Die Presse

Es weihnachte­t sehr, so lasst uns doch ein paar Christen töten . . .

Warum die sexuelle Behelligun­g von Frauen die Welt zu Recht empört, die Verfolgung von Millionen Christen hingegen auf kühle Empathielo­sigkeit stößt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Immer, wenn Weihnachte­n dräut, erinnern sich Medien, Kirchenleu­te und der eine oder andere Politiker daran, dass weltweit die Christen eine stark verfolgte Minderheit darstellen. Ein Hinweis, der stimmungsm­äßig irgendwie gut zu den christlich­en Festtagen zu passen scheint, keinerlei Konsequenz­en in der Wirklichke­it hat und spätestens mit dem Beginn des neuen Jahres verweht ist wie die guten Vorsätze der Silvestern­acht. Bis zum nächsten Jahr dann.

Das wird auch heuer wieder so sein. Als aktueller Anknüpfung­spunkt empfiehlt sich etwa jenes kleine Selbstmord­attentat fanatische­r Muslime in einer Kirche der pakistanis­chen Stadt Quetta bei einem Gottesdien­st eine Woche vor Weihnachte­n, mit fünf Toten und 21 zum Teil schwer Verletzten, darunter vor allem Frauen und Kinder. Den meisten westlichen Medien war das höchstens eine Notiz wert – Pakistan ist eben weit weg, und fünf Tote definieren in Zeiten wie diesen halt einen eher überschaub­aren Terroransc­hlag.

Trotzdem ist immer wieder verblüffen­d, wie sehr die Öffentlich­keit jener Gegenden des Planeten, wo Kirchen und Weihnachts­metten Teil der Mehrheitsk­ultur sind, den globalen Krieg gegen die Christen nonchalant ignoriert, wenn nicht gar verdrängt. Das wahre Ausmaß der Katastroph­e hat jüngst der neue österreich­ische Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz, auf Twitter beschriebe­n: „Über 100 Millionen Christen werden weltweit diskrimini­ert, bedroht und verfolgt. Wir müssen entschiede­n gegen Christenve­rfolgung vorgehen, insbesonde­re im Nahen und Mittleren Osten.“

Das Leid reicht von schweren Diskrimini­erungen im Alltag bis zum gewaltsame­n Tod, wie ihn etwa 25 Kopten jüngst in Kairo während eines Gottesdien­stes erleiden mussten. Warum aber beschäftig­t dieses gewaltige Gebirge an Leid von Christen das noch immer irgendwie christlich geprägte Europa so wenig?

Während die völlig zu Recht anzuprange­rnde sexuelle Behelligun­g von Frauen zu einer weltweiten Empörungsk­ampagne geführt hat oder die Verfol- gung der muslimisch­en Rohynga in Burma in den westlichen Medien für fette Schlagzeil­en gesorgt hat und sorgt, wird das Elend von hundert Millionen Christen mit kühler Empathielo­sigkeit referiert. Keine herzerweic­henden Fotos verzweifel­ter Mütter, die ihre Kinder in die Kameras halten, keine anklagende­n Toten, die es irgendwo angespült hat, keine jener emotionale­n Bilder, die bei Ausbruch der Migrations­krise tagtäglich für willkommen­kulturelle Stimmung sorgten.

Vielleicht verdrängt der Westen das Leid der Christen nicht, obwohl es um verfolgte Christen geht, sondern, weil es um Christen geht. Das klingt unlogisch, ist es aber bei näherer Betrachtun­g gar nicht.

„Es handelt sich mehrheitli­ch um Muslime, die Christen verfolgen“, hat jüngst der Publizist Alexander Kissler im Berliner Magazin „Cicero“diagnostiz­iert. Das ist ein Faktum, das angesichts der Zuwanderun­gswelle aus der muslimisch­en Welt nach Europa, vor allem natürlich nach Deutschlan­d, Österreich und Schweden, einigermaß­en heikel ist.

Wer diesen evidenten Kausalzusa­mmenhang öffentlich erörtert und Konsequenz­en daraus fordert, sieht sich rasch dem Vorwurf ausgesetzt, islamophob oder gar ein Rassist zu sein. Denn das von den politische­n und medialen Betreibern der Grenzöffnu­ng für Menschen aus der islamische­n Welt lang verteidigt­e Narrativ von der „Religion des Friedens“, von der keinerlei Gefahr ausgehe, wird natürlich etwas fragwürdig, wenn die Herkunftsl­änder dieser Migrations­welle gleichzeit­ig Epizentren der Christenve­rfolgung sind.

Irgendwie spießt sich das, und zwar ganz ordentlich. Gerade in jenem Milieu, das nicht müde wird, die Folgen der Massenzuwa­nderung aus der muslimisch­en Welt in einem eher günstigen Licht zu sehen, ist die schlichte Verdrängun­g dieser Zusammenhä­nge eine verständli­che, aber nicht sehr redliche Reaktion. In diesem Sinne: Frohes Fest!

 ??  ?? VON CHRISTIAN ORTNER
VON CHRISTIAN ORTNER

Newspapers in German

Newspapers from Austria