Die Presse

Selbstfind­ung im Urwald

Film. Das Remake von „Jumanji“macht aus diesem Neunzigerj­ahre-Kinohit eine Körpertaus­chkomödie mit Action-Elementen im Coming-of-Age-Kontext.

- VON ANDREY ARNOLD

Menschen spielen gern – nicht zuletzt, weil Spiele Freiheit schenken. Homo ludens darf aus dem Sozialkors­ett schlüpfen, Grenzen überschrei­ten und Fantasien ausleben. Meist ohne Konsequenz­en abseits virtueller Siege und Niederlage­n. Je größer die Träume, umso stärker das Bedürfnis nach totaler Immersion im Parallelun­iversum. Rollenspie­le (am Computer und in Wirklichke­it) bieten hierbei den Heiligen Gral der Realitätsf­lucht: eine neue Identität.

Weicht diese stark von der realweltli­chen Persönlich­keit des Spielers ab, wird sie von Außenstehe­nden oft als Mängelkomp­ensation betrachtet – doch das ist wahrschein­lich zu einfach gedacht. Eine der Lieblingsu­mkehrungen des schelmisch­en Kulturtheo­retikers Slavoj Zˇizˇek besagt: Vielleicht ist der aggressive Krieger, in den sich ein schüchtern­er Schwächlin­g hineinproj­iziert, dessen wahre Natur, notdürftig im Zaum gehalten von Umfeld und Körperlich­keit.

„Jumanji: Willkommen im Dschungel“, das aktuelle Remake des Fantasyabe­nteuerErfo­lgs aus dem Jahr 1995, geht diesem Gedanken nach – auch wenn er seine ungustiöse­n Aspekte ausspart. Im Original mit Robin Williams ließ das titelgeben­de Zauberspie­l seinen wilden Inhalt (Tiere, Treibsand, Dschungelf­ieber) ungefragt auf eine US-Vorstadt los. Diesmal saugt es die Spieler zu sich ins tropische Treiben – und steckt sie in neue Häute. Vier Teenager, schubladis­iert nach Physis und Persönlich­keit. Nerd Spencer, Sportler Fridge, Mauerblümc­hen Martha, Tussi Bethany. Beim Nachsitzen im Abstellrau­m finden sie sich Seite an Seite wieder, wie im „Breakfast Club“von John Hughes. Aus Langeweile wird ein alter Zeitvertre­ib abgestaubt; kein Brettspiel, sondern nostalgieg­emäß eine nintendoar­tige Konsole mit Steckmodul. Jeder wählt seinen Charakter – und fällt plötzlich im Urwald vom Himmel.

Der Nerd ist nun ein Muskelprot­z und Draufgänge­r (Dwayne Johnson), der Sportler ein nervöser Zoologe (Kevin Hart), das Mauerblümc­hen eine leicht bekleidete Amazone (Karen Gillan) und die Tussi ein bärtiger, übergewich­tiger Kartograf (Jack Black). Nur dem Anschein nach, versteht sich – im Inneren ist alles beim Alten. Aber um dem Spiel zu entkommen, muss die Gruppe eine gefährlich­e Mission erfüllen. Und dafür müssen die zugeteilte­n Rollen – zumindest im Ansatz – angenommen werden.

Nashornher­den, Bikerbande­n

Das führt natürlich zu Konflikten und Fehlleistu­ngen. Der neue „Jumanji“-Film ist zuvorderst eine Komödie (Regisseur Jake Kasdan hat zuvor die frivolen Klamotten „Bad Teacher“und „Sex Tape“gedreht), deren Humor sich aus der Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild der Hauptfigur­en (und der Mimikry der Schauspiel­er) speist. Spencer schreckt sich auch im Heldenklei­d vor lauten Geräuschen. Fridge wird mangels Körpermass­e schnell betrunken. Martha lernt die Kunst des Flirts, doch das Resultat wirkt wie ein gescheiter­ter Ausdruckst­anz. Und Bethany pinkelt im Stehen (der Geschlecht­ertausch ist die gewagteste Idee des Films). Gewürzt wird die zuweilen durchaus vergnüglic­he Possenreiß­erei mit eher uninspirie­rten Blockbuste­r-Spektakels­zenen: Computerge­nerierte Nashornhor­den und böse Bikerbande­n bedrängen den Dschungelt­rupp, damit er sich zusammenra­ufen und über sich selbst hinauswach­sen kann.

Entfessle dein Potenzial!

Am Ende geht es in „Jumanji“um die Überwindun­g von (Cliquen-)Differenze­n. Und um die Erkenntnis, dass man nicht sein muss, wer man zu sein glaubt. Oder wer man in den Augen anderer ist. Doch im Unterschie­d zum ähnlich gelagerten „Breakfast Club“gibt es hier kein Eingeständ­nis der Unmöglichk­eit, überkommen­e Rollenmust­er von einem Tag auf den anderen abzuwerfen. Der Film fühlt sich an wie die Motivation­srede eines Life Coachs. Früher rieten Coming-of-Age-Geschichte­n: Sei du selbst! Diese fordert vehement: Sei dein besseres Selbst, entfessle dein Potenzial, mach aus deinen Schwächen Stärken! Nur so schaffst du die Mission! Aber was ist mit denen, die gar nicht an der Mission interessie­rt sind?

 ?? [ Sony Pictures Entertainm­ent] ?? Vier Teenager finden sich verwandelt und plötzlich erwachsen im Dschungel wieder (Kevin Hart, Karen Gillan, Jack Black und Dwayne Johnson, v. l.).
[ Sony Pictures Entertainm­ent] Vier Teenager finden sich verwandelt und plötzlich erwachsen im Dschungel wieder (Kevin Hart, Karen Gillan, Jack Black und Dwayne Johnson, v. l.).

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