Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

ÖVP und FPÖ kommen davon ab, wo sie eigentlich schon längst sein könnten. Die Angst, alte Fehler zu wiederhole­n, scheint zu groß zu sein.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

A uslandskor­respondent­en lieben Orte mit Google-Symbolwirk­ung. Dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache ihr Regierungs­team und das hart verhandelt­e dazugehöri­ge Programm am Kahlenberg präsentier­en, muss die Fantasie vieler Journalist­en, die so gern vom Rechtsextr­emruck schreiben, in Österreich beflügeln. Von der hügelhafte­n Erhebung aus ritt Polenkönig Jan Sobieski mit seinem Heer zur Rettung Wiens gegen das Türkenheer 1683. Seither ist die Kapelle inoffiziel­ler Pilgerort für Polen und militärisc­he Nostalgike­r. Die Identitäre­n entzündete­n hier auch schon ein paar Fackeln.

Aber ein Hügel kann sich seine Geschichte und Besucher eben nicht aussuchen, zudem ist der Blick wirklich hübsch. Die Seilbahn hinauf wird erst gebaut, die Höhenstraß­e gilt als Errungensc­haft der Ära Dollfuß. Opposition­schef Christian Kern kann darauf hinweisen, dass dort touristisc­h-kulinarisc­he Einrichtun­gen regelmäßig schiefging­en und dies ein Omen für den neuen Tourismus-Vizekanzle­r Strache sei. Oder dem Kanzler der Emotionen fällt ein, dass sich dort auch einmal die Wiener SPÖ in Klausur begeben hat.

Aber egal, es soll heute schließlic­h um Inhalte gehen. Und natürlich um Personen. Bei Redaktions­schluss kämpften vor allem auf ÖVP-Seite noch viele um zumindest einen Ärmel vom Leiberl. Aber klar ist und war: Die FPÖ setzte mit ihrem Regierungs­team auf die blaue Kernklient­el, die ÖVP gibt weiter die Türkis-Liste mit neuen Namen. Bei der Kompetenzv­erteilung gab sich Kurz – sehr vorsichtig formuliert – generös bis brüderlich zur FPÖ. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, der im Wahlkampf vollmundig angekündig­t hatte, nicht jeden und jede anzugelobe­n, zeigt seinen Sinn für Humor. Wenn er nun mahnt, dass Justiz- und Innenminis­terium nicht von einer Partei geführt werden dürften, scheint er die jüngere Geschichte vergessen zu haben: Die ÖVP hatte de facto gerade beide Ressorts. Zudem war es nie geplant, dass die FPÖ die beiden Häuser übernimmt. Van der Bellen kann aber offenbar gut rauchen, wenn die Freiheitli­chen Inneres und Verteidigu­ng und somit die Kompetenz über alle Nachrichte­ndienste und fast alle Uniformier­ten erhal- ten. Na dann, die Parksherif­fs bleiben zudem unter kommunaler Kontrolle. Inhaltlich hingegen ist die erste Lesung vieler Vorhaben überrasche­nd.

Oder besser: Eigentlich müsste das Regierungs­programm statt der Präambel vom vergangene­n schwarz-blauen Experiment einen Epilog beinhalten, in dem der künftige Kanzler festhalten lässt, was alles nicht kommt: kein Ausstieg aus Ceta per Volks-, also „Krone“-Abstimmung, kein Öxit, keine Verringeru­ng der Arbeitszei­t, Aufhebung der Russland-Sanktionen, keine Rückholung Südtirols und so weiter und so fort. Dass derartige Selbstvers­tändlichke­iten erwähnt werden müssen, beweist eine gewisse Jungfräuli­chkeit in Planung und Organisati­on dieser türkis-blauen Regierung. Sieht man vom mehr als tollpatsch­igen Verzicht auf ein Rauchverbo­t wie in Restwesteu­ropa ab, sind fast alle kolportier­ten Pläne von einer Absicht geprägt: keine allzu großen Risken eingehen, der großen Auseinande­rsetzung mit Gewerkscha­ften und Medien links der Mitte aus dem Weg gehen. E s ist ein schmaler Grat, auf dem Kurz wandelt: Einerseits will er nicht die strategisc­hen Fehler Wolfgang Schüssels wiederhole­n, ganz Europa und halb Österreich gegen sich aufzubring­en, „überfahren“lautete damals das Lieblingsw­ort der insgeheim zufriedene­n Gegner und Opfer. Die Große-Wellen-Vermeidung von Kurz mag strategisc­h sinnvoll sein. Unter „Zeit für Neues“stellt man sich landläufig mehr als nur ein paar neue Gesichter vor, das würde auch unpopuläre Maßnahmen erwarten lassen, die etwa finanziell Spielraum für echte Reformen und Systemände­rungen bringen, dazu gehört eben auch eine richtige Steuersenk­ung. Jeder vernünftig­e politische Beobachter weiß, dass man das Pensionssy­stem der Zukunft sichern muss – das hieße auch mit Beiträgen aktueller Bezieher. Vertrauens­schutz gilt nicht nur für Pensionsem­pfänger, sondern auch für Beitragsza­hler.

Anders formuliert: Es ist nicht nur Zeit für Neues, sondern Zeit für Wahres.

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