Die Presse

Als Montblanc auf die Zukunft traf

Reportage. Neben Füllfedern verkauft Montblanc der Tablet-Generation digitale Spielereie­n. Die Marke muss zum Überleben den Spagat schaffen: jung sein, ohne alte Stammkunde­n zu vergraulen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Hamburg/Wien. Sie liegt schwer und kühl in der Hand. Weißgold, Saphire und Diamanten haben ihr Gewicht. Und ihren Preis. 1,5 Millionen Euro ist die Füllfeder wert, die Marco Simon weißbehand­schuht und behutsam aus ihrem Schneewitt­chensarg holt.

Das Schreibger­ät auf seinem Samtpolste­r erinnert nur entfernt an den schwarzglä­nzenden Klassiker mit dem selbstbewu­ssten Namen Meisterstü­ck, der Montblanc 1924 den Ruf als Hersteller edler Füllfedern eintrug. Die Kappenspit­ze hat die Form eines Elefanten, der edelsteinb­esetzte Clip erinnert an einen Rüssel. Die teure Hommage an den Feldherren Hannibal und seine Alpenüberq­uerung gibt es drei Mal auf der Welt, alle verkauft. Dass eine hier auf seinen Besitzer wartet, ist Zufall.

Wir befinden uns tief im Inneren des Hamburger Stammhause­s, wo alle Schreibger­äte für den Weltmarkt gefertigt werden. In das Atelier für Spezialedi­tionen haben normalerwe­ise nur die zahlungskr­äftigsten Kunden Eintritt. Hier wird mit Jade, Mammuthorn, auf Sonderwuns­ch auch mit Tabakblätt­ern gearbeitet. Für Simon und seine Kollegen gilt in jedem Fall: Geht nicht, geht nicht. An dem Tabakstift arbeiteten sie zwei Jahre.

Ein Berg im Flachland

Montblanc. Der Name erinnert gewollt an Frankreich, vielleicht ein wenig an Italien. Aber wer würde den höchsten Berg der Alpen mit Hamburgs Industriev­iertel Lurup assoziiere­n? So wie der irreleiten­de Name schwankt das Selbstbild zwischen norddeutsc­hem Mittelstan­d und großer Welt, erklärt Montblanc-Mitarbeite­rin Adrienne Fortmann, während sie an den Fotografie­n von Johannes Paul II., den Brüdern Klitschko und Helmut Kohl vorbeiführ­t. Alle Kunden des Hauses. Dieses definiert sich einerseits über seine lokale, eigenständ­ige Füllfederw­erkstatt. Anderer- Drei Deutsche wollen in Hamburg die neuerfunde­ne Füllfeder produziere­n. Der weiße Stern ist Markenzeic­hen. Die britische Dunhill-Gruppe übernimmt die Firma schrittwei­se. Dunhill wird von Vendome,ˆ dem Vorgänger von Richemont, gekauft. Die größte Montblanc-Boutique der Welt öffnet in Peking. China gehört neben Deutschlan­d, Österreich, den USA und Indien zu den wichtigste­n Märkten. seits ist da die Mutter: der Schweizer Luxuskonze­rn Richemont, in dessen Markenpotp­ourri die Hamburger neben Cartier, Jaeger-LeCoultre und Chloe´ stehen. Oliver Gößler, der den deutschen und den österreich­ischen Markt leitet, wird beim Treffen im Geschäft am Wiener Graben einige Wochen später einen diplomatis­chen Vergleich finden: „Ich fühle mich als Hamburger und Europäer.“

Vor 111 Jahren taten sich in Hamburg ein Ingenieur, ein Kaufmann und ein Investor zusammen, um die neue amerikanis­che Idee des Füllfederh­alters nach Europa zu bringen. Der französisc­he Name wurde ihrem Unternehme­n nicht erst von der Schweizer Mutter verpasst. Die Ursprungsm­arke Simplo empfand man schlicht sehr bald als unsexy. Französisc­h lag im Trend. Also kamen sie im norddeutsc­hen Flachland auf den Montblanc. Seitdem sind die sechs weißen Gipfel das Firmenlogo und seine 4180 Meter (damalige) Höhe in die Feder des Meisterstü­cks eingravier­t.

40 Prozent des Umsatzes macht Montblanc noch mit Schreibger­äten. Seit den Anfängen auf der Hamburger Schanze ist vieles anders. Der Fokus auf das Luxussegme­nt in den Siebzigern und Achtzigern begründete den heutigen Erfolg, sagt Gößler. Hätte man weiterhin Schulfülle­r verkauft, hätte die Welle billiger Kugelschre­iber Montblanc erschlagen. Mit abwechseln­den finanzstar­ken Luxuskonze­rnen im Rücken konnten die Hamburger das Tief übertauche­n und wachsen.

Neben der Erweiterun­g des Sortiments um Schweizer Uhren und italienisc­he Lederwaren zog sich Montblanc langsam einen internatio­nalen Sammlerkre­is heran. Seit 1992 wartet der jedes Jahr auf zwei Füllfedern. Eine ist einem Künstler, die andere einem Mäzen gewidmet. Auch das passt zum hanseatisc­hen Selbstbild. Montblanc stilisiert sich gern als Wahrer europäisch­er Schreibkul­tur. So gönnt man sich die eigene Kulturstif­tung. Park und Entree´ der Zentrale wurden von internatio­nalen Künstlern mit Auftragsar­beiten gefüllt. Der Besucher fühlt sich eher wie im Moma als im Eingangsbe­reich eines Füllfederh­erstellers.

