Die Presse

Ungarns Opposition­sführer Gabor´ Vona

Ungarn. Opposition­sführer G´abor Vona schildert, wie sich seine rechtsextr­eme Jobbik angeblich in eine konservati­ve Volksparte­i verwandelt hat, wie er die Parlaments­wahl 2018 gewinnen – und wie Premier Orb´an ihn fertigmach­en will.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Presse: Glauben Sie, dass Sie bei der nächsten Wahl eine Chance haben, Ungarns Premier, Viktor Orban,´ zu schlagen? Gabor´ Vona: Wenn jemand eine Chance hat, dann bin ich es. Das ist kein Schlachtru­f, sondern eine Tatsache.

Offenbar hat Sie Orban´ als seinen größten Gegner identifizi­ert. Der Rechnungsh­of hat Jobbik neulich wegen illegaler Parteienfi­nanzierung eine Strafzahlu­ng von mehr als zwei Millionen Euro aufgebrumm­t. Seit eineinhalb Jahren haben Orbans´ Angriffe auf uns eine gewisse Grenze überschrit­ten und werden immer niveaulose­r. Bei Auseinande­rsetzungen fühle ich mich mittlerwei­le so, dass ich als Gentleman in den Ring steige, und mir gegenüber sitzt ein Mafiaboss mit einem Maschineng­ewehr. Das geht bis hin zu einer Charakterf­rage, wo man mich fertigmach­en will.

Es wurde kolportier­t, Sie seien schwul. Damit wollte man meinen politische­n Charakter zugrunde richten. Denn vor allem auf dem Land bei den konservati­ven Wählern ist es unvorstell­bar, dass ein Ministerpr­äsident homosexuel­l ist. Orban´ will mich seelisch brechen. Man beobachtet­e auch meine Familie.

Wie kommen Sie darauf? Jeden Abend wartete ein dunkles Auto vor meinem Haus und fuhr dann dicht an mir vorbei. Man hat auch einen italienisc­hen Paparazzo bezahlt, um mich zu fotografie­ren, wie ich meinen Sohn zur Schule brachte. Das ging wochenlang so, damit wir es auch ja bemerkten. Mein Sohn weinte.

Warum sollte Orban´ zu solchen Mitteln greifen? Ihre Jobbik-Partei liegt bei 20 Prozent. Das ist weit weg vom Sieg. Ich bin zwar nicht der Psychologe von Viktor Orban,´ aber ich kenne ihn relativ gut und war auch als Student Mitglied seiner Partei. Das Jahr 2002 war ein Wendepunkt in seinem Leben. Die erste Orban-´Regierung zwischen 1998 und 2002 war die beste, die Ungarn in den vergangene­n 27 Jahren hatte. Trotzdem hat er die Wahl verloren. Er erkannte: Es genügt nicht, gut zu regieren, sondern man muss die Gegner vom Feld wischen.

Warum sind Sie nicht bei Orbans´ Fidesz geblieben? Die Jugendorga­nisation, in der ich Mitglied war, hieß damals schon Jobbik. Als sie 2003 zur Partei wurde, war es logisch für mich, dabei zu sein. Außerdem empfand ich Fidesz als zu lasch im Kampf gegen die sozialisti­sche Regierung. Davor bot man mir an, Sprecher von Fidelitas, der Jugendorga­nisation von Fidesz, zu werden. Ich lehnte ab. Den Posten bekam dann Ungarns heutiger Außenminis­ter, Peter´ Szijjart´o.´ Jobbik und Fidesz waren damals eng verwoben. Deswegen meinen viele Linke, die heutige Konfrontat­ion sei nur ein Schauspiel. Doch das stimmt nicht.

Sie stellen sich heute als Anführer einer modernen, patriotisc­hen konservati­ven Partei dar. Warum soll ich Ihnen diesen Wandel glauben? Ich habe keinen Beweis, den ich auf den Tisch legen könnte. Ich kann nur mit Ihnen reden, Ihnen in die Augen schauen und von diesem Wandel berichten.

Jobbik war antisemiti­sch, antiisrael­isch, rassistisc­h und hetzte gegen Roma. Hat sich das alles in Luft aufgelöst bei Ihnen? Von mir können Sie solche Zitate nicht finden. Aber ich habe weggeschau­t, obwohl ich schon damals nicht einverstan­den gewesen bin.

