Umweltmusterland Österreich? Das ist bloß eine Mär
Selbst die Mindestumsetzung von Europarecht funktioniert bei uns nicht.
Eines der Ziele der neuen Bundesregierung ist es, darauf zu achten, dass bei der Umsetzung von in EU-Rechtsakten vorgegebenen Standards nicht ohne Grund über die Maßen nachgekommen wird. Sprich: Bei der Umsetzung von Europarecht soll es künftig nur noch Mindeststandards und keine Übererfüllung mehr geben (Vermeidung von sogenanntem Gold Plating).
Immer Musterschüler zu sein muss nicht sein, so die Meinung der Regierung. Dazu gehört für sie auch, sukzessive all jene Regelungen abzubauen, die bereits jetzt über die europarechtlich normierten Mindesterfordernisse hinausgehen – um, so die Argumentation, die Verwaltung zu entlasten, die Verfahren zu beschleunigen und den Wirtschaftsstandort zu sichern. Darauf achten, dass dies auch tatsächlich passiert, soll das „Justizministerium neu“, zu dessen Agenden nun explizit „Reformen und Deregulierung“zählen.
Fragt sich: Welche Bedeutung hat das Europarecht für unsere Umweltgesetzgebung de facto? Rund zwei Drittel der österreichischen Rechtsordnung betreffen inzwischen die Umsetzung von EURecht. Und: Ohne Europarecht gäbe es viele wichtige nationale Umweltgesetze und Umweltschutzstandards nicht oder zumindest nicht in dieser Form.
Eher Nachzügler, kein Vorreiter
Viele Jahre lang galt Österreich als Umweltmusterland, das neue Vorschriften umgehend umsetzte. Inzwischen ist Österreich innerhalb der EU eher Nachzügler als Vorreiter. Ein Beispiel dafür sind die eklatanten Mängel im Bereich von Natura-2000-Schutzgebietsausweisungen, derentwegen bereits ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik anhängig ist – eines von aktuell 22 (!) allein im Umweltbereich.
Sehen wir näher hin, zeigt das Natura-2000-Barometer der EUKommission, dass Österreich im Vergleich zu den anderen EU-Mit- gliedstaaten nur den drittletzten (!) Platz hinsichtlich ausgewiesener FFH-Schutzgebiete einnimmt. Nur die Slowakei und Zypern hinken noch weiter hinterher. Was den Natura-2000-Anteil an der Staatsfläche anbelangt, liegen wir mit knapp 15 Prozent unter dem EUSchnitt von 18,15 Prozent.
Versperrter Gerichtszugang
Ähnliches gilt für die Umsetzung der Aarhus-Konvention. Hier sticht Österreich durch den fehlenden Gerichtszugang der Öffentlichkeit bei Verstößen im Kontext zentraler EU-Umweltrechtsbereiche ins Auge. Mit diesem Weg der „Nullvariante“beim Gerichtszugang ist Österreich bezüglich Klagerechten für Umwelt-NGOs sogar Schlusslicht in der EU.
Daher: Bevor der Übererfüllung vorgegebener Standards der Kampf angesagt wird, gilt es zu überprüfen, ob eine solche Fleißaufgabe überhaupt notwendig ist. Gerade im Umweltbereich gibt es viele Baustellen, bei denen es Österreich nicht einmal schafft, die Mindestumsetzung von Europarecht durchzuführen.
Gelten sollte daher: Erst die Mindestanforderungen umsetzen, dann über Verwaltungsvereinfachung reden. Gerade im Umweltbereich sei dabei besondere Vorsicht geübt, denn sind Schäden an Natur und Umwelt einmal eingetreten, sind sie nur mehr schwer bis gar nicht gutzumachen.
Verwaltungsvereinfachungen ja, aber richtig: Deregulierungen können und sollen einen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung leisten. Sie sind aber abzulehnen, wenn sie zu einer Entdemokratisierung der Rechte der Öffentlichkeit sowie zur Aufweichung oder Abschaffung bewährter Umwelt- oder Verfahrensstandards führen. Also genau hinschauen, was unter dem Deckmantel „Verwaltungsvereinfachung“wirklich geplant ist!