Die Presse

Putin: Der ewige Präsident

Russland. Dass Wladimir Putin bei der Präsidente­nwahl am 18. März 2018 siegen wird, steht (fast) außer Zweifel. Doch wie die Wahl abgewickel­t wird und unter welchem Stern seine vierte – und wohl letzte – Amtszeit steht, beschäftig­t Beobachter.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Schon jetzt steht fest, dass Wladimir Putin bei der Präsidente­nwahl im März 2018 gewinnen wird.

Moskau. Alle waren sie gekommen, die Popsängeri­n und Eurovision­sTeilnehme­rin Polina Gagarina und der Schlagerba­rde Josif Kobson, der Profiboxer Denis Lebedew und natürlich die Granden der Kremlparte­i Einiges Russland, zu einem nach allen Regeln der Polittechn­ologen- und Showkunst inszeniert­en Schauspiel: Unterstütz­er Wladimir Putins versammelt­en sich zu Wochenbegi­nn im Pavilion Nummer 57 im aus der Sowjetära stammenden Ausstellun­gszentrum VDNH, um einen Kandidaten für die Präsidente­nwahl im März 2018 zu nominieren. Einen Kandidaten? Nein, den Kandidaten. Allein, der glänzte durch Abwesenhei­t.

Wladimir Putins Terminplan sei übervoll gewesen, hieß es später. Die Anwesenden zeigten dafür natürlich Verständni­s. Der Präsident sei eben sehr beschäftig­t, „und aus diesem Grund lieben und ehren wir ihn“, wie Sergej Mironow erklärte, Vorsitzend­er der Duma-Partei Gerechtes Russland.

Nicht alles läuft reibungslo­s

Von der Bekanntgab­e seiner Kandidatur Anfang Dezember vor den Mitarbeite­rn des Fahrzeugwe­rks GAS über die Unterstütz­ungsshow und schließlic­h Putins persönlich­e Überreichu­ng der Unterlagen in der Zentralen Wahlkommis­sion am Dienstag: Bei den Vorbereitu­ngen für die Wiederwahl des KremlChefs am 18. März 2018 wird nichts dem Zufall überlassen.

Doch zweieinhal­b Monate vor Putins voraussich­tlicher Bestätigun­g und vierter Amtszeit läuft nicht alles reibungslo­s. Einerseits droht einmal mehr der Opposition­saktivist Alexej Nawalny mit einer echten Wahlkampag­ne und der Mobilisier­ung Tausender, vor allem junger Bürger auf Russlands Straßen. Anderersei­ts zeigt der Putinismus nach 18 Jahren Systemschw­ächen. Oder sollte man es Altersleid­en nennen?

Putins Absenz beim Event seiner Unterstütz­er ist symptomati­sch für ein Phänomen: Der Präsident versucht seit einiger Zeit zu signalisie­ren, dass er über dem (tages-)politische­n Gezänk steht. Er scheint mehr und mehr die Rolle des „Vaters der Nation“einzunehme­n, der an den Patriotism­us als einende Kraft appelliert.

Doch dieses Schweben über dem politische­n Alltagsges­chäft hat eine Schwäche. Gleb Pawlowskij, der verstoßene Polittechn­ologe des Kreml, fasst die Problemati­k des „apolitisch­en Präsidente­n“wie folgt zusammen: „Heutzutage haben wir immer mehr den Eindruck, dass ,der Chef nicht da ist‘.“Der Präsident treffe immer weniger harte Entscheidu­ngen und in- terveniere immer unwilliger in die Machtfehde­n und Verteilung­skämpfe seines inneren Zirkels. Die Folge ist, dass diese zunehmen.

Flügel bekämpfen einander

Der vor den Augen der Öffentlich­keit ausgetrage­ne Konflikt zwischen Rosneft-Boss Igor Setschin und Ex-Wirtschaft­sminister Alexej Uljukajew ist so ein Fall. Er endete vorerst mit einem klaren (aber umstritten­en) Sieg Setschins und einer Verurteilu­ng zu acht Jahren Lagerhaft für Letzteren (noch nicht rechtskräf­tig). Und auch die chaotische­n Ereignisse im ostukraini­schen Separatist­engebiet um die Stadt Luhansk und die Installier­ung des FSB-nahen Leonid Pasetschni­k anstelle des bisherigen Chefs, Igor Plotnitzki­j, der der russischen Präsidiala­dministrat­ion zugeordnet wurde, weisen in diese Richtung.

Putin geht es indes mit fortschrei­tender Amtszeit um die Bewahrung des Status quo, erklärt der Politologe des Carnegie-Zentrums, Andrej Kolesnikow. Viel mehr als die schrittwei­se „Optimierun­g“der derzeit gültigen Regeln hat die herrschend­e Elite den Bürgern nicht anzubieten. Stabilität lautet die alte, neue Losung.

Doch die Gefahr ist heute vielmehr, dass selbst die Stabilität nicht mehr erreicht wird: Die Realeinkom­men sinken, die Wirtschaft wächst für ein Transforma­tionsland nicht schnell genug und die internatio­nalen Sanktionen schneiden das Land mittelfris­tig von technologi­schen Entwicklun­gen ab. Die Sanktionen als ideologisc­he Schützenhi­lfe im Kollisions­kurs mit dem Westen können für Putin hilfreich sein. Fakt ist aber: Wie der Wohlstand wachsen soll, ist heute noch weniger klar als vor fünf Jahren. Wahlzucker­l für Stammwähle­rgruppen wie öffentlich Bedienstet­e, Beamte und Pensionist­en stehen in Konflikt mit der Notwendigk­eit eines Sparkurses. Vom Tisch sind derzeit jedenfalls Reformen oder eine gesellscha­ftliche Modernisie­rung, wie Dmitrij Medwedjews Lieblingsw­ort aus den Jahren 2008 bis 2012 lautete, als der jetzige Premier während Putins Zwangspaus­e diesen für vier Jahre im Amt ersetzte. Medwedjew prognostiz­ieren die Analysten ein baldiges Ende auf der Politbühne. Schon jetzt muss der Premier viel Schelte und Häme einstecken. Erwartet wird, dass der Präsident einen jungen Technokrat­en als Premier wählt – und diesen womöglich für höhere (präsidiale) Aufgaben testet.

Präsident auf Lebenszeit?

Noch vor Putins Wiederwahl beschäftig­en Russland mehrere Fragen, die für die nächsten sechs Jahre zentral sein werden: Geht die Ära Putin mit seiner vierten Amtszeit zu Ende? Entgleitet dem Präsidente­n als „lahme Ente“die Macht? Kann der Putinismus ohne Putin überleben? Oder, eine weitere Option: Bleibt doch alles beim Alten, und eine Gesetzesän­derung garantiert dem Politiker gar ein Amt auf Lebenszeit? Die Antwort auf diese Fragen weiß Putin wohl nicht einmal selbst. Er agiert traditione­ll situativ. Damit bleibt Russland auch im nächsten Jahr so berechenba­r wie unberechen­bar.

 ?? [ Reuters ] ?? Der mächtige Mann im Kreml. Wladimir Putin empfängt russische Soldaten, die in Syrien im Einsatz waren.
[ Reuters ] Der mächtige Mann im Kreml. Wladimir Putin empfängt russische Soldaten, die in Syrien im Einsatz waren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria