Die Presse

Wissen, wo der Bartgeier fliegt

Alpen. