Als Montblanc auf die Zukunft traf
Reportage. Neben Füllfedern verkauft Montblanc der Tablet-Generation digitale Spielereien. Die Marke muss zum Überleben den Spagat schaffen: jung sein, ohne alte Stammkunden zu vergraulen.
Hamburg/Wien. Sie liegt schwer und kühl in der Hand. Weißgold, Saphire und Diamanten haben ihr Gewicht. Und ihren Preis. 1,5 Millionen Euro ist die Füllfeder wert, die Marco Simon weißbehandschuht und behutsam aus ihrem Schneewittchensarg holt.
Das Schreibgerät auf seinem Samtpolster erinnert nur entfernt an den schwarzglänzenden Klassiker mit dem selbstbewussten Namen Meisterstück, der Montblanc 1924 den Ruf als Hersteller edler Füllfedern eintrug. Die Kappenspitze hat die Form eines Elefanten, der edelsteinbesetzte Clip erinnert an einen Rüssel. Die teure Hommage an den Feldherren Hannibal und seine Alpenüberquerung gibt es drei Mal auf der Welt, alle verkauft. Dass eine hier auf seinen Besitzer wartet, ist Zufall.
Wir befinden uns tief im Inneren des Hamburger Stammhauses, wo alle Schreibgeräte für den Weltmarkt gefertigt werden. In das Atelier für Spezialeditionen haben normalerweise nur die zahlungskräftigsten Kunden Eintritt. Hier wird mit Jade, Mammuthorn, auf Sonderwunsch auch mit Tabakblättern gearbeitet. Für Simon und seine Kollegen gilt in jedem Fall: Geht nicht, geht nicht. An dem Tabakstift arbeiteten sie zwei Jahre.
Ein Berg im Flachland
Montblanc. Der Name erinnert gewollt an Frankreich, vielleicht ein wenig an Italien. Aber wer würde den höchsten Berg der Alpen mit Hamburgs Industrieviertel Lurup assoziieren? So wie der irreleitende Name schwankt das Selbstbild zwischen norddeutschem Mittelstand und großer Welt, erklärt Montblanc-Mitarbeiterin Adrienne Fortmann, während sie an den Fotografien von Johannes Paul II., den Brüdern Klitschko und Helmut Kohl vorbeiführt. Alle Kunden des Hauses. Dieses definiert sich einerseits über seine lokale, eigenständige Füllfederwerkstatt. Anderer- Drei Deutsche wollen in Hamburg die neuerfundene Füllfeder produzieren. Der weiße Stern ist Markenzeichen. Die britische Dunhill-Gruppe übernimmt die Firma schrittweise. Dunhill wird von Vendome,ˆ dem Vorgänger von Richemont, gekauft. Die größte Montblanc-Boutique der Welt öffnet in Peking. China gehört neben Deutschland, Österreich, den USA und Indien zu den wichtigsten Märkten. seits ist da die Mutter: der Schweizer Luxuskonzern Richemont, in dessen Markenpotpourri die Hamburger neben Cartier, Jaeger-LeCoultre und Chloe´ stehen. Oliver Gößler, der den deutschen und den österreichischen Markt leitet, wird beim Treffen im Geschäft am Wiener Graben einige Wochen später einen diplomatischen Vergleich finden: „Ich fühle mich als Hamburger und Europäer.“
Vor 111 Jahren taten sich in Hamburg ein Ingenieur, ein Kaufmann und ein Investor zusammen, um die neue amerikanische Idee des Füllfederhalters nach Europa zu bringen. Der französische Name wurde ihrem Unternehmen nicht erst von der Schweizer Mutter verpasst. Die Ursprungsmarke Simplo empfand man schlicht sehr bald als unsexy. Französisch lag im Trend. Also kamen sie im norddeutschen Flachland auf den Montblanc. Seitdem sind die sechs weißen Gipfel das Firmenlogo und seine 4180 Meter (damalige) Höhe in die Feder des Meisterstücks eingraviert.
40 Prozent des Umsatzes macht Montblanc noch mit Schreibgeräten. Seit den Anfängen auf der Hamburger Schanze ist vieles anders. Der Fokus auf das Luxussegment in den Siebzigern und Achtzigern begründete den heutigen Erfolg, sagt Gößler. Hätte man weiterhin Schulfüller verkauft, hätte die Welle billiger Kugelschreiber Montblanc erschlagen. Mit abwechselnden finanzstarken Luxuskonzernen im Rücken konnten die Hamburger das Tief übertauchen und wachsen.
Neben der Erweiterung des Sortiments um Schweizer Uhren und italienische Lederwaren zog sich Montblanc langsam einen internationalen Sammlerkreis heran. Seit 1992 wartet der jedes Jahr auf zwei Füllfedern. Eine ist einem Künstler, die andere einem Mäzen gewidmet. Auch das passt zum hanseatischen Selbstbild. Montblanc stilisiert sich gern als Wahrer europäischer Schreibkultur. So gönnt man sich die eigene Kulturstiftung. Park und Entree´ der Zentrale wurden von internationalen Künstlern mit Auftragsarbeiten gefüllt. Der Besucher fühlt sich eher wie im Moma als im Eingangsbereich eines Füllfederherstellers.
