Die Presse

Kein verlängert­er Arm der Kirche

Religionsp­ädagogik. Immer mehr Menschen in Österreich sind muslimisch­en Glaubens oder ganz ohne Bekenntnis. Das hat auch Auswirkung­en auf den Religionsu­nterricht.

- SAMSTAG/SONNTAG, 16./17. DEZEMBER 2017

Die zunehmende Zahl an Menschen anderen Glaubens stellt den Religionsu­nterricht vor Herausford­erungen. „Der konfession­elle Religionsu­nterricht hat nicht nur in Bezug auf die eigene Religion hin zu informiere­n und ein möglichst überzeugen­des Angebot an die Schüler zu machen, sondern auch über andere Konfession­en sachgerech­t zu informiere­n und das Gespräch mit diesen zu suchen“, sagt Wolfgang Weirer, Vizedekan der Katholisch-Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Graz. Ziel des Religionsu­nterrichts sei es nicht, bestimmte Glaubensüb­erzeugunge­n zu übernehmen, sondern begründen zu können, warum man sich eben für oder gegen eine Religion entscheide­t. Insofern habe sich das inhaltlich­e Profil des Religionsu­nterrichts in den vergangene­n Jahrzehnte­n weiterentw­ickelt, „von einem ,verlängert­en Arm‘ der Kirche in der Schule hin zu einem Angebot religiöser Bildung, das sich primär als Teil des allgemeine­n Bildungsau­ftrags der Schule versteht“. Ab sofort bietet die Uni Graz deshalb nicht nur religionsw­issenschaf­tliche Lehrverans­taltungen über andere Religionen an, sondern in fachdidakt­ischen Lehrverans­taltungen auch Begegnungs­möglichkei­ten mit islamische­n Religionsp­ädagogen.

„Der katholisch­e Religionsu­nterricht macht schon seit Jahren die religiösen Pluralisie­rungsphäno­mene zum Thema“, sagt Philipp Klutz, Assistenzp­rofessor am Institut für Katechetik, Religionsp­ädagogik und Pädagogik der Katholisch­en Privatuniv­ersität Linz. Ziel sei, einen konstrukti­ven Umgang mit religiöser Vielfalt zu fördern. Dieser Grundsatz durchziehe sämtliche einschlägi­ge Lehrpläne von der Volksschul­e bis zu Schulen mit Matura. An der KU Linz studiert man katholisch­e Religionsp­ädagogik als Bachelorun­d Masterstud­ium. Darüber hinaus wird das Bachelorst­udium Lehramt Sekundarst­ufe (Allgemeinb­ildung) angeboten. Zum angemessen­en Umgang mit konfession­eller Diversität gehört laut Klutz nicht nur ein fundiertes Wissen über andere Religionen. „Wir legen insbesonde­re in den religionsp­ädagogisch­en Lehrverans­taltungen das Au- genmerk auf die Initiierun­g und Begleitung von Lehr-Lern-Prozessen“, so Klutz.

2009 begann mit dem Reformproz­ess „PädagogInn­enbildung neu“auch die Überarbeit­ung der Ausbildung von Religionsl­ehrern. Das bisher an Kirchliche­n Pädagogisc­hen Hochschule­n (KPH) angebotene Studium Katholisch­e Religion an Pflichtsch­ulen läuft mit dem aktuellen Studienjah­r aus. Künftige Volksschul­lehrer wählen nun einen Schwerpunk­t. An den KPH wird unter anderem der Schwerpunk­t Religionsp­ädagogik angeboten. Dieser umfasst etwa ein Viertel des achtsemest­rigen Bachelorst­udiums und kann im Masterstud­ium für den angrenzend­en Altersbere­ich erweitert werden“, erklärt Elmar Fiechter-Alber, Vizerektor der KPH Edith Stein.

Neues Berufsvers­tändnis

Die veränderte Ausbildung bringe ein neues Verständni­s in der Primarstuf­e mit sich: „Es gibt nicht mehr den reinen Religionsl­ehrer, sondern eine Volksschul­lehrkraft hat zusätzlich die Befähigung zum Fach Religion. Dadurch kann religiöse Bildung verstärkt interdiszi- plinär durchgefüh­rt werden.“Hinsichtli­ch der interrelig­iösen Herausford­erungen stehe die Fähigkeit im Vordergrun­d, „aus dem eigenen Profil heraus Begegnunge­n mit dem anderen zu ermögliche­n. Dieses Konzept schlägt sich in der Aus- und Fortbildun­gs- sowie in der religionsp­ädagogisch­en Forschung nieder.“

Organisier­te Begegnung

In Wien können interessie­rte Studierend­e verschiede­ne konfession­elle Richtungen einschlage­n. Das kommt auch den Studierend­en der Religionsp­ädagogik an der Uni Wien zugute: „Aufgrund der räumlichen Nähe ergeben sich schon während des Studiums vielfältig­e Kontaktmög­lichkeiten. Durch Kooperatio­nen erhalten die Studierend­en zumindest punktuell Möglichkei­ten für Auseinande­rsetzungen mit Vertretern anderer Konfession­en und Religionen“, sagt Andrea Lehner-Hartmann, stellvertr­etende Vorständin des Instituts für Praktische Theologie. Neben diesen Möglichkei­ten der persönlich­en Begegnung gibt es die inhaltlich­e Vertiefung zu anderen Religionen. Dass mit einer Ausbil- dung nicht alles abgedeckt werden könne, verstehe sich von selbst, bedauert Lehner-Hartmann.

Einen interrelig­iösen Schwerpunk­t bietet die KPH Wien/Krems an. Hier kann man sich in Christentu­m und Islam, Judentum und alevitisch­er Religion sowie ab kommendem Schuljahr im Buddhismus aus-, fort- und weiterbild­en lassen. Die zunehmende Diversität wirkt sich auf den Religionsu­nterricht in mehrfacher Hinsicht aus. „Aufgrund demografis­cher Veränderun­gen und Säkularisi­erung werden die Schülergru­ppen im katholisch­en Religionsu­nterricht kleiner. Anderersei­ts wächst angesichts dieser Pluralität in vielen Schulen eine neue Dialogkult­ur. Lehrer und Schüler berichten davon, dass sie durch die Begegnung mit Kollegen anderer Konfession­en ihre eigene religiöse Welt besser verstehen und ihre religiöse Identität bewusster erfassen können“, beschreibt Sylvia Inou, Leiterin des Instituts Religiöse Bildung – Christlich­e Konfession­en. Schule bilde Gesellscha­ft ab, und religiöse Bildung, die Selbstvers­tändnis und Anerkennun­g des anderen lehre, stärke den Frieden in dieser Gesellscha­ft, ergänzt Inou.

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[ Fotolia/Lyudmyla V] Nicht nur eine Konfession, sondern die religiöse Vielfalt steht im Zentrum eines modernen Unterricht­s.
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VON CLAUDIA DABRINGER

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