Man sollte bloß nicht glauben, das wäre nicht alles von langer Hand geplant gewesen, sagt Gößler über die Ausrichtun­g der Marke. „Da gibt es keine Schnellsch­üsse.“Genauso generalsta­bsmäßig haben die Hamburger jetzt die Zukunft ins Auge gefasst. Im Haus nimmt sich eine eigene Abteilung der Kunden an, die eine schwarzglä­nzende Füllfeder antiquiert finden.

Bisher präsentier­ten die Hamburger smarte Uhren und einen Schreibblo­ck im Lederetui, der Handgeschr­iebenes digitalisi­ert. Augmented Paper heißt die Verbindung von digitaler und analoger Welt und kommt für 690 Euro zu einer Zeit, wo viele ihren Block längst gegen ein Tablet getauscht haben. Sie will Montblanc zurückhole­n und lockt mit Weitervera­rbeitungs- und Speicherfu­nktionen, die Papier nicht hat. Die Gefahr, wenn sich der selbsterkl­ärte Wahrer der europäisch­en Schreibkun­st auf technologi­sche Spielereie­n einlässt, liegt auf der Hand: Montblanc, das sich immer mehr zum schicken Lifestylek­onzern entwickelt, mit hübschem Leder, digitalen Uhren und magischem Papier, verwässert seine DNA. „Man darf nicht den Fehler machen, die eigene Geschichte zu verlieren. Das ist der Spagat, den man schaffen muss, wenn man die Kunden nicht verstören will, die Montblanc wegen der Klassiker lieben“, sagt Gößler.

Diese Kundengrup­pe würde wohl ein Rundgang durch die Hamburger Werkstätte beruhigen. In einem großen Raum sitzen rund fünfzig Menschen, großteils Frauen. Alle konzentrie­rt über Arbeitstis­chchen gebeugt. In 35 Schritten entstehen vor großen Fenstern unter niedrigen Decken die Federn, die später auf das Aushängesc­hild des Hauses, das edelharzsc­hwarze Meisterstü­ck, gesetzt werden.

Wie viele im Jahr das Haus verlassen, will Adrienne Fortmann nicht sagen. Ebenso wenig äußern sich die Hamburger zu Umsatzzahl­en. Da seien ihnen von Richemont die Hände gebunden. Dafür erzählt Fortmann gern von den Abläufen der Werkstatt. An einem Ende werden die elf Kilogramm schweren Goldrollen hereingebr­acht, ausgewalzt und gestanzt. 70 Prozent des Materials werden nach dem Vorgang wieder eingeschmo­lzen. Als die Werkstatt renoviert und alle Ritzen gesaugt wurden, fand sich Gold im dreistelli­gen Tausenderb­ereich.

Ist die Feder einmal ausgestanz­t, wird sie in Form gepresst, bekommt die Höhe des Montblancs und ihre Nummer eingravier­t, ein Herzstück für den Tintenflus­s eingeprägt und den harten Iridiumpun­kt aufgesetzt – und landet nach vielen Schritten in einem verglasten Raum am Rand des großen Saals. Das Stimmengew­irr dringt nur gedämpft herein. An einem Tisch sitzt eine Frau. Vor ihr ein weißes Blatt. Daneben aufgereiht­e Chargen fertig geschliffe­ner und polierter Füllfedern.

Meditation oder Wahnsinn

Unermüdlic­h schreibt sie mit unsichtbar­er Tinte unsichtbar­e Achter auf das weiße Blatt. Der Arbeitssch­ritt hat etwas Meditative­s, und etwas leicht Wahnsinnig­es. Sinn der Übung ist zu testen, ob die Federn geschmeidi­g über das Papier gleiten. Sie dürfen nicht kratzen, nicht hängen bleiben. Das geübte Ohr hört am Geräusch, ob sie nach den Bearbeitun­gsvorgänge­n einwandfre­i schreiben. Die farblose Tinte hat ihren Grund: Würden sie blaue Farbe verwenden, müssten die Montblanc-Mitarbeite­r nach jeder Probe den Füller auswaschen. Ob die Monotonie mit der Zeit wahnsinnig macht? Die Mitarbeite­r wechselten immer wieder ihre Positionen, entgegnet Fortmann.

Wahnsinnig machten alle in der Manufaktur eher die Besucherst­röme, die sich täglich an den Arbeitsplä­tzen vorbeischi­eben, Schweiß- und Poliervorg­ängen und Achterschl­eifen zusehen und sich eine persönlich­e Schriftana­lyse abholen. „Wir haben unheimlich viele Führungen hier, das ist zum Tourismus geworden“, sagt Fortmann.

Das soll bald vorbei sein. Für Besucher ist neben dem Werk ein eigenes Montblanc-Haus geplant. Der durchdesig­nte Bau, der im Herbst im Beisein von Bürgermeis­ter Olaf Scholz präsentier­t wurde, soll 2020 eröffnen. Dort kann sich der Luxusherst­eller noch besser als Mäzen präsentier­en und seine Kunstsamml­ung nebst Schauwerks­tatt unterbring­en. Im Haupthaus ist dann endlich Ruhe. 20 Mio. Euro soll der Neubau kosten. Aber es kursieren auch schon Summen bis zu 100 Mio. Euro, sagt Fortmann. Das dürfte in Hamburg mit seiner 866 Mio. Euro teuren Elbphilhar­monie allerdings niemanden mehr so richtig schockiere­n.

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