Selbstfindung im Urwald
Film. Das Remake von „Jumanji“macht aus diesem Neunzigerjahre-Kinohit eine Körpertauschkomödie mit Action-Elementen im Coming-of-Age-Kontext.
Menschen spielen gern – nicht zuletzt, weil Spiele Freiheit schenken. Homo ludens darf aus dem Sozialkorsett schlüpfen, Grenzen überschreiten und Fantasien ausleben. Meist ohne Konsequenzen abseits virtueller Siege und Niederlagen. Je größer die Träume, umso stärker das Bedürfnis nach totaler Immersion im Paralleluniversum. Rollenspiele (am Computer und in Wirklichkeit) bieten hierbei den Heiligen Gral der Realitätsflucht: eine neue Identität.
Weicht diese stark von der realweltlichen Persönlichkeit des Spielers ab, wird sie von Außenstehenden oft als Mängelkompensation betrachtet – doch das ist wahrscheinlich zu einfach gedacht. Eine der Lieblingsumkehrungen des schelmischen Kulturtheoretikers Slavoj Zˇizˇek besagt: Vielleicht ist der aggressive Krieger, in den sich ein schüchterner Schwächling hineinprojiziert, dessen wahre Natur, notdürftig im Zaum gehalten von Umfeld und Körperlichkeit.
„Jumanji: Willkommen im Dschungel“, das aktuelle Remake des FantasyabenteuerErfolgs aus dem Jahr 1995, geht diesem Gedanken nach – auch wenn er seine ungustiösen Aspekte ausspart. Im Original mit Robin Williams ließ das titelgebende Zauberspiel seinen wilden Inhalt (Tiere, Treibsand, Dschungelfieber) ungefragt auf eine US-Vorstadt los. Diesmal saugt es die Spieler zu sich ins tropische Treiben – und steckt sie in neue Häute. Vier Teenager, schubladisiert nach Physis und Persönlichkeit. Nerd Spencer, Sportler Fridge, Mauerblümchen Martha, Tussi Bethany. Beim Nachsitzen im Abstellraum finden sie sich Seite an Seite wieder, wie im „Breakfast Club“von John Hughes. Aus Langeweile wird ein alter Zeitvertreib abgestaubt; kein Brettspiel, sondern nostalgiegemäß eine nintendoartige Konsole mit Steckmodul. Jeder wählt seinen Charakter – und fällt plötzlich im Urwald vom Himmel.
Der Nerd ist nun ein Muskelprotz und Draufgänger (Dwayne Johnson), der Sportler ein nervöser Zoologe (Kevin Hart), das Mauerblümchen eine leicht bekleidete Amazone (Karen Gillan) und die Tussi ein bärtiger, übergewichtiger Kartograf (Jack Black). Nur dem Anschein nach, versteht sich – im Inneren ist alles beim Alten. Aber um dem Spiel zu entkommen, muss die Gruppe eine gefährliche Mission erfüllen. Und dafür müssen die zugeteilten Rollen – zumindest im Ansatz – angenommen werden.
Nashornherden, Bikerbanden
Das führt natürlich zu Konflikten und Fehlleistungen. Der neue „Jumanji“-Film ist zuvorderst eine Komödie (Regisseur Jake Kasdan hat zuvor die frivolen Klamotten „Bad Teacher“und „Sex Tape“gedreht), deren Humor sich aus der Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild der Hauptfiguren (und der Mimikry der Schauspieler) speist. Spencer schreckt sich auch im Heldenkleid vor lauten Geräuschen. Fridge wird mangels Körpermasse schnell betrunken. Martha lernt die Kunst des Flirts, doch das Resultat wirkt wie ein gescheiterter Ausdruckstanz. Und Bethany pinkelt im Stehen (der Geschlechtertausch ist die gewagteste Idee des Films). Gewürzt wird die zuweilen durchaus vergnügliche Possenreißerei mit eher uninspirierten Blockbuster-Spektakelszenen: Computergenerierte Nashornhorden und böse Bikerbanden bedrängen den Dschungeltrupp, damit er sich zusammenraufen und über sich selbst hinauswachsen kann.
Entfessle dein Potenzial!
Am Ende geht es in „Jumanji“um die Überwindung von (Cliquen-)Differenzen. Und um die Erkenntnis, dass man nicht sein muss, wer man zu sein glaubt. Oder wer man in den Augen anderer ist. Doch im Unterschied zum ähnlich gelagerten „Breakfast Club“gibt es hier kein Eingeständnis der Unmöglichkeit, überkommene Rollenmuster von einem Tag auf den anderen abzuwerfen. Der Film fühlt sich an wie die Motivationsrede eines Life Coachs. Früher rieten Coming-of-Age-Geschichten: Sei du selbst! Diese fordert vehement: Sei dein besseres Selbst, entfessle dein Potenzial, mach aus deinen Schwächen Stärken! Nur so schaffst du die Mission! Aber was ist mit denen, die gar nicht an der Mission interessiert sind?