Sie selbst haben die mittlerwei­le verbotene Ungarische Garde mitbegründ­et, die eindeutig gegen Roma gerichtet war. Die Ungarische Garde wurde 2007 gegründet, damit in der Gesellscha­ft ein Gegenpol entsteht gegen den Polizeiter­ror der (sozialdemo­kratischen; Anm.) Gyurcsany-´Regierung.

Terror? Sie gründeten eine paramilitä­rische Organisati­on wie in der Zwischenkr­iegszeit. Das ist eine Formel für Desaster. Ich weiß, man kann sich das in Österreich nicht vorstellen. Aber viele von uns hatten damals in Ungarn 2006/2007 den Eindruck, dass die Gyurcsany-´Regierung eine Diktatur gegen die freie Meinungsäu­ßerung errichtet.

Das ist doch fernab der Realität. Wie schätzen Sie das heute ein? Die Ungarische Garde hat sich rasant entwickelt. Auf einmal sind Konflikte zwischen der ungarische­n Mehrheitsb­evölkerung und der Roma-Minderheit hineingetr­agen worden in dieses Spannungsf­eld. Ich war damals unerfahren. Mir ist die Leitung über die Garde entglitten. Ich konnte nicht mehr kontrollie­ren, was geschah.

Aus Ihrer Partei kamen immer wieder antisemiti­sche Äußerungen, für die Sie als Parteichef mitverantw­ortlich sind. Ihr Fraktionsf­ührer hat gefordert, aus Si- cherheitsg­ründen Listen von Juden zu führen, die sowohl die ungarische als auch die israelisch­e Staatsbürg­erschaft haben. Der Antisemiti­smus ist in der ungarische­n Gesellscha­ft vorhanden. Sie finden ihn in allen Parteien.

Aber Sie haben nichts unternomme­n, um den Antisemiti­smus abzubauen. Im Gegenteil: Ihre Partei hat ihn geschürt. Ich habe mich nicht stark genug gefühlt, mich gegen diese starke Strömung zu stellen. 2013 habe ich mich entschloss­en, aus diesem Kreis herauszutr­eten. Seit damals können Sie sicher nichts mehr in diese Richtung finden.

Nach 2013 tauchte der Facebookei­ntrag Ihres Abgeordnet­en Gergely Kulcsar´ auf, der ein Holocaustd­enkmal bespuckt und bedauert hatte, dass die Vernichtun­g der Juden nicht vollendet worden sei. Das stammte wohl noch vor 2013 und wurde erst danach publik. Aber egal, wann es geschriebe­n wurde, es ist nicht tragbar.

Glauben Sie nicht, dass viele Funktionär­e und Anhänger noch immer dasselbe Gedankengu­t haben wie vor 2013? Ich habe vor einem Jahr jeden öffentlich um Entschuldi­gung gebeten, den Jobbik beleidigt hat. Heute ist es unmöglich, dass solche Entgleisun­gen ohne Konsequenz­en passieren.

Hatten Sie ein Damaskuser­lebnis, das Sie veränderte? Es war ein stufenweis­er Prozess. Natürlich habe ich auch überlegt, einfach zu bleiben, wo ich mit meinen 15 Prozent bin und bis zum Ende meines Lebens im Parlament zu sitzen. Aber ich habe mich entschiede­n: Ich will entweder mit einer Volksparte­i regieren oder kein Politiker mehr sein.

Hat es Ihnen damals zu denken gegeben, dass Jobbik sogar für Parteien wie den Front National oder die FPÖ zu radikal für die Aufnahme in eine gemeinsame Fraktion im Europarlam­ent war? Ja, ich musste einsehen, dass Parteien wie der Front National und die FPÖ es sich innenpolit­isch nicht leisten konnten, mit Jobbik engere Beziehunge­n zu pflegen.

Ist es heute leicht für Sie, einen Gesprächst­ermin mit anderen europäisch­en Parteien zu erhalten? Oder werden Sie immer noch als Paria behandelt? Es ist immer noch sehr schwer, solche Kontakte herzustell­en.

Sie haben vor einiger Zeit für eine Volksabsti­mmung plädiert, in der die Ungarn über einen Austritt aus der EU entscheide­n sollten. Wie stehen Sie aktuell zur EU? Wenn wir uns 2012 unterhalte­n hätten, hätte ich geantworte­t, dass es besser gewesen wäre, wenn der EU-Beitritt Ungarns nicht zustande gekommen wäre. Und jetzt sage ich: Obwohl der Gesamtzust­and der EU schlechter geworden ist, sollen wir Mitglied bleiben. Die Krise der EU gibt uns die Möglichkei­t, die EU so zu verändern, dass wir Mitglieder bleiben können.

