Nussknacker: Ein brillantes Geschenk
Die Compagnie Manuel Legris’ demonstriert in der Staatsoper ihren Rang.
Das Haus ist übervoll, die Stehplätze bis in jene Winkel besetzt, von denen aus man kaum noch ein Eckchen von der Bühne sehen kann. Der weihnachtliche „Nussknacker“ließe sich in der Staatsoper wohl auch ein Dutzend Mal ansetzen. Tatsächlich handelt es sich dabei ja um eines jener raren Beispiele eines Balletts, bei dem die Qualität der Musik entscheidend zum Welterfolg beigetragen hat. Wenn auch nicht vom ersten Moment an – anlässlich der Uraufführung überwog noch der Jubel über die anschließend gegebene letzte Tschaikowsky-Oper „Iolanthe“.
Doch während man diese erst in jüngster Zeit so recht zu würdigen weiß, trat der „Nussknacker“rasch seinen Siegeszug an – und „knackte“die Herzen von Kindern und Erwachsenen in aller Welt. Und solange die Tanz-Kreatoren bereit waren, sich an die von E. T. A. Hoffmann inspirierte Handlung hielten und sie möglichst pittoresk in Szene setzten, war die Adventwelt in den großen Musiktheatern in Ordnung.
Die Heimkehr der Harmonie
In Wien ist sie wieder in Ordnung, seit Manuel Legris den Missgriff der vorangegangenen Ära ausgemerzt hat, in dem man weder Hoffmanns Erzählungen noch Tschaikowskys Partitur intakt gelassen hatte. Seit man Rudolf Nurejews Mitte der Achtzigerjahre für Paris geschaffene Neudeutung von Marius Petipas klassischem „Nussknacker“nach Wien geholt hat, ist die Welt wieder in Ordnung – und das frisch erblühte Staatsballett hat ein prachtvolles Schaufenster zur Demonstration seiner Fähigkeiten gewonnen. Diese reichen mittlerweile wieder von der höchsten artifiziellen Präzision – etwa in der Darstellung mechanisch bewegter Puppen oder Marionettenfiguren, wie sie der sinister-faszinierende Herr Drosselmeyer unter dem Weihnachtsbaum zu Gaudium und höchstem Erstaunen der Kinder vorführt, bis zu vollkommener Beseeltheit: Die wunderbare Natascha Mair führt uns als Clara denn auch die unmerkliche Verwandlung eines Mädchenherzens vor Augen, wach und sensibel, daher unbeeindruckt von den kindischen Aktionen ihrer Umgebung, deren Aktionismus das Springinkerl von einem Fritz, Richard Szabo,´ kräftig unterzündet.
Die Verwandlung des Zauberkünstlers in einen feschen Prinzen, in der sich Leonardo Basilio erstmals versucht, spiegelt sich in Claras Augen und in den immer freier, weicher, ausdrucksvoller werdenden Bewegungen ihrer Arme und Beine viel aufregender und überwältigender wider, als sie in der Bühnenrealität gelingt: Nurejews raffiniert angelegtes Crescendo der Jungmädchenleidenschaften ist ja noch im großen Pas de deux des zweiten Akts durchsetzt von behutsam eingestreuten Erinnerungen an die spielerische Leichtigkeit der kindlichunschuldigen Eingangsszenen.
Diese Kontraste bindet Natascha Mair zu einer hinreißenden psychologischen Einheit, ganz dem kompositorischen Fluss Tschaikowskys abgelauscht, dessen groß aufrauschende Bögen vonseiten des Prinzen noch mehr Grandezza, mehr Selbstverständlichkeit in der „melodischen“Verbindung aller im Detail meist beeindruckend kraftvoll realisierten Figuren vertrügen, um auch optisch ihre volle Wirkung zu entfalten.
Das Orchester musiziert unter Paul Connelly nicht durchwegs konzentriert, aber in vielen Momenten äußerst klangschön und gibt den Tänzern jedenfalls genug Anlass, das Potenzial ihrer Partien auszukosten. Das gelingt dank des erreichten Qualitätsstandards in den Ensemblenummern auf beglückend harmonische Weise – Gleichklang ergibt sich spürbar aus dem Rhythmus von Tschaikowskys Musik, nicht aus gemein- schaftlich trainierter Zählpräzision – butterweich-charmante klangliche Vorlagen wie das bezaubernde Klarinettensolo im ersten Aufschwung des „Blumenwalzers“finden stets ihre szenische Entsprechung.
Aus den Reisebildern am Beginn des zweiten Akts ragen exquisite Leistungen wie jene des „arabischen“Paares, Eno Peci und Alice Firenze, heraus, die in elastischer Geschmeidigkeit Nurejews exotische Bewegungshieroglyphen ineinander verfließen lassen. Fulminant auch der chinesische Tanz, den Francesco Costa, Marcin Dempe und Geraud´ Wielick in eine Art fernöstliche Paraphrase auf Carlo Gozzis Commedia-dell’arte-Maskeraden verwandeln – und das feine Rokoko der „Pastorale“, die Elena Bottaro und Adele Fiocchi zwischendurch zur subtilen Erinnerung an klassische Spitzentanzkunst nutzen. Ein Weihnachtsgeschenk!
„Der Nussknacker“in der Staatsoper: am 28. Dezember 2017, 6. und 9. Jänner 2018.