Die Presse

Wie tritt die Kulturnati­on Österreich auf ?

Analyse. Was bringt die nahe Zukunft für die Kunst? Wo sind die größten Baustellen? Wird bloß das Personal von rot auf türkis-blau gefärbt? Oder gibt es substanzie­lle neue Ideen? Fürs Erste gilt eher: Wer keine Visionen hat, braucht keinen Arzt.

- SAMSTAG, 30. DEZEMBER 2017 VON BARBARA PETSCH

Was bedeutet die Abwanderun­g von TV-Konsumente­n zu StreamingS­endern wie Netflix – und wie wirkt sich die Rund-um-die-Uhr-Präsenz von Kino- und TV-Serien im Wohnzimmer auf die Live-Kultur aus? Wie wappnen sich Museen gegen die wachsenden Touristens­tröme, Stichwort: Konservier­ung, Sicherheit? Welche Museen gewinnen, welche verlieren? Bieten sich Fusionen an? Werden Theater durch die Kunst aus dem iPad marginalis­iert? Die Kulturprog­ramme der Parteien gehen kaum auf essenziell­e Fragen ein.

Die türkis-blaue Koalition ist da keine Ausnahme. Viele wichtige Personalen­tscheidung­en hat Kulturmini­ster Thomas Drozda (SP) in seiner kurzen Amtszeit und trotz seiner anderweiti­gen Verpflicht­ungen (Kanzleramt, Koordinati­on in der SP) bereits getroffen, von der Wiener Staatsoper bis zum Belvedere. Das türkis-blaue Regierungs­programm reagiert in der Kunst auf den geringen Spielraum bei Besetzunge­n, Strukturen.

Man gibt sich staatstrag­end, verspricht Initiative­n für Österreich­s EU-Präsidents­chaft im zweiten Halbjahr 2018 und für Gedenktage (1848, 1918, 1938). Die Zusagen für das Haus der Geschichte klingen indes eher wolkig. Und wenn man die Etablierun­g weisungsbe­rechtigter Generalsek­retäre in Ministerie­n und im Kanzleramt sieht, fragt man sich, ob es wieder nur ums Umfärben der Bedienstet­en von rot auf türkis-blau geht.

Der neue Kulturmini­ster, Gernot Blümel (VP), der wie sein Vorgänger Drozda viel anderes zu tun haben wird als sich der Kunst zu widmen, ist studierter Philosoph. Der 36-Jährige steht einer Riege teils sehr gut bezahlter, lang amtierende­r Kulturmana­ger und -managerinn­en gegenüber. Wie lanciert er Ideen, peilt er eine Generation­enablöse an? Blümel hätte die Chance, konservati­ve Kulturpoli­tik zurück auf die Landkarte zu holen, ohne dass sich Künstler fürchten müssen. Seit Jahrzehnte­n ist Kultur eine SP-Domäne. Die Zusammenar­beit mit den frustriert­en Roten dürfte nicht lustig werden. „Altbacken und substanzlo­s“, kanzelte Wiens Kulturstad­trat, Andreas Mailath-Pokorny, das türkis-blaue Kulturprog­ramm ab. Auch Mailath-Pokorny ist indes ein Veteran, seit 1996 trifft er Führungsen­tscheidung­en in der Kultur. Die SPÖ hütet das imperiale Erbe und schaut auf Budgeterhö­hungen. Viel Fantasie hat sie die letzten Jahre nicht mehr gezeigt.

Steuern zwischen links und rechts

Steuermann Blümel droht aber auch Gefahr von rechts, von der FPÖ und ihrer Vorliebe für Land- und Volkskultu­r. Freilich: Einfälle jenseits des „Wasserkopf­s“Wien, in dem sich viele Institutio­nen auf engstem Raum im ersten Bezirk zusammenba­llen, sind willkommen und demokratie­politisch wichtig.

Was wäre denn nun konkret zu tun? Die Staatsoper­nsanierung (Bund) ist unumgängli­ch, die Volkstheat­er-Sanierung (Wien) wartet. Wie wird Blümel mit den neuen wider- ständigen Direktoren Martin Kusejˇ (Burgtheate­r) und Bogdan Rosˇciˇc´ (Staatsoper) umgehen, und wie sie mit ihm? Das Bundesdenk­malamt soll nach herber RH-Kritik umgebaut werden. 2019 endet der Vertrag von Gabriele Zuna-Kratky als Direktorin des Technische­n Museums, traditione­ll eine „schwarze“Domäne. Die Wiener Festwochen (rot) schlingern nach Experiment­en des Intendante­n, Tomas Zierhofer-Kin. Wie zeitgemäß ist Wiens Musical? Und: Wozu benötigt Österreich ein Film-Preservati­onCenter? Klingt super, ist aber schon wieder etwas Rückwärtsg­ewandtes. Der heimische Film ist hochkreati­v, internatio­nal angesehen, er braucht Aufmerksam­keit und Geld.

Wenn Belvedere und Albertina über namhafte zeitgenöss­ische Kunstsamml­ungen (Essl) verfügen, könnte man kooperiere­n und Platz schaffen. Aber wo? Das Künstlerha­us wie auch das teuer sanierte 21erHaus scheinen zu klein. Beim Leopold-Museum sieht man, wie man ein Haus in kurzer Zeit polieren kann. Doch was ist mit der ganz neuen Kunst? Wer sich heute über Kulturpoli­tik Gedanken macht, muss Papiere studieren. Auf die Menschen kommt es an.

Österreich gibt sehr viel Geld aus für Kultur, vieles ist gebunden durch die Erhaltung des historisch­en Erbes, auch für den Tourismus. Bei manchen freien Künstlern hat man das Gefühl, sie schwänzen einen anderen Beruf. Trotzdem ist die Freie Szene wichtig, als Impulsgebe­r und als Plattform für junge Leute, die sich ausprobier­en. Gießkannen­prinzip beseitigen, heißt es jetzt. Gießkannen helfen auch beim Wachsen.

Politiker sollten Achtsamkei­t üben: Konstrukti­v sein ist gefragt. Zerstört ist bald etwas, wiederaufb­auen ist schwierig. In Deutschlan­d kriseln zwei wichtige Theater: Münchens Kammerspie­le und Berlins Volksbühne. Letztere bot unter Frank Castorp auch ein Ventil für Zorn. Er gehört zur Freiheit der Kunst – und Visionen. Sie fehlen derzeit bei der Kulturpoli­tik aller Parteien.

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[ Marcella Ruiz-Cruz ] Bühne frei für die neue Kulturpoli­tik! Aber was wird gegeben? (Foto aus „Carol Reed“von Rene´ Pollesch, Akademieth­eater, 2017)

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