Die Presse

Heikler Vorsitz mit Zeitfenste­r

EU-Präsidents­chaft. Die neue Bundesregi­erung bekommt ab Juli 2018 mehr Möglichkei­ten, die EU mitzugesta­lten, als es die Routine eines sechsmonat­igen Vorsitzes erwarten lässt.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine FPÖ-Koalitions­partner haben die Latte hoch gelegt. Sie wollen, wie sie in ihrer Regierungs­erklärung festgeschr­ieben haben, Österreich­s „EU-Ratsvorsit­z nützen, um zu einem Kurswechse­l in der EU hin zu mehr Bürgernähe“und zu einem „europäisch­en Subsidiari­tätspakt“beizutrage­n. Tatsächlic­h öffnet sich mit dem zweiten Halbjahr 2018 ein letztes Zeitfenste­r, um die Europäisch­e Union zu reformiere­n, bevor der vorprogram­mierte Spielplan der EU andere Themen in den Vordergrun­d rückt. Ab 2019 warten Europawahl­en, eine Neubestell­ung der EU-Kommission und die schwierige­n Verhandlun­gen über ein neues Gemeinscha­ftsbudget.

Wie weit kann Österreich die EU verändern? Um das Zeitfenste­r zu nutzen, benötigt die Regierung vor allem gewichtige Partner, die bereit sind, Anliegen wie den angestrebt­en Subsidiari­tätspakt mitzutrage­n. Was in der Frage der Kompetenzb­eschränkun­gen für die EU zumindest theoretisc­h möglich ist, erscheint im Lieblingst­hema dieser Regierung – der Migrations­frage – schon deutlich schwierige­r. Am 20. September soll in Wien ein EUSondergi­pfel zur Inneren Sicher- heit stattfinde­n. Kurz, der sich im Sinne der Visegrad-´Länder gegen eine Verteilung von ankommende­n Flüchtling­en ausgesproc­hen hat, wird für mehr Grenzschut­z, höhere Hürden und schärfere Kontrollen eintreten, um die Migration in die EU unattrakti­ver zu gestalten. Das mögen zwar einige der europäisch­en Partner mittragen. Mit seiner Parteinahm­e gegen die Aufteilung der Asylberech­tigten hat er aber bereits jene Länder gegen sich aufgebrach­t, die derzeit von der Flüchtling­swelle hauptbetro­ffen sind – allen voran Italien. Außerdem kann das gemeinsame Flüchtling­sproblem nur nachhaltig gelöst werden, wenn auch in der anstehende­n Reform der Dublin-Verordnung (sie schreibt die Zuständigk­eit für Asylverfah­ren fest) Einigung erzielt wird. Dafür muss die unbeliebte Verteilung­sfrage neu geregelt werden.

Arbeitspro­gramm zu groß

Um eigene Themen nicht nur vorzuberei­ten, sondern auch umzusetzen, braucht es in diesen sechs Monaten Freiräume. Diese gibt es allerdings kaum. Die Agenda ist bereits ohne Österreich­s individuel­le Akzente überladen. Denn im Herbst müssen die Austrittsv­erhandlung­en mit Großbritan­nien beendet werden, damit der Brexit wie geplant im März 2019 über die Bühne gehen kann.

Gleichzeit­ig warten die Reformen der Eurozone auf eine Entscheidu­ng. Soll, wie geplant, die Währungsun­ion straffer organi- siert werden und ein gemeinsame­r Währungsfo­nds die ab 2010 eilig eingericht­eten Rettungssc­hirme ersetzen, ist ein Konsens in der Gruppe der Euroländer Voraussetz­ung. Auch dafür wird sich nach Österreich­s EU-Vorsitz das Zeitfenste­r rasch wieder schließen.

Fast zeitgleich warten schwierige Verhandlun­gen über neue internatio­nale Handelsver­träge der EU, die rasch abgeschlos­sen werden müssen, um die Rückabwick­lung der US-Handelspol­itik zum europäisch­en Vorteil zu nutzen. Ein schwierige­s Thema, das auch in der Koalition von ÖVP und FPÖ zu Spannungen führen kann.

Will Österreich seine Handschrif­t bei den Reformen der EU wiederfind­en, müssen auch weitere informelle Treffen – etwa jenes zur Landwirtsc­haft in Alpbach – genutzt werden. Denn auch hier stehen Veränderun­gen an, da mit Großbritan­nien ein Nettozahle­r die EU verlässt und für Bauern künftig weniger Fördermitt­el vorhanden sein werden. Nicht zu vergessen ist die anstehende Erweiterun­g der EU um die Westbalkan­länder, für die Österreich bisher immer eingetrete­n ist. Dabei wird von der Bundesregi­erung Verhandlun­gsgeschick erwartet, um Reformen in Ländern wie Serbien rascher voranzutre­iben.

Kompetenza­bgrenzung

Voraussetz­ung für eine gute Vorbereitu­ng und eine effiziente Abwicklung des EU-Vorsitzes ist es, dass die beiden zuständige­n Regierungs­stellen, Bundeskanz­leramt und Außenminis­terium, klare Kompetenza­bgrenzunge­n vornehmen, um sich in der EU nicht mit zweierlei Positionen einzubring­en. „Nichts schwächt ein Land mehr, als wenn es in der EU mit zwei Stimmen auftritt“, warnte der langjährig­e EU-Kommissar Franz Fischler vergangene Woche bei einer Diskussion zum EU-Vorsitz vor Studenten der FH Wien der WKW (Journalism­us und Medienmana­gement).

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