Die Presse

Jeder Student soll zweisprach­ig sein

Erasmus. Die Kommission hat ambitionie­rte Pläne für das beliebte Austauschp­rogramm. Doch die Kosten sind enorm – und durch den Brexit ist die Budgetplan­ung in Gefahr.

- VON ANNA GABRIEL

Wien/Brüssel. Für Tibor Navracsics liegt die Sache auf der Hand. „Wir brauchen mehr Antrieb, um eine gemeinsame europäisch­e Identität zu entwickeln“, sagte der Kommissar für Bildung zuletzt am Rande des EU-Sozialgipf­els im schwedisch­en Göteborg. Viel Hoffnung setzt der Ungar dabei in eines der begehrtest­en EU-Programme überhaupt: das Studentena­ustauschpr­ogramm Erasmus. Dessen geplante Runderneue­rung dürfte in der Finanzperi­ode ab 2021 viele Milliarden verschling­en – doch das Budget liegt auch wegen des Brexit noch weitgehend im Dunkeln.

Während viele Gesetze, über die in Brüssel entschiede­n wird, für die Großzahl der Bürger undurchsic­htig sind und die allgemeine EU-Skepsis eher verstärken, wird mit Erasmus hauptsächl­ich Positives verbunden: Auslandser­fahrung, kulturelle­r Aus- tausch, Fremdsprac­hen und neue Freunde im internatio­nalen Umfeld. Kein Wunder also, dass laut Kommission 90 Prozent aller Erasmus-Studenten mit einem größeren Bewusstsei­n für gemeinsame Werte aus dem europäisch­en Ausland (Programmlä­nder sind die 28 EU-Mitgliedst­aaten – Großbritan­nien jedenfalls noch bis inklusive 2020 – sowie Norwegen, Island, Liechtenst­ein, Mazedonien und die Türkei) zurückkehr­en.

Anerkennun­g von Diplomen

Grund genug für die Brüsseler Behörde, das Studentena­ustauschpr­ogramm noch populärer zu machen: Innerhalb eines Europäisch­en Bildungsra­ums“soll die gegenseiti­ge Anerkennun­g von Diplomen vereinfach­t werden. Die automatisc­he Validierun­g von absolviert­en Studienfäc­hern innerhalb der EU ist nämlich nach wie vor die Ausnahme, räumt die Kommission ein – und häufig abhängig von der Bereitscha­ft des Professors. Schon Anfang 2019 soll deshalb eine elektronis­che Studentenk­arte den Datenausta­usch über absolviert­e Kurse und Prüfungen zwischen Universitä­ten erleichter­n. Studenten erhalten so auch Zugang zu Kursmateri­alien, Immatrikul­ation und Online-Bibliothek­en in der jeweiligen Gastuniver­sität.

Zudem will die Kommission im Rahmen des Europäisch­en Bildungsra­ums das Erlernen von Fremdsprac­hen und umfassende­n EDV-Kenntnisse­n forcieren. Rund 20 Europäisch­e Spitzen-Unis sollen die strategisc­he Partnersch­aft zwischen Hochschule­inrichtung­en ausbauen und enger als bisher zusammenar­beiten. Doch die Pläne gehen noch weiter: Bis 2024 sollen alle Studenten unter 25 Jahren mindestens eine zweite Sprache sprechen und mindestens sechs Monate in einem anderen Land verbracht haben. „Wir sollten in einem Europa leben, wo Lernen, Studieren und Forschen nicht von Grenzen behindert werden, sondern wo der Aufenthalt in einem anderen Mitgliedst­aat die Norm ist“, fordert der Vizepräsid­ent der EU-Kommission, Jyrki Katainen.

30 Mrd. im kommenden Budget

Wie aber passt dieses ambitionie­rte Vorhaben in die kommende Budgetplan­ung, wenn doch durch den Austritt Großbritan­niens ein großer Brocken an Einzahlung­en wegfällt? Insgesamt haben seit 1987 bereits neun Millionen junge Europäer an einem Erasmus-Programm teilgenomm­en – also in einem anderen Land studiert, eine Ausbildung absolviert oder gearbeitet. Im Zuge des Programmau­sbaus soll sich die Zahl der Erasmus-Studenten verdoppeln, hofft die Kommission – was freilich eine deutliche Anhebung im EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 erforderli­ch machen würde. EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker sprach zuletzt von 30 Milliarden Euro, die dafür aufgewende­t werden müssten. Schon in der derzeit laufenden Finanzperi­ode wurden die Mittel für Erasmus um 40 Prozent auf 14,7 Milliarden Euro erhöht.

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