„Mit der Brechstange gewinnst nichts“
Vierschanzentournee. Ernst Vettori gewann den Schanzenklassiker zweimal, jetzt zieht er als ÖSV-Direktor die Fäden. Er spricht über Glück, Fehler, Computerchips und die lästige Anzugsfrage.
Die Presse: Österreichs Skispringer sind in dieser Saison sieglos, bis auf Stefan Kraft sprang keiner auf das Podest. In einem Olympiawinter, vor dem Tourneestart, herrscht da keine Nervosität? Wo liegt der Fehler? Ernst Vettori: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Schon beim Start in Wisla war es durchwachsen, wir sind im Teamspringen aber Zweiter geworden. In Kuusamo war die Qualifikation ein Traum, die Wettbewerbe aber ein Krampf. Nur ein Sprung gelang, bei jedem, und diese Tatsache zieht sich durch alle Stationen wie ein roter Faden. Stefan Kraft wirkte auf mich auch übermotiviert. Mit der Brechstange gewinnst du nichts. Wir sind im Nationencup nur Vierter, das ist enttäuschend. Aber, warten wir die Tournee ab, da beginnt immer alles wieder bei null.
Es wurde nichts verschlafen im Materialbereich? In der Szene wird aber darüber gemunkelt. Schon im Sommer-GP soll Trainer Heinz Kuttin etwas womöglich übersehen haben . . . Nein, also das stimmt wirklich nicht! Das ist einfach und billig, das so zu behaupten. Dieser Faktor betrifft doch alle Nationen. Manchmal bist du damit besser dran, manchmal schlechter. Es ist falsch zu sagen, wir sind schlechter mit dem Material dran. Nein.
Was aber ist dann das Problem? Von allem ein bisserl was. Ja, vielleicht ist es bei einem auch sein Material (Anm.: Anzug). Andere haben Trainingsrückstände, Schlierenzauer und Hayböck waren verletzt. Es ist halt so.
Im Gegenzug wittern Deutschlands Springer Höhenluft. Es ist eine Frage der Gruppendynamik, da springen alle besser, wenn zwei wie Freitag und Wellinger so überlegen sind. Und: Trainer Werner Schuster macht wirklich einen tollen Job.
Nicht jeder Favorit gewinnt die Tournee. Im Vorjahr ist etwa der Slowene Domen Prevc, zuvor der Überflieger, brutal abgestürzt. Wenn du das Gelbe Trikot trägst, willst du bei der Tournee vorn mitmischen. Wenn es dann im Training nicht gut läuft, fängst du an zu verkrampfen. Die Situation kennen wir ja gerade bei uns. Ein kleiner Fehler kann alles verändern. Ich habe die Tournee auch zweimal gewonnen, sogar den Titel verteidigt. Eigene Gesetze gibt es sicher. Eines stimmt ganz bestimmt: In Oberstdorf kannst du die Tournee nicht gewinnen, aber schon verlieren.
Wenn Sie von der Vergangenheit sprechen: Ist Skispringen noch derselbe Sport? Jetzt gibt es sogar Computerchips im Ski. Ach. Das ganze Leben ist doch Veränderung. Nur die Vorfreude auf große Bewerbe ist gleich geblieben. Wer da nicht emotional mitfiebert, hat den falschen Job. Und diese Chips? Ich weiß, wie sie aussehen. Aber wirklich beschäftigt haben wir uns damit nicht. Manche Daten können wir freigeben, andere sicher nicht. Für Zuschauer ist es sicher interessant, wenn er Geschwindigkeit und Absprung genau mitverfolgen kann. Es erinnert mich an den Fußball, da jammern doch viele über den Videobeweis. Man macht halt etwas, nur ob alles Neue auch gut ist, muss sich erst herausstellen.
Eine neue Idee? Warum springen die Damen keine Tournee, oder starten hier im Vorfeld? Damenskispringen ist weiterhin eine Sportart, die sich erst entwickeln muss. Der Aufwand für den Weltcupkalender ist enorm, die Veranstalter müssen immer sehr viel Geld investieren. Auch gibt es nicht viele Nationen, die es sich leisten können bzw. wollen. Es soll aber eine Serie in Russland geben mit vier Events, auch in Asien ist Damenskispringen sehr populär in Sapporo und Zao. Und hier in Oberstdorf? Meiner Meinung nach ist die Schanze, bei schwierigen Bedingungen, für die Damen zu groß. Es gibt wenige, die es wirklich sehr gut machen. Aber das große Feld ist auf einer Normalschanze wirklich besser aufgehoben. Es würde keinen Sinn machen bei Schneefall oder starkem Wind. Es springen ja auch keine Kombinierer im Vorprogramm.
Stefan Kraft ist trotzdem der einzige realistische Anwärter auf den Tourneesieg. Haben Sie ihn auch für die Winterspiele in Korea auf Ihrer Rechnung? Er gewann dort ja die Generalprobe. Es ist natürlich ein großer Vorteil, wenn du auf dieser Schanze schon einmal gewonnen hast. Das kriegst du nicht mehr aus dem Kopf – und die anderen auch nicht. Aber noch wichtiger wäre es, die letzten Bewerbe vor den Spielen zu gewinnen. Weil du dann mental stark bist, dein Set-up beinander hast und nicht mehr herumtüfteln musst. Das würde ich uns allen wünschen.