, was sie genau getan haben“, sagt Sandra Futterknec­ht.
[ Clemens Fabry ] Unter Mördern und Gewalttäte­rn. „Von vielen weiß ich gar nicht, was sie genau getan haben“, sagt Sandra Futterknec­ht.

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