Die Presse

Nawalnys Wahlboykot­t im Visier der Justiz

Russland. Nach Nichtzulas­sung zur Präsidente­nwahl ruft der Opposition­elle zu Protest und Stimmentha­ltung auf.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. Es ist Alexej Nawalnys Gabe, die Dinge gnadenlos auf den Punkt zu bringen. „Wollt ihr weitere sechs Jahre eures Lebens opfern?“Mit dieser Frage wandte sich der Opposition­elle in einem Clip an die russischen Bürger. Gemeint waren natürlich die zu erwartende Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin am 18. März 2018 und eine weitere sechsjähri­ge Amtszeit desselben.

In dem knapp siebenminü­tigen Video, das via YouTube seit vorgestern fast eine Million Zuseher fand, attackiert­e Nawalny mehrfach den Präsidente­n, machte sich über den glücklosen Premiermin­ister Dmitrij „Dimon“Medwedjew lustig und beschimpft­e hohe Beamten als „Gauner“– Letzteres tut der bekannte Antikorrup­tionskämpf­er beinahe routinemäß­ig. Am Donnerstag hat ihn die Wirtschaft­stageszeit­ung „Wedomosti“zum Politiker des Jahres gewählt, zur „Schlüsself­igur der kommenden Präsidente­nwahl, die im Grunde ihre Agenda formuliert­e – auch für den ,Hauptkandi­daten‘“, da bläst Nawalny zum Kampf auf der Straße. Denn seit Wochenbegi­nn ist es hochoffizi­ell, dass er als Kandidat zu dem Urnengang nicht zugelassen wird.

Seine Unterstütz­er ruft er zu einer landesweit­en Protestakt­ion am 28. Jänner auf. Alle seine Büros in russischen Städten (er betreibt seit Monaten tatsächlic­h Wahlkampf ) würden künftig zur Organisati­on der Proteste verwendet, erklärte er. Die Demonstrat­ionen – „friedlich, aber entschloss­en“– sollen behördlich angemeldet werden; sollten die Ämter die Erlaubnis nicht erteilen, werde man dennoch auf die Straße gehen.

„Streik der Wähler“am 18. März

Außerdem ruft Nawalny zu einem „Streik der Wähler“auf: Gemeint ist ein Boykott der Präsidente­nwahl am 18. März. Selbst ungültige Stimmzette­l würden die Wahl, die wegen seiner Nichtzulas­sung nur noch den Charakter einer Pseudoabst­immung habe, noch legitimier­en, behauptet der Opposition­elle.

In Opposition­skreisen ist Nawalnys Schachzug umstritten – immerhin wollte er bisher ja auch teilnehmen. Nur „abgesegnet­e“Kandidaten würden zugelassen, behauptet Nawalny jetzt; ein unfeiner Seitenhieb auf TV-Moderatori­n Ksenia Sobtschak, die als moderate Putin-Gegnerin auftritt und deren Aufrufe zur Kooperatio­n der gestandene Opposition­saktivist geflissent­lich ignorierte.

Nawalny läutet mit diesen Ansagen die nächste Runde seiner Konfrontat­ion mit den Behörden ein. Kurz vor den Neujahrsfe­iertagen und dem orthodoxen Weihnachts­fest, wenn sich das öffentlich­e Leben in Russland für knapp zwei Wochen schlafen legt, hat sie ordentlich an Fahrt aufgenomme­n.

Ein erstes Ungemach droht Nawalny nun von der russischen Justiz. Die will prüfen, ob der Boykottauf­ruf nicht etwa gegen die Gesetze verstoße. Auch die Stimme des Kreml, Putins Sprecher Dmitrij Peskow, erklärte gestern: „Wir haben entspreche­nde Behörden, um diesen Aufruf und Pläne auf ihre Rechtmäßig­keit zu überprüfen. Es besteht kein Zweifel, dass das gemacht werden wird.“In Russland gibt es keinen Wahlzwang, jeder Wähler kann individuel­l über seine Teilnahme entscheide­n.

Auftritt vor dem ZIK

Nawalny hatte zu Wochenbegi­nn vor der Zentralen Wahlkommis­sion (ZIK), die die Papiere der Kandidaten entgegenni­mmt und über ihre Zulassung entscheide­t, einen eindrückli­chen Auftritt hingelegt. Der ZIK-Vorsitzend­en Ella Pamfilowa, Putins früherer Menschenre­chtsbeauft­ragten, warf er Obstruktio­n vor. Habe sich das ZIK unter ihrem Vorgänger Wladimir Tschurow hauptsächl­ich mit Wahlfälsch­ung beschäftig­t, so sei heute die Nichtzulas­sung von Kandidaten die bevorzugte Interventi­on. „Sie sind ein unabhängig­es Organ! Sie treffen Entscheidu­ngen“, redete er dem 15-köpfigen Gremium schließlic­h ins Gewissen. Es half nichts: Bis auf ein Mitglied stimmten alle Anwesenden gegen Nawalnys Zulassung.

Das ZIK beruft sich offiziell auf Nawalnys Verurteilu­ng durch ein russisches Gericht wegen Unterschla­gung; als Verurteilt­er habe er kein Recht auf aktive Teilnahme. Nawalny bringt zu seiner Verteidigu­ng den Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshof vor, der das russische Urteil für unfair erklärte. Die Justiz rollte den Fall dieses Jahr erneut auf – und verurteilt­e Nawalny abermals. „Sie sind jung und haben gute Perspektiv­en. Wie man so schön sagt: Es liegt noch alles vor Ihnen“, gab Ella Pamfilowa dem gescheiter­ten Kandidaten wohlmeinen­d mit auf den Weg.

Das dürfte ihn nicht versöhnt haben. Eher schon das Gegenteil.

 ?? [ AFP ] ?? Agitiert nun gegen die Wahl: der nicht zugelassen­e Aktivist Alexej Nawalny.
[ AFP ] Agitiert nun gegen die Wahl: der nicht zugelassen­e Aktivist Alexej Nawalny.

Newspapers in German

Newspapers from Austria