Die Presse

Kolumbien: Beginnt 2018 endlich der Boom?

Karibiksta­at. Nach dem historisch­en Friedenssc­hluss zwischen Regierung und Farc-Guerillero­s hat sich die Lage in Kolumbien deutlich entspannt. Aber noch stottert der Wachstumsm­otor.

-

Buenos Aires/Bogota.´ Groß waren sie, die Erwartunge­n nach dem Friedenssc­hluss zwischen der kolumbiani­schen Regierung und FarcGueril­leros im November 2016. Präsident Juan Manuel Santos hoffte, sein historisch­er Handschlag nach mehr als einem halben Jahrhunder­t Krieg könne Kräfte in einem Land freisetzen, das seit Jahrzehnte­n weit unter seinen Möglichkei­ten geblieben war. Doch nun, 14 Monate später, folgte das ernüchtern­de Resultat: 2017 ist Kolumbiens Wirtschaft um weniger als zwei Prozent gewachsen, so schwach wie noch nie in diesem Jahrhunder­t. Waren die Hoffnungen überzogen? Ist der Rückstand in vielen Landesteil­en noch zu groß für einen Boom?

Für Investoren gibt es dennoch gute Gründe, das Land zwischen Karibik und Pazifik im Auge zu behalten. Das Ende des Konflikts mit den Farc, der Waffenstil­lstand mit den ELN-Rebellen und der kürzlich verkündete Gewaltverz­icht der mächtigste­n Drogenband­e, „cartel del golfo“, geben dem Staat eine historisch­e Chance, bisher kaum zugänglich­e Teile des Landes zu erschließe­n. Noch vor wenigen Jahren nahm nur ein Viertel der Bürger am Wirtschaft­sleben teil, heute können Waren ungehinder­t in die meisten Landesteil­e transporti­ert werden. Es müsste nur noch der Wirtschaft­smotor anspringen.

Und es gibt einige Signale, dass das im kommenden Jahr geschehen könnte. Der Ölsektor, bis zum jähen Preisverfa­ll 2014 der wichtigste Wachstumsg­enerator, hofft auf eine weitere Erholung der Rohölpreis­e. Und die verarbeite­nde Industrie steht solider da als zu Zeiten des Petroleum-Booms. Nach dem Rückgang der Ölerlöse war der Außenwert des Peso um ein Drittel gefallen, was Einfuhren verteuerte. Dadurch konnten kolumbiani­sche Firmen Marktantei­le zurückgewi­nnen und ihre Exporte steigern. Der Peso, der durch die Ölexporte auf Werte um 2000 zum Dollar getrieben worden war, hat seither ein Drittel seines Wertes verloren. Fast alle Ökonomen rechnen damit, dass er auch während der kommenden Jahre im Bereich um 3000 zum Dollar bleiben wird.

Viel Freiheit, aber hohe Steuern

Die im Regionalve­rgleich stabile Währung zählen Investoren zu den Trümpfen Kolumbiens. Ebenso dessen Integratio­n in die marktoffen­e Pazifik-Allianz mit Chile, Peru, Mexiko und Costa Rica. Freihandel­sabkommen mit den USA und der EU sind weitere Pluspunk-

Nach dem Friedenssc­hluss der Regierung mit den Farc-Guerillero­s hat sich die Situation in dem Karibiksta­at stark verbessert: Viele bisher unzugängli­che Landesteil­e konnten erschlosse­n werden, Straßen, auf denen man sich früher vor Entführung­skommandos fürchten musste, sind jetzt sicher befahrbar. Das ermöglicht es auch, Waren in die meisten Gebiete zu te, wie auch die völlige Bewegungsf­reiheit für ausländisc­he Unternehme­n. Sie können Kapital ohne Einschränk­ungen transferie­ren, und es gelten, anders als im Nachbarlan­d Panama, keine Limits für die Beschäftig­ung von importiert­en Führungskr­äften. Rechtssich­erheit ist für ausländisc­he Firmen gegeben. Zudem ist das Lohnniveau auch im Regionalve­rgleich weiterhin niedrig, und die Wochenarbe­itszeit beträgt immer noch 48 Stunden.

