Im Riesentrichter durch Puccinis Welten
Oper. An der Bayerischen Staatsoper wagt man sich an Puccinis „Il trittico“und landet einen großen Erfolg. Musikalisch wie szenisch.
Schon vor der Uraufführung hatte Puccini nichts dagegen, dass nur Teile seines „Il trittico“aufgeführt werden. Einer der Gründe, weshalb man nur selten alle drei Einakter zusammen hört, wie auch die jüngere Wiener Vergangenheit lehrt. In der Volksoper widmete man sich zuletzt nur dem ersten und letzten Stück dieser Trilogie, „Il tabarro“und „Gianni Schicchi“, in der Staatsoper kombinierte man das Trilogie-Finale mit Schönbergs „Die Jakobsleiter“. Nur am Theater an der Wien engagierte man sich für das ganze Stück und avisierte als Dirigenten Kirill Petrenko, der aber schließlich absagte. Nicht so in München, wo er nun die erste Gesamtproduktion dieses Puccini in italienischer Sprache an seinem Haus, der Bayerischen Staatsoper, leitet und zeigt, wie schade es ist, dass er dies nicht auch in Wien getan hat.
Bei Petrenko stimmt einfach alles
Denn was er aus dem Orchestergraben an Farben und minutiösen Details herausholt, wie er die Sänger führt, die unterschiedlichen Stile der einzelnen Stücke herausarbeitet, ist außerordentlich. Da stimmt alles: Tempi, der Blick auf das Einzelne wie die große Linie, das Mitatmen mit den einzelnen Protagonisten, so unterschiedlich sie sind und vor so verschiedene Aufgaben sie gestellt sind. Man kann sich gut vorstellen, wie penibel Petrenko die Musiker auf diese Aufgabe vorbereitet, wie genau er sie an diese für viele von ihnen neue Herausforderung geführt hat. Denn dieser Puccini zählt nicht gerade zum Stammrepertoire des Münchner Hauses, in dem die drei Einakter jeweils einzeln ihre Erstaufführung erlebt haben: „Gianni Schicchi“im Mai 1925, „Il tabarro“im November 1928 und „Suor Angelica“, von vielen als der schwierigste angesehen, im Dezember 1959.
Grundsätzlich stellt sich bei diesem Triptychon die Frage, ob man die Stücke für sich betrachtet oder eine Art einigenden Bo- gen versucht, wie zuletzt am Theater an der Wien und nun auch an der Bayerischen Staatsoper. Wobei man dort wie hier auf dieselbe Klammer setzt: auf eine gemeinsame Bühnenarchitektur und den Einsatz von Sängern in mehreren dieser Stücke. Das Münchner Bühnenbild (Bernhard Hammer) ist besonders eindringlich ausgefallen: ein Trichter, der immer dann, wenn Außerordentliches passiert, sich zu drehen und verschieben beginnt, um Personen aus dieser in eine andere Welt zu führen. Auf diese Weise wird in „Il tabarro“der von Michele ermordete Luigi ins Jenseits befördert, steigt in „Suor Angelica“die schließlich mit ihrem verstorbenen Kind vereinigte Titelfigur inmitten eines Kreuzes in die Ewigkeit. Eindrucksvolle, durch entsprechende Lichteffekte verstärkte Bilder, die nie ins Oberflächlich-Plakative, gar Kitschige abdriften. Besonders gelungen der Einfall, mit einem Sargbild nicht nur „Il tabarro“zu eröffnen, sondern damit auch die Brücke zur pausenlos angefügten „Suor Angelica“zu schlagen. Wobei das erste Bild das Begräbnis des Kindes von Michele und Giorgetta symbolisiert, beim zweiten die beiden dem Sarg Luigis nachblicken.
Der Trichter verbindet nicht nur optisch die Einakter, er symbolisiert auch die Wiederkehr von Leben und Tod. Denn die in „Il tabarro“erzählte, von Schmerz und Brutalität charakterisierte Geschichte einer Dreiecksbeziehung spielt in einem Arbeitermilieu zurzeit Puccinis um 1900. „Suor Angelica“, insofern eine biografische Reflexion des Komponisten, als er darin das ihn jahrelang selbst beschäftigende Thema eines unehelichen Kindes verarbeitet, führt in die komplexe Welt eines militärisch geführten Frauenklosters Ende des 17. Jahrhunderts. „Gianni Schicchi“, diese auf Dante zurückgehende Komödie eines Testamentsbetrugs, konfrontiert mit dem Florenz des 13. Jahrhunderts. Diese Zeitenwenden werden auch in den von Jorine van Beck entworfenen Kostümen unmissverständlich deutlich.
Ein ideales Ambiente, um darin die jeweiligen Schicksale und Begebenheiten aus der Welt dreier Jahrhunderte zu schildern, souverän die Personen zu führen, damit ihre Beziehungen wie von selbst offenzulegen. Genau das tut Lotte de Beers sich jeglichen modischen Regieschnickschnacks enthaltende Inszenierung. Sie erweist sich damit neben Kirill Petrenkos differenzierter wie stets spannender musikalischer Interpretation als das zweite Atout dieser Produktion.
Grandios gedeuteter Gianni Schicchi
In „Il tabarro“dominierten Wolfgang Kochs markanter Michele und Eva-Maria Westbroeks emphatische Giorgetta. Yonghoon Lee gab ihrem sich nach einer anderen Zukunft sehnenden Luigi entsprechende vokale Kontur. In „Suor Angelica“überzeugten Michaela Schusters bedrohliche Fürstin und Claudia Mahnkes strenge Äbtissin auch stimmlich mehr als die zerbrechlich ihr Schicksal vorlebende Ermonela Jaho in der Titelpartie. Trotz eines auch hier stimmig zusammengesetzten Ensembles mit einer bagschierlichen Lauretta (Rosa Feola), einer sich köstlich selbst persiflierenden Zita (Michaela Schuster) und einem zielstrebig und strahlend um sein Lebensglück kämpfenden Rinuccio (Pavol Breslik) war das eigentliche Ereignis von „Gianni Schicchi“Ambrosio Maestris komödiantischphilosophische Deutung der Titelfigur.