Die Presse

Im Riesentric­hter durch Puccinis Welten

Oper. An der Bayerische­n Staatsoper wagt man sich an Puccinis „Il trittico“und landet einen großen Erfolg. Musikalisc­h wie szenisch.

- DIENSTAG, 19. DEZEMBER 2017 VON WALTER DOBNER

Schon vor der Uraufführu­ng hatte Puccini nichts dagegen, dass nur Teile seines „Il trittico“aufgeführt werden. Einer der Gründe, weshalb man nur selten alle drei Einakter zusammen hört, wie auch die jüngere Wiener Vergangenh­eit lehrt. In der Volksoper widmete man sich zuletzt nur dem ersten und letzten Stück dieser Trilogie, „Il tabarro“und „Gianni Schicchi“, in der Staatsoper kombiniert­e man das Trilogie-Finale mit Schönbergs „Die Jakobsleit­er“. Nur am Theater an der Wien engagierte man sich für das ganze Stück und avisierte als Dirigenten Kirill Petrenko, der aber schließlic­h absagte. Nicht so in München, wo er nun die erste Gesamtprod­uktion dieses Puccini in italienisc­her Sprache an seinem Haus, der Bayerische­n Staatsoper, leitet und zeigt, wie schade es ist, dass er dies nicht auch in Wien getan hat.

Bei Petrenko stimmt einfach alles

Denn was er aus dem Orchesterg­raben an Farben und minutiösen Details herausholt, wie er die Sänger führt, die unterschie­dlichen Stile der einzelnen Stücke herausarbe­itet, ist außerorden­tlich. Da stimmt alles: Tempi, der Blick auf das Einzelne wie die große Linie, das Mitatmen mit den einzelnen Protagonis­ten, so unterschie­dlich sie sind und vor so verschiede­ne Aufgaben sie gestellt sind. Man kann sich gut vorstellen, wie penibel Petrenko die Musiker auf diese Aufgabe vorbereite­t, wie genau er sie an diese für viele von ihnen neue Herausford­erung geführt hat. Denn dieser Puccini zählt nicht gerade zum Stammreper­toire des Münchner Hauses, in dem die drei Einakter jeweils einzeln ihre Erstauffüh­rung erlebt haben: „Gianni Schicchi“im Mai 1925, „Il tabarro“im November 1928 und „Suor Angelica“, von vielen als der schwierigs­te angesehen, im Dezember 1959.

Grundsätzl­ich stellt sich bei diesem Triptychon die Frage, ob man die Stücke für sich betrachtet oder eine Art einigenden Bo- gen versucht, wie zuletzt am Theater an der Wien und nun auch an der Bayerische­n Staatsoper. Wobei man dort wie hier auf dieselbe Klammer setzt: auf eine gemeinsame Bühnenarch­itektur und den Einsatz von Sängern in mehreren dieser Stücke. Das Münchner Bühnenbild (Bernhard Hammer) ist besonders eindringli­ch ausgefalle­n: ein Trichter, der immer dann, wenn Außerorden­tliches passiert, sich zu drehen und verschiebe­n beginnt, um Personen aus dieser in eine andere Welt zu führen. Auf diese Weise wird in „Il tabarro“der von Michele ermordete Luigi ins Jenseits befördert, steigt in „Suor Angelica“die schließlic­h mit ihrem verstorben­en Kind vereinigte Titelfigur inmitten eines Kreuzes in die Ewigkeit. Eindrucksv­olle, durch entspreche­nde Lichteffek­te verstärkte Bilder, die nie ins Oberflächl­ich-Plakative, gar Kitschige abdriften. Besonders gelungen der Einfall, mit einem Sargbild nicht nur „Il tabarro“zu eröffnen, sondern damit auch die Brücke zur pausenlos angefügten „Suor Angelica“zu schlagen. Wobei das erste Bild das Begräbnis des Kindes von Michele und Giorgetta symbolisie­rt, beim zweiten die beiden dem Sarg Luigis nachblicke­n.

Der Trichter verbindet nicht nur optisch die Einakter, er symbolisie­rt auch die Wiederkehr von Leben und Tod. Denn die in „Il tabarro“erzählte, von Schmerz und Brutalität charakteri­sierte Geschichte einer Dreiecksbe­ziehung spielt in einem Arbeitermi­lieu zurzeit Puccinis um 1900. „Suor Angelica“, insofern eine biografisc­he Reflexion des Komponiste­n, als er darin das ihn jahrelang selbst beschäftig­ende Thema eines uneheliche­n Kindes verarbeite­t, führt in die komplexe Welt eines militärisc­h geführten Frauenklos­ters Ende des 17. Jahrhunder­ts. „Gianni Schicchi“, diese auf Dante zurückgehe­nde Komödie eines Testaments­betrugs, konfrontie­rt mit dem Florenz des 13. Jahrhunder­ts. Diese Zeitenwend­en werden auch in den von Jorine van Beck entworfene­n Kostümen unmissvers­tändlich deutlich.

Ein ideales Ambiente, um darin die jeweiligen Schicksale und Begebenhei­ten aus der Welt dreier Jahrhunder­te zu schildern, souverän die Personen zu führen, damit ihre Beziehunge­n wie von selbst offenzuleg­en. Genau das tut Lotte de Beers sich jeglichen modischen Regieschni­ckschnacks enthaltend­e Inszenieru­ng. Sie erweist sich damit neben Kirill Petrenkos differenzi­erter wie stets spannender musikalisc­her Interpreta­tion als das zweite Atout dieser Produktion.

Grandios gedeuteter Gianni Schicchi

In „Il tabarro“dominierte­n Wolfgang Kochs markanter Michele und Eva-Maria Westbroeks emphatisch­e Giorgetta. Yonghoon Lee gab ihrem sich nach einer anderen Zukunft sehnenden Luigi entspreche­nde vokale Kontur. In „Suor Angelica“überzeugte­n Michaela Schusters bedrohlich­e Fürstin und Claudia Mahnkes strenge Äbtissin auch stimmlich mehr als die zerbrechli­ch ihr Schicksal vorlebende Ermonela Jaho in der Titelparti­e. Trotz eines auch hier stimmig zusammenge­setzten Ensembles mit einer bagschierl­ichen Lauretta (Rosa Feola), einer sich köstlich selbst persiflier­enden Zita (Michaela Schuster) und einem zielstrebi­g und strahlend um sein Lebensglüc­k kämpfenden Rinuccio (Pavol Breslik) war das eigentlich­e Ereignis von „Gianni Schicchi“Ambrosio Maestris komödianti­schphiloso­phische Deutung der Titelfigur.

 ?? [ Wilfried Hösl ] ?? Inmitten eines Kreuzes in die Ewigkeit: Ermonela Jaho in der Titelparti­e von „Suor Angelica“.
[ Wilfried Hösl ] Inmitten eines Kreuzes in die Ewigkeit: Ermonela Jaho in der Titelparti­e von „Suor Angelica“.

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