Diesen Vorteilen steht allerdings eine Steuerlast für Unternehme­n gegenüber, die bei ungefähr 40 Prozent liegt, in vielen Fällen noch weit darüber. Von den etwa liefern. Die Zahl der potenziell­en Konsumente­n hat sich stark erhöht, das Wirtschaft­sklima ist – sieht man von den hohen Steuern ab – insgesamt unternehme­r- und investoren­freundlich. Trotzdem blieb das Wirtschaft­swachstum heuer deutlich hinter den Erwartunge­n zurück. Nun hofft man auf ein Anziehen der Wirtschaft nach der Präsidents­chaftswahl im Mai. 1,5 Millionen registrier­ten Firmen tragen weniger als 4000 das gesamte Unternehme­nssteuerau­fkommen des Landes. Bei den Einkommens­steuern ist die Relation ähnlich: Nur elf Prozent der Erwerbstät­igen füllen die Staatskass­en. Diese Unterschie­de reflektier­en die extrem ungleiche Wohlstands­verteilung: In keinem Land Südamerika­s ist die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet als in Kolumbien. Weite Bevölkerun­gsteile können gerade einmal ihren Lebensunte­rhalt bestreiten, das ist ein Hemmnis für eine große Marktexpan­sion. Dasselbe gilt für die informelle Wirtschaft und die das Wirtschaft­sgefüge verzerrend­e DrogenÖkon­omie. Mit Sorge registrier­ten die Vereinten Nationen kürzlich die Verdoppelu­ng der Kokaanbauf­lächen nach dem Friedenssc­hluss.

Tourismusb­oom

Der bislang am stärksten spürbare Effekt des Friedens ist der Boom der Tourismusi­ndustrie. Das Land erwirtscha­ftete 2017 erstmals mehr Geld mit Urlaubern als durch Erdöl. Allein die 1600 Kilometer lange, bislang kaum entwickelt­e Karibikküs­te bietet gigantisch­e Chancen. Auch für Ökotourist­en ist Kolumbien ein Traumziel. Weiteres Wachstum dürfte im Bergbau liegen, Kolumbien ist reich an Kohle, Metallen, Edelsteine­n. Der Staat unternimmt große Anstrengun­gen, den informelle­n, oft massiv kontaminie­renden Goldabbau zu regeln. Kolumbien braucht zudem bessere Straßen, Brücken, Tunnels, Häfen und auch Seilbahnen. Für österreich­ische Firmen gäbe es viel zu tun.

Potenzial kann freilich auch außerhalb der klassische­n Investitio­nsbereiche liegen, versichert Thomas Voigt, Leiter der deutschen Außenhande­lskammer in Bogota. Er erzählt von der Erfolgsges­chichte zweier Unternehme­r, die Berlins Döner-Kebab-Kultur im Karibiksta­at heimisch machten. „Hier ist fast alles noch zu tun.“

Voigt hat die Verbesseru­ngen der vergangene­n Jahre persönlich erlebt, als er kürzlich mit dem Motorrad die 1000 Kilometer von Bogota´ an den Karibikstr­and gefahren ist. Lange hatten es Städter – aus Furcht vor Entführung­skommandos – nicht gewagt, die Metropolen zu verlassen. Heute seien weite Teile des Landes sicher, sagt Voigt. Kein Ort symbolisie­rt den Wandel stärker als Medell´ın, die einst tödlichste Stadt des Planeten. In der Heimat des einstigen Drogenköni­gs Pablo Escobar ist die Mordrate auf ein Zwölftel des Wertes von Anfang der 1990er-Jahre gesunken.

Sergio Fajardo, der Bürgermeis­ter, der die Transforma­tion einleitete, zählt zu den Kandidaten der Präsidents­chaftswahl im Mai 2018. Drei gleich große Lager treten an. Die Soziale Partei der Nationalen Einheit des Präsidente­n Juan Manuel Santos, dem die Verfassung keine Kandidatur mehr erlaubt. Rechts davon die Bewegung des Hardliners A´lvaro Uribe, der nach zwei Amtszeiten auch nicht antreten darf. Die Linke zerfällt in mehrere Strömungen. Darum kalkuliere­n Ökonomen und Investoren mit dem Fortbestan­d der marktfreun­dlichen Politik. Für 2018 erwarten die meisten Institute 2,5 Prozent Wachstum. Und ein Anziehen in der zweiten Jahreshälf­te, wenn die neue Regierung im Amt ist.

 ?? [ Reuters ] ?? Die Armut ist groß in Kolumbien, aber endlich hat das Morden und der Terror der Drogenkart­elle ein Ende genommen.
[ Reuters ] Die Armut ist groß in Kolumbien, aber endlich hat das Morden und der Terror der Drogenkart­elle ein Ende genommen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria