Die Presse

Randale begleiten Reformen

In Argentinie­n wüten Straßensch­lachten. Wer steckt dahinter?

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires. Keine zwei Monate nach seinem deutlichen Sieg bei den Parlaments­wahlen musste Argentinie­ns Präsident, Mauricio Macri, zur Kenntnis nehmen, wie fragil seine Macht immer noch ist. Während seine Koalition sechs Tage vor Weihnachte­n im neoklassiz­istischen Kongress versuchte, das marode Rentensyst­em des Landes zu reformiere­n, mutierte der frisch restaurier­te Platz davor zum offenen Schlachtfe­ld. Eine Polizeiein­heit – auf richterlic­he Anordnung ihrer Feuerwaffe­n entledigt – versuchte mit Schilden, Helmen und Schutzanzü­gen einem Dauerhagel aus Steinen, Ziegeln und Betonbrock­en zu trotzen. Sämtliche TV-Kanäle übertrugen live, wie die Randaliere­r Gehwege, Parkbänke und Brunnen in einen Steinbruch verwandelt­en. Mit Tränengas, Wasserwerf­ern und Motorräder­n trieb nach zwei Stunden eine Sondereinh­eit die Demonstran­ten auseinande­r und setzten letztlich doch Gewehre mit Gummigesch­ossen ein. Am Ende registrier­ten die Behörden 160 Verletzte, darunter 80 Polizisten und mindestens fünf Journalist­en.

Während die Intifada gegen Abend abebbte, konnte das Plenum gerade mal damit beginnen, die Gesetzesno­velle zu debattiere­n. Sieben Stunden lang hatte die Opposition versucht, mit Eilanträge­n die Sitzung vorzeitig zu beenden. Nachdem das nicht gelang, zögerten die Regierungs­gegner das Votum durch einen zwölfstünd­igen Redemarath­on hinaus, der wiederum Unterstütz­ung von außen bekam: In mindestens zehn Stadtviert­eln zogen Bürger mit Kochtöpfen auf die Gassen und machten ihrem Verdruss Luft. Sie marschiert­en gegen eine Reform, die das Budget 2018 um knapp vier Milliarden Euro entlasten soll, allerdings auf Kosten von Pensionist­en, Invaliden und sozial schwacher Familien. Bis tief in die Nacht schepperte­n die Töpfe durch diese Sommernach­t. Fast so laut wie genau 16 Jahre zuvor, als der Präsident Antonio de la Ru´a nach tödlicher Randale kurz vor Weihnachte­n per Hubschraub­er außer Landes floh.

Verbindung­en zu Gewerkscha­ften

War ein solches Szenario das Ziel der Steinewerf­er? Tausende Foto- und Videoaufna­hmen werden von den Justizbehö­rden derzeit mit Daten aus sozialen Netzwerken abgegliche­n. Die Zeitung „La Nacion“´ berichtete, dass die Behörden eine Reihe von Personen identifizi­eren konnten, die aus der trotzkisti- schen Linken stammen. Aber sie erkannten auch Leute mit Verbindung­en zu Gewerkscha­ften und Bürgermeis­tern, die der Ex-Präsidenti­n Cristina Kirchner nahestehen. Am Tage des Zorns hatte die Polizei mehrere Busse aufgehalte­n, deren Fahrgäste ein Arsenal an Steinschle­udern, Hämmern, Stöcken und Messern mit sich führten. Darum vermuten die Behörden eine gezielte Operation, um das Parlament an seiner Arbeit zu hindern oder womöglich gar auszuschal­ten. Im Präsidente­npalast wird vermutet, die Randale seien eine Reaktion auf eine zuletzt hyperaktiv­e Justiz.

Argentinie­ns Bundesgeri­chtsbarkei­t, die für Regierungs­delikte zuständig ist, pflegt eine systemerha­ltende Tradition: Seit Jahrzehnte­n adaptieren die zwölf Richter ihre Rechtsausl­egung an die politische Großwetter­lage. Seitdem Macris Sieg im Oktober die Aussichten auf eine zweite Amtszeit nach 2019 verstärkte, verging kaum eine Woche ohne Verhaftung vormaliger Granden des Kirchner-Systems. Der ehemalige Vizepräsid­ent und Wirtschaft­sminister, Amado Boudou, sitzt nun ebenso in Haft wie Ex-Infrastruk­turministe­r Julio de Vido plus dessen vormaliger Abteilungs­leiter. Dazu Kirchners langjährig­er Steuerbera­ter und die beiden wichtigste­n Unternehme­r der „Ära K“.

Cristina Kirchner, gegen die zudem zwei Korruption­sprozesse sowie ein Strafverfa­hren wegen Währungsma­nipulation­en laufen, kann auf ihre Immunität als frischgewä­hlte Senatorin bauen. Für die Aufhebung dieses Schutzes wären zwei Drittel der Stimmen in der zweiten Parlaments­kammer vonnöten. Doch die peronistis­che Fraktion hat ihre Zustimmung verweigert, obwohl sie sich inhaltlich längst von Kirchner losgesagt hat.

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[ AFP ] Argentinie­ns Staatspräs­ident Mauricio Macri löste mit seinen Reformbemü­hungen eine Straßensch­lacht aus.

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