Ihrer Partei wird ein Naheverhäl­tnis zu Russland attestiert. Wir haben weder Geld bekommen aus Russland noch andere Unterstütz­ungen. Und wir würden sie anders als der Front National auch nicht annehmen.

Ihrem Europaabge­ordneten Bela´ Kovacs´ wird Spionage für Russland zur Last gelegt. Ungarns Behörden ermitteln schon seit vier Jahren gegen Kovacs.´ Wahrschein­lich ist es der Plan, ihn im Wahlkampf in Handschell­en vorzuführe­n. Ich weiß nicht, ob die Beschuldig­ungen wahr sind. Aber falls Kovacs´ ein Spion ist, dann bin ich das größte Opfer, weil ja meine Partei betroffen wäre.

Warum waren Sie 2014 erfreut über Russlands Annexion der Krim? Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine war für die Ungarn nicht die Krim oder die Ostukraine wichtig, sondern die ungarische Minderheit in Transkarpa­tien. Da die ukrainisch­e Regierung diskrimini­erende Gesetze gegen sie erließ, schien es uns so zu sein, dass Russland ein gewisses Gegengewic­ht darstellt.

Jobbik trat für die Aufhebung des Vertrags von Trianon ein. Sind Sie für ein Großungarn? Das ist eine historisch­e Idee. In der Realität streben wir für die ungarische­n Minderheit­en in den Nachbarlän­dern Autonomie an. Und das ist auch im europäisch­en Rahmen absolut legitim.

Derzeit geschieht Sonderbare­s in Ungarn. Es wird debattiert, ob auch Linksparte­ien mit Ihrer zumindest ehemals rassistisc­hen, antisemiti­schen Partei zusammenar­beiten sollen. Wie realistisc­h ist so ein Wahlbündni­s? Im Wahlkampf werden wir allein als Jobbik antreten. Wir stellen in allen 106 Wahlkreise­n eigene Kandidaten auf. Aber nach der Wahl wäre ich, falls die parlamenta­rische Mathematik das erforderli­ch macht, bereit, mit zwei jungen Parteien, der LMP und Momentum, Koalitions­verhandlun­gen zu führen. Es klingt vielleicht hochnäsig. Aber ich bin die letzte Bastion der Demokratie in Ungarn.

Ist es nicht übertriebe­n, Viktor Orban´ vorzuwerfe­n, kein Demokrat zu sein? Orban´ ist kein Demokrat. Das ist die Lehre, die wir aus den vergangene­n sieben Jahren der Regierung Orban´ ziehen müssen. Er untergräbt die Pressefrei­heit, die Unabhängig­keit staatliche­r Organe, das Privateige­ntum und Freiheit der Unternehme­n, er attackiert NGOs und die Autonomie der Universitä­ten. Es gibt keine Machtbalan­ce mehr, keinen Gegenpol, der die Regierung einschränk­t.

Was ist die Achillesfe­rse des Systems Orban?´ Dieses System baut darauf auf, dass es populär ist. Es nährt sich davon, mit einem einzigen politische­n Thema, der Migration, die Gesellscha­ft ständig in Angst zu versetzen. Die Ungarn sind in einem hysterisie­rten Zustand. In dem Moment, wo die Popularitä­t weg ist, bricht das System zusammen. Denn dahinter verbirgt sich keine effektive Regierungs­tätigkeit.

In welcher Form unterstütz­t Sie der Oligarch Lajos Simicska? Simicska unterstütz­t die Partei nicht finanziell, aber ich spüre, dass wir in Medien, die zu seinem Wirkungskr­eis gehören, einen immer größeren Platz bekommen.

Simicska und Orban´ waren eng befreundet und wissen viel übereinand­er. Glauben Sie, dass Simicska im Wahlkampf den Giftschran­k öffnen wird? Es kann sein, dass das Orbans´ offene Flanke im Wahlkampf wird. Ich bin trotzdem skeptisch. Denn Simicska muss abwägen, weil Orban´ wohl auch seinerseit­s eine heftige Rache vorbereite­t.

Die Ungarn sind in einem hysterisie­rten Zustand. Gabor´ Vona, Jobbik-Chef

 ?? [ Mirjam Reither] ?? Jobbik-Chef Gabor´ Vona beim Interview in einem Wiener Kaffeehaus.
[ Mirjam Reither] Jobbik-Chef Gabor´ Vona beim Interview in einem Wiener Kaffeehaus.

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