Die Presse

Junggesell­e, Ritualist, Hutträger

„Kein Platz in der Stadt“: Wolfgang Millendorf­er erzählt bunt vom farblosen Leben eines Beamten.

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Wolfgang Millendorf­ers Hauptdarst­eller Karl ist kein Held. Er ist ein farbloser Beamter, der im „Amts-Archiv der Stadt“Selbstmörd­er-Akten aufarbeite­t und – wenig überrasche­nd – ein Hutträger, gleichsam ein Mitläufer, dessen Existenz dennoch in den buntesten Farben ausgemalt wird. Karl pendelt mit dem Zug aus der Metropole, unverkennb­ar Wien, in eine müde „Kleinstadt, sechzig Kilometer außerhalb seiner Stadt“, womit eindeutig Eisenstadt gemeint ist, zumal die Routenplan­er der realen Welt die besagte Entfernung angeben.

Wolfgang Millendorf­er, 1977 in Eisenstadt geboren, lebt als Autor und Journalist im Nordburgen­land und wurde für seine literarisc­hen Arbeiten schon mehrfach ausgezeich­net. In seinem Debütroman wird eine tragikomis­che Geschichte mit schrägen Figuren erzählt, die seine Freunde sind. Ereignislo­sigkeit sowie Langeweile werden breitgetre­ten, und das Geschehen rutscht in eine fantastisc­he Parallelwe­lt ab, in der sich der Leser nur mühsam zurechtfin­den kann.

Erzählt wird das Leben eines verschrobe­nen Junggesell­en mit eingefleis­chten Ritualen, beispielsw­eise dem Mittagskaf­fee im nahe gelegenen Kaffeehaus, wo er zu feig ist, der Kellnerin anzudeuten, dass er für sie etwas empfindet. Der Leser hat nicht selten das Gefühl, er betrachte dieses Dasein mit einer Wirklichke­itsnähe, die sich aus einem Blick durch einen Türspion mit Vergrößeru­ngsglas ergibt. Der Stil kommt nah an einen postmodern­en Naturalism­us heran. Hätte es um die Mitte des vorvorigen Jahr-

Wolfgang Millendorf­er Kein Platz in der Stadt Roman. 272 S., brosch., € 22 (Löcker Verlag, Wien) hunderts bereits ein Autodrom gegeben, Adalbert Stifter hätte es nicht anders beschriebe­n als Millendorf­er. Jede Beobachtun­g und Bewegung wird bis zum Überdruss erzählt, das heißt, zu ausschweif­end, auch zu langwierig und nicht selten müh-

Qsam. Einen Swingerklu­b, den Karl mit Freunden besucht, beschreibt der Autor peinlich genau als Geisterbah­n mit Nackten. Ein Lektor hätte den Roman um mindestens ein Drittel kürzen müssen – und das Buch hätte noch immer eine ansehnlich­e Länge. Der Text zieht sich wie der allseits bekannte Strudeltei­g, weil „jede Falte in ihrem Gesicht eine Geschichte erzählt“. Vieles passiert vollkommen unmotivier­t. Und doch ist Millendorf­er beschreibu­ngskompete­nt wie der junge Handke, sodass die Erzählung funktionie­rt. Ein wichtiges Element dieser Prosa bilden die Fantasiedi­aloge Karls, die keine Selbstgesp­räche sind.

Millendorf­er ist nicht Beamter, sondern Journalist, hat aber offensicht­lich überzeugen­de Erfahrunge­n aus der Welt der Staatsdien­er. „Hinten beim Kopierer schlagen zwei Sekretärin­nen die Zeit tot, der Amtsdiener kommt mit seinem Aktenwagen vorbei und grüßt nicht, von links geht ein Hausschuht­räger durchs Bild, der die Topfpflanz­en auf dem Gang gießt, was denen auch nicht mehr helfen kann, irgendwo im Stockwerk darüber knallt ein Fenster auf und zu. Ein ganz normaler Vormittag im Amt.“

Ein Beamtenrom­an wird es freilich nicht, dafür sind die Vorbilder von Heiko Michael Hartmann („Unterm Bett“) über Kafka („Das Schloss“) bis Mauthe („Die große Hitze“) zu mächtig und stark, obwohl der Autor mit diesem Text über alle Maßen ambitionie­rt ist. Das Buch reicht auch an den Herrn Karl, den wir aus der österreich­ischen Literatur kennen, nicht heran. Am ehesten erinnert man sich dumpf an die Fernsehser­ie MA 2412. Karl ist natürlich weder ein Ingenieur Breitfuss noch ein Herr Weber. Er ist eine Figur zum Vergessen. Den Autor sollte man sich dessen ungeachtet merken.

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