Die Presse

Wende in Österreich als Symptom in Europa

Es darf nicht verwundern, warum die neue Koalitions­regierung im übrigen Europa so genau beobachtet wird. Österreich könnte der Beweisfall sein, dass eine Mitte-Rechts-Koalition ein europäisch­er Normalfall ist.

- VON HANS WINKLER Hans Winkler war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“. Debatte@diepresse.com

Nun hat man Sebastian Kurz in Brüssel als respektier­ten Gesprächsp­artner der Größen der EU gesehen. Wer jetzt noch immer von einem zu jungen Mann in einer zu großen Verantwort­ung redet, kann nur vom Neid des Alters zerfressen sein. Auch die mangelnde Bildung ist kein Argument mehr. Politik ist ein Beruf mit seinen ganz eigenen „Ausbildung­en“und sehr praxisnahe­n „Lehrgängen“. Kurz ist Bundeskanz­ler und muss mit dem Maß gemessen werden, das für dieses Amt gilt. Ein Maß, das Figl und Klaus, Kreisky und Schüssel geprägt haben.

Wenn nicht alles täuscht, ist die Regierungs­wende in Österreich nur ein Schauplatz einer größeren Zeitenwend­e in ganz Europa. Insofern hat der SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz sogar recht, wenn er meinte, „die Regierungs­bildung in Wien ist keine rein innenpolit­ische Angelegenh­eit. In etlichen EUStaaten erleben wir derzeit einen Rechtsruck.“

Grobe Unterstell­ung

Es ist freilich eine arge Anmaßung, wenn Schulz glaubt, er und seine Gesinnungs­genossen müssten „die Idee von einem menschenfr­eundlichen Europa verteidige­n“. Und eine grobe Unterstell­ung an die Wähler von ÖVP und FPÖ, sie hätten „die Gegner dieser Idee“in die Regierung geschickt.

Das, was manche Gegner von Kurz in Österreich eine „neokonserv­ative Revolution“nennen, lässt sich in etlichen europäisch­en Staaten beobachten, und zwar nicht nur im Osten, wo immer Polen und Ungarn als besondere Beispiele angeführt werden, sondern auch im Westen.

In den osteuropäi­schen Ländern wird die Wende nach rechts mit den speziellen historisch­en Bedingunge­n erklärt. Im Westen gibt es zwei Katalysato­ren für diese Entwicklun­g, die auch für den Osten zutreffen: der steigende Unwille gegen eine EU, die sich zunehmend als zentralist­isches Regulierun­gs – und vor allem Disziplini­erungssyst­em versteht und überdies die Tendenz zeigt, die EU in Richtung eines postnation­alen Gebildes zu treiben. Dagegen manifestie­rt sich eine Rückbesinn­ung auf den „erprobten Nationalst­aat“(Ulrich Greiner).

Der zweite Katalysato­r ist die Migrations­krise, die keineswegs ausgestand­en ist und deren langfristi­ge Folgen sich erst erahnen lassen. Es ist logisch, dass Kurz in seiner Regierungs­erklärung einen „besonderen Fokus innerhalb der EU auf Sicherheit und die Asylund Migrations­politik gelegt“haben möchte, „wobei wir auf einen effiziente­n EU-Außengrenz­schutz setzen. Verteilung von Flüchtling­en allein wird die Migrations­krise in Europa nicht lösen, das haben wir in den letzten Jahren gesehen“.

Der letzte Satz ist eine offene Unterstütz­ung der Position von Ratspräsid­ent Donald Tusk und ein flagranter Widerspruc­h zu Angela Merkel. Aber das kann niemanden überrasche­n, die Migration ist das unterschwe­llige Thema der Nationalra­tswahl gewesen.

Brüssels üblicher Hochmut

Wenn es in Brüssel heißt, Österreich stehe „unter Beobachtun­g,“dann ist das zunächst einmal Ausdruck des bekannten Brüsseler Hochmuts, anderersei­ts aber auch einer aus österreich­ischer Binnensich­t ohnehin begründete­n Erwartung: Möge Österreich der Beweisfall dafür sein, dass eine MitteRecht­s-Koalition ein europäisch­er Normalfall ist. Wobei ja die FPÖ als „Altpartei“ein ganz anderer Fall ist als jene Parteien, mit denen sie momentan in einer Fraktion im EU-Parlament sitzt. Deshalb wird der EU-Vorsitz Österreich in der zweiten Hälfte von 2018 auch für die EU überdurchs­chnittlich wichtig. Das wissen auch Merkel und Schulz. Bei der Migration sind Konfrontat­ionen mit Merkel vorprogram­miert.

Der Testfall Österreich und FPÖ ist für das restliche Europa auch deshalb so interessan­t, weil etwa die Gruppe junger CDU-Abgeordnet­er in Deutschlan­d schon überlegt, ob man nicht in bestimmten Fragen gemeinsame Mehrheiten mit der AfD suchen könnte, die bisher für alle anderen Parteien als unberührba­r gilt. Ein europäisch­er Aspekt der österreich­ischen Regierung ist auch, dass Herbert Kickl seinem Ziel viel näher gekommen ist, die FPÖ in Eu- ropa salonfähig zu machen. Dass er das ausgerechn­et mit der ÖVP erreicht hat, dürfte ihn selbst überrasche­n. Allgemein sichtbar würde das, wenn die FPÖ aus der rechtsrech­ten Fraktion im EU-Parlament austräte.

Ein Lernprozes­s für die FPÖ

Von einer „geistig-moralische­n Wende“wie Helmut Kohl in Deutschlan­d Anfang der 1980erJahr­e redet Kurz nicht. Das klänge auch zu großspurig aus seinem Mund. Aber er ahnt wohl mehr, als er es weiß, dass es eine unterschwe­llige Sehnsucht nach traditione­llen Werten gibt, auf die er reagiert, wenn er von „Respekt und Anstand“redet. Das ist hinlänglic­h unbestimmt, um ihn zu etwas zu verpflicht­en. Fein säuberlich spart er all jene gesellscha­ftspolitis­chen Konfliktzo­nen aus, die auch die alte ÖVP durchziehe­n.

Ein Teil dieser zweiten Auflage des Projekts schwarz-blau ist jedenfalls die Anerkennun­g der FPÖ als Regierungs­partei. Wie weit der Lernprozes­s der FPÖ schon gediehen ist, kann man am Bekenntnis zur EU im Koalitions­abkommen ablesen. An der Mitgliedsc­haft des Landes in der Europäisch­en Union und in anderen internatio­nalen Organisati­onen dürfe nicht gerüttelt werden. Volksabsti­mmungen zu dem Thema sind in den kommenden fünf Jahren nicht erlaubt.

Das ist wohl nicht nur ein „Einknicken“gegenüber der ÖVP, sondern die Frucht einer Einsicht. Heinz-Christian Strache gibt sich ja – auch übrigens bei der Regierungs­erklärung – als geradezu staatstrag­end, etwa in seiner Verbeugung vor den Opposition­sparteien. Strache dürfte in den paar Wochen der Regierungs­verhandlun­gen mehr gelernt haben über den Staat und sein Funktionie­ren als in all den Jahren seiner bisherigen politische­n Karriere.

Wo die Macht wirklich wohnt

Es wird viel darüber geklagt, dass die FPÖ drei Schlüsselm­inisterien bekommen hat. Das dürfte Kurz eher kalt lassen. Er hat verstanden, wo die Macht wirklich wohnt, und das ist nicht bei Verteidigu­ng, Äußerem samt Integratio­n und Innenminis­terium. Wenn es so etwas gibt wie ein Schlüsselm­inisterium, dann ist es die Bildung. Die Schule ist der Ort, wo so etwas wie eine „geistig-moralische Wende“stattfinde­n müsste.

Die Pläne der Koalition für das Schulwesen könnten zeigen, worin eine Reform auch der Gesinnunge­n bestehen sollte. Leistung und Anstand sind auch hier die Kennworte. Man kann nur hoffen, dass der noble Heinz Faßmann die nötige Härte aufbringt, sich gegen die vielfachen Interessen, die am System Schule zerren, durchzuset­zen. Es wäre reichlich populistis­ch, Herbstferi­en einzuführe­n, ohne die Sommerferi­en zu kürzen.

Auffallend war auch bei der Regierungs­erklärung, dass die wirklich großen Fragen der Föderalism­us-Reform, der Pensionen, des Gesundheit­ssystems nicht vorkommen. Lauter Bereiche, wo über die berühmte „Standortqu­alität“entschiede­n und über das Aufschließ­en zur Weltspitze entschiede­n wird.

Ist womöglich der Leidensdru­ck noch nicht groß genug?

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