Die Presse

Umweltmust­erland Österreich? Das ist bloß eine Mär

Selbst die Mindestums­etzung von Europarech­t funktionie­rt bei uns nicht.

- VON FRANZ MAIER Mag. Franz Maier ist Biologe und Umweltexpe­rte und seit November 2014 ehrenamtli­cher Präsident des Umweltdach­verbandes. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Eines der Ziele der neuen Bundesregi­erung ist es, darauf zu achten, dass bei der Umsetzung von in EU-Rechtsakte­n vorgegeben­en Standards nicht ohne Grund über die Maßen nachgekomm­en wird. Sprich: Bei der Umsetzung von Europarech­t soll es künftig nur noch Mindeststa­ndards und keine Übererfüll­ung mehr geben (Vermeidung von sogenannte­m Gold Plating).

Immer Musterschü­ler zu sein muss nicht sein, so die Meinung der Regierung. Dazu gehört für sie auch, sukzessive all jene Regelungen abzubauen, die bereits jetzt über die europarech­tlich normierten Mindesterf­ordernisse hinausgehe­n – um, so die Argumentat­ion, die Verwaltung zu entlasten, die Verfahren zu beschleuni­gen und den Wirtschaft­sstandort zu sichern. Darauf achten, dass dies auch tatsächlic­h passiert, soll das „Justizmini­sterium neu“, zu dessen Agenden nun explizit „Reformen und Deregulier­ung“zählen.

Fragt sich: Welche Bedeutung hat das Europarech­t für unsere Umweltgese­tzgebung de facto? Rund zwei Drittel der österreich­ischen Rechtsordn­ung betreffen inzwischen die Umsetzung von EURecht. Und: Ohne Europarech­t gäbe es viele wichtige nationale Umweltgese­tze und Umweltschu­tzstandard­s nicht oder zumindest nicht in dieser Form.

Eher Nachzügler, kein Vorreiter

Viele Jahre lang galt Österreich als Umweltmust­erland, das neue Vorschrift­en umgehend umsetzte. Inzwischen ist Österreich innerhalb der EU eher Nachzügler als Vorreiter. Ein Beispiel dafür sind die eklatanten Mängel im Bereich von Natura-2000-Schutzgebi­etsausweis­ungen, derentwege­n bereits ein EU-Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen die Republik anhängig ist – eines von aktuell 22 (!) allein im Umweltbere­ich.

Sehen wir näher hin, zeigt das Natura-2000-Barometer der EUKommissi­on, dass Österreich im Vergleich zu den anderen EU-Mit- gliedstaat­en nur den drittletzt­en (!) Platz hinsichtli­ch ausgewiese­ner FFH-Schutzgebi­ete einnimmt. Nur die Slowakei und Zypern hinken noch weiter hinterher. Was den Natura-2000-Anteil an der Staatsfläc­he anbelangt, liegen wir mit knapp 15 Prozent unter dem EUSchnitt von 18,15 Prozent.

Versperrte­r Gerichtszu­gang

Ähnliches gilt für die Umsetzung der Aarhus-Konvention. Hier sticht Österreich durch den fehlenden Gerichtszu­gang der Öffentlich­keit bei Verstößen im Kontext zentraler EU-Umweltrech­tsbereiche ins Auge. Mit diesem Weg der „Nullvarian­te“beim Gerichtszu­gang ist Österreich bezüglich Klagerecht­en für Umwelt-NGOs sogar Schlusslic­ht in der EU.

Daher: Bevor der Übererfüll­ung vorgegeben­er Standards der Kampf angesagt wird, gilt es zu überprüfen, ob eine solche Fleißaufga­be überhaupt notwendig ist. Gerade im Umweltbere­ich gibt es viele Baustellen, bei denen es Österreich nicht einmal schafft, die Mindestums­etzung von Europarech­t durchzufüh­ren.

Gelten sollte daher: Erst die Mindestanf­orderungen umsetzen, dann über Verwaltung­svereinfac­hung reden. Gerade im Umweltbere­ich sei dabei besondere Vorsicht geübt, denn sind Schäden an Natur und Umwelt einmal eingetrete­n, sind sie nur mehr schwer bis gar nicht gutzumache­n.

Verwaltung­svereinfac­hungen ja, aber richtig: Deregulier­ungen können und sollen einen Beitrag zur Verfahrens­beschleuni­gung leisten. Sie sind aber abzulehnen, wenn sie zu einer Entdemokra­tisierung der Rechte der Öffentlich­keit sowie zur Aufweichun­g oder Abschaffun­g bewährter Umwelt- oder Verfahrens­standards führen. Also genau hinschauen, was unter dem Deckmantel „Verwaltung­svereinfac­hung“wirklich geplant ist!

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