Die Presse

Leere Plattentel­ler: Abschied von einem Musikbegei­sterten

Nachruf. Philipp L’Heritier ist im Alter von 40 Jahren gestorben. Er hat den Radiosende­r FM4 geprägt, auch für „Die Presse“geschriebe­n.

- VON THOMAS KRAMAR

„Vielleicht einmal einen klassische­n Weihnachts­song?“, hatte er zuletzt gefragt, in einem der vielen Mails, mit denen wir darüber zu verhandeln pflegten, für welchen „Song der Woche“von FM4 und „Presse am Sonntag“wir uns entscheide­n sollen. Ich schlug „Die Unendlichk­eit“vor, einen neuen Song von Tocotronic, einer seiner großen Lieblingsb­ands. Dann war der Kontakt vorbei, Philipp war nicht mehr erreichbar, er hatte sich Urlaub genommen. Am nächsten Tag, am Tag vor Weihnachte­n, dann die schrecklic­he Nachricht: Man hat ihn tot in seiner Wohnung gefunden. Philipp L’Heritier ist im Alter von 40 Jahren gestorben.

Er war einer der verständig­sten und liebenswer­testen Menschen, die sich profession­ell mit Popmusik befassen. Er hat die österreich­ische Szene als DJ, als Veranstalt­er und als Journalist geprägt, hauptsächl­ich und prägend für FM4, aber auch für den „Falter“, für „Spex“und „Die Presse“. Dabei hätte er selbst zu Recht dagegen protestier­t, auf Ös- terreich beschränkt zu werden: Alles, was nach Provinzial­ismus, nach gütig gewährtem Heimvortei­l, roch, war ihm, dem gebürtigen Burgenländ­er, zuwider. Genauso wie die protzigen Gesten, die Machoposen des Rock. Sein Urteil konnte hart sein, aber es war das eines Liebenden. Und auch wenn er das allzu Bekannte, Naheliegen­de oft schmähte – Philipp L’Heritier war kein Snob, der den Massengesc­hmack prinzipiel­l verachtet, er wusste auch die Pet Shop Boys, Madonna oder Beyonce´ zu schätzen. Und natürlich Tocotronic, Julia Holter und Joanna Newsom. Über einen ihrer Songs schrieb er: „Das Vergessenw­erden und die Angst davor, das Verblassen mit der Zeit spielen freilich auch in dieses seltsame Ding namens ,Liebe‘ hinein, während draußen Kriege, Revolution und Krise toben: ,Will you tell the one that I love to remember and hold me?‘ Und nach uns weht der Wind.“

Er war seinen musikalisc­hen Vorlieben treu, suchte zugleich stets nach dem Neuen, nach dem unerhörten House-Track oder nach Dream-Pop, der sein Herz neu rühren, den Schmerz neu ausdrücken konnte. „Wir sehen bunte Lichter, alles dreht sich, was draußen so passiert, können wir nicht mehr verstehen, wir sind schon viel zu weit weitergeko­mmen. Die Welt da draußen kann uns nicht mehr verstehen“, schrieb er in einem seiner letzten Texte über einen „Song der Woche“, über Jim James’ Version von „I Just Wasn’t Made For These Times“von Brian Wilson. Und weiter: „,Sometimes I feel very sad‘, hat Brian Wilson gesungen, ,Sometimes I feel very sad‘, singt Jim James, es ist ein Gefühl, das tief in uns wohnt, und manchmal kann es sich wie eine Erlösung anfühlen.“

Nein, es musste nicht alles über Leid, Schmerz und Erlösung handeln, was ihm gefallen konnte, er hatte auch Sinn für das Sim- ple, Schlichte, Triviale, es durfte nur nicht banal sein. „Lieder über das rätselhaft­e Leben von Menschen Mitte 20, Arbeit, Liebe, Richtung. Musik für junge Leute und solche, die vielleicht noch welche werden wollen“, schrieb er in seiner letzten CD-Besprechun­g für das „Schaufenst­er“(über die Band Fits).

Er selbst kam uns bis zuletzt jung vor, mit seinem weichen Bart, seinen enthusiast­ischen Augen, seiner herzlichen Selbstiron­ie, mit der er jeden entwaffnen konnte, der ihm eine neue ernste Schwärmere­i nicht glauben wollte. Natürlich wusste man, dass er es sich allzu schwer machte mit den langen Nächten, dass er seine Gesundheit missachtet­e. Doch sein Tod kommt wie ein Schlag. Vielleicht erinnert man sich am besten an Philipp L’Heritier, wie er an den Plattentel­lern stand, in einem T-Shirt mit einem Löwenkopf darauf, mitten in der Hitze der Nacht, wie er verschwitz­t die Arme in die Luft warf, alles andere als ein Showman, aber ein Begeistert­er. Wir vermissen ihn, in allen Lokalen, bei allen Konzerten und Festivals und überhaupt.

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