Man sollte bloß nicht glauben, das wäre nicht alles von langer Hand geplant gewesen, sagt Gößler über die Ausrichtung der Marke. „Da gibt es keine Schnellschüsse.“Genauso generalstabsmäßig haben die Hamburger jetzt die Zukunft ins Auge gefasst. Im Haus nimmt sich eine eigene Abteilung der Kunden an, die eine schwarzglänzende Füllfeder antiquiert finden.
Bisher präsentierten die Hamburger smarte Uhren und einen Schreibblock im Lederetui, der Handgeschriebenes digitalisiert. Augmented Paper heißt die Verbindung von digitaler und analoger Welt und kommt für 690 Euro zu einer Zeit, wo viele ihren Block längst gegen ein Tablet getauscht haben. Sie will Montblanc zurückholen und lockt mit Weiterverarbeitungs- und Speicherfunktionen, die Papier nicht hat. Die Gefahr, wenn sich der selbsterklärte Wahrer der europäischen Schreibkunst auf technologische Spielereien einlässt, liegt auf der Hand: Montblanc, das sich immer mehr zum schicken Lifestylekonzern entwickelt, mit hübschem Leder, digitalen Uhren und magischem Papier, verwässert seine DNA. „Man darf nicht den Fehler machen, die eigene Geschichte zu verlieren. Das ist der Spagat, den man schaffen muss, wenn man die Kunden nicht verstören will, die Montblanc wegen der Klassiker lieben“, sagt Gößler.
Diese Kundengruppe würde wohl ein Rundgang durch die Hamburger Werkstätte beruhigen. In einem großen Raum sitzen rund fünfzig Menschen, großteils Frauen. Alle konzentriert über Arbeitstischchen gebeugt. In 35 Schritten entstehen vor großen Fenstern unter niedrigen Decken die Federn, die später auf das Aushängeschild des Hauses, das edelharzschwarze Meisterstück, gesetzt werden.
Wie viele im Jahr das Haus verlassen, will Adrienne Fortmann nicht sagen. Ebenso wenig äußern sich die Hamburger zu Umsatzzahlen. Da seien ihnen von Richemont die Hände gebunden. Dafür erzählt Fortmann gern von den Abläufen der Werkstatt. An einem Ende werden die elf Kilogramm schweren Goldrollen hereingebracht, ausgewalzt und gestanzt. 70 Prozent des Materials werden nach dem Vorgang wieder eingeschmolzen. Als die Werkstatt renoviert und alle Ritzen gesaugt wurden, fand sich Gold im dreistelligen Tausenderbereich.
Ist die Feder einmal ausgestanzt, wird sie in Form gepresst, bekommt die Höhe des Montblancs und ihre Nummer eingraviert, ein Herzstück für den Tintenfluss eingeprägt und den harten Iridiumpunkt aufgesetzt – und landet nach vielen Schritten in einem verglasten Raum am Rand des großen Saals. Das Stimmengewirr dringt nur gedämpft herein. An einem Tisch sitzt eine Frau. Vor ihr ein weißes Blatt. Daneben aufgereihte Chargen fertig geschliffener und polierter Füllfedern.
Meditation oder Wahnsinn
Unermüdlich schreibt sie mit unsichtbarer Tinte unsichtbare Achter auf das weiße Blatt. Der Arbeitsschritt hat etwas Meditatives, und etwas leicht Wahnsinniges. Sinn der Übung ist zu testen, ob die Federn geschmeidig über das Papier gleiten. Sie dürfen nicht kratzen, nicht hängen bleiben. Das geübte Ohr hört am Geräusch, ob sie nach den Bearbeitungsvorgängen einwandfrei schreiben. Die farblose Tinte hat ihren Grund: Würden sie blaue Farbe verwenden, müssten die Montblanc-Mitarbeiter nach jeder Probe den Füller auswaschen. Ob die Monotonie mit der Zeit wahnsinnig macht? Die Mitarbeiter wechselten immer wieder ihre Positionen, entgegnet Fortmann.
Wahnsinnig machten alle in der Manufaktur eher die Besucherströme, die sich täglich an den Arbeitsplätzen vorbeischieben, Schweiß- und Poliervorgängen und Achterschleifen zusehen und sich eine persönliche Schriftanalyse abholen. „Wir haben unheimlich viele Führungen hier, das ist zum Tourismus geworden“, sagt Fortmann.
Das soll bald vorbei sein. Für Besucher ist neben dem Werk ein eigenes Montblanc-Haus geplant. Der durchdesignte Bau, der im Herbst im Beisein von Bürgermeister Olaf Scholz präsentiert wurde, soll 2020 eröffnen. Dort kann sich der Luxushersteller noch besser als Mäzen präsentieren und seine Kunstsammlung nebst Schauwerkstatt unterbringen. Im Haupthaus ist dann endlich Ruhe. 20 Mio. Euro soll der Neubau kosten. Aber es kursieren auch schon Summen bis zu 100 Mio. Euro, sagt Fortmann. Das dürfte in Hamburg mit seiner 866 Mio. Euro teuren Elbphilharmonie allerdings niemanden mehr so richtig schockieren.