Wie tritt die Kulturnation Österreich auf ?
Analyse. Was bringt die nahe Zukunft für die Kunst? Wo sind die größten Baustellen? Wird bloß das Personal von rot auf türkis-blau gefärbt? Oder gibt es substanzielle neue Ideen? Fürs Erste gilt eher: Wer keine Visionen hat, braucht keinen Arzt.
Was bedeutet die Abwanderung von TV-Konsumenten zu StreamingSendern wie Netflix – und wie wirkt sich die Rund-um-die-Uhr-Präsenz von Kino- und TV-Serien im Wohnzimmer auf die Live-Kultur aus? Wie wappnen sich Museen gegen die wachsenden Touristenströme, Stichwort: Konservierung, Sicherheit? Welche Museen gewinnen, welche verlieren? Bieten sich Fusionen an? Werden Theater durch die Kunst aus dem iPad marginalisiert? Die Kulturprogramme der Parteien gehen kaum auf essenzielle Fragen ein.
Die türkis-blaue Koalition ist da keine Ausnahme. Viele wichtige Personalentscheidungen hat Kulturminister Thomas Drozda (SP) in seiner kurzen Amtszeit und trotz seiner anderweitigen Verpflichtungen (Kanzleramt, Koordination in der SP) bereits getroffen, von der Wiener Staatsoper bis zum Belvedere. Das türkis-blaue Regierungsprogramm reagiert in der Kunst auf den geringen Spielraum bei Besetzungen, Strukturen.
Man gibt sich staatstragend, verspricht Initiativen für Österreichs EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 und für Gedenktage (1848, 1918, 1938). Die Zusagen für das Haus der Geschichte klingen indes eher wolkig. Und wenn man die Etablierung weisungsberechtigter Generalsekretäre in Ministerien und im Kanzleramt sieht, fragt man sich, ob es wieder nur ums Umfärben der Bediensteten von rot auf türkis-blau geht.
Der neue Kulturminister, Gernot Blümel (VP), der wie sein Vorgänger Drozda viel anderes zu tun haben wird als sich der Kunst zu widmen, ist studierter Philosoph. Der 36-Jährige steht einer Riege teils sehr gut bezahlter, lang amtierender Kulturmanager und -managerinnen gegenüber. Wie lanciert er Ideen, peilt er eine Generationenablöse an? Blümel hätte die Chance, konservative Kulturpolitik zurück auf die Landkarte zu holen, ohne dass sich Künstler fürchten müssen. Seit Jahrzehnten ist Kultur eine SP-Domäne. Die Zusammenarbeit mit den frustrierten Roten dürfte nicht lustig werden. „Altbacken und substanzlos“, kanzelte Wiens Kulturstadtrat, Andreas Mailath-Pokorny, das türkis-blaue Kulturprogramm ab. Auch Mailath-Pokorny ist indes ein Veteran, seit 1996 trifft er Führungsentscheidungen in der Kultur. Die SPÖ hütet das imperiale Erbe und schaut auf Budgeterhöhungen. Viel Fantasie hat sie die letzten Jahre nicht mehr gezeigt.
Steuern zwischen links und rechts
Steuermann Blümel droht aber auch Gefahr von rechts, von der FPÖ und ihrer Vorliebe für Land- und Volkskultur. Freilich: Einfälle jenseits des „Wasserkopfs“Wien, in dem sich viele Institutionen auf engstem Raum im ersten Bezirk zusammenballen, sind willkommen und demokratiepolitisch wichtig.
Was wäre denn nun konkret zu tun? Die Staatsopernsanierung (Bund) ist unumgänglich, die Volkstheater-Sanierung (Wien) wartet. Wie wird Blümel mit den neuen wider- ständigen Direktoren Martin Kusejˇ (Burgtheater) und Bogdan Rosˇciˇc´ (Staatsoper) umgehen, und wie sie mit ihm? Das Bundesdenkmalamt soll nach herber RH-Kritik umgebaut werden. 2019 endet der Vertrag von Gabriele Zuna-Kratky als Direktorin des Technischen Museums, traditionell eine „schwarze“Domäne. Die Wiener Festwochen (rot) schlingern nach Experimenten des Intendanten, Tomas Zierhofer-Kin. Wie zeitgemäß ist Wiens Musical? Und: Wozu benötigt Österreich ein Film-PreservationCenter? Klingt super, ist aber schon wieder etwas Rückwärtsgewandtes. Der heimische Film ist hochkreativ, international angesehen, er braucht Aufmerksamkeit und Geld.
Wenn Belvedere und Albertina über namhafte zeitgenössische Kunstsammlungen (Essl) verfügen, könnte man kooperieren und Platz schaffen. Aber wo? Das Künstlerhaus wie auch das teuer sanierte 21erHaus scheinen zu klein. Beim Leopold-Museum sieht man, wie man ein Haus in kurzer Zeit polieren kann. Doch was ist mit der ganz neuen Kunst? Wer sich heute über Kulturpolitik Gedanken macht, muss Papiere studieren. Auf die Menschen kommt es an.
Österreich gibt sehr viel Geld aus für Kultur, vieles ist gebunden durch die Erhaltung des historischen Erbes, auch für den Tourismus. Bei manchen freien Künstlern hat man das Gefühl, sie schwänzen einen anderen Beruf. Trotzdem ist die Freie Szene wichtig, als Impulsgeber und als Plattform für junge Leute, die sich ausprobieren. Gießkannenprinzip beseitigen, heißt es jetzt. Gießkannen helfen auch beim Wachsen.
Politiker sollten Achtsamkeit üben: Konstruktiv sein ist gefragt. Zerstört ist bald etwas, wiederaufbauen ist schwierig. In Deutschland kriseln zwei wichtige Theater: Münchens Kammerspiele und Berlins Volksbühne. Letztere bot unter Frank Castorp auch ein Ventil für Zorn. Er gehört zur Freiheit der Kunst – und Visionen. Sie fehlen derzeit bei der Kulturpolitik aller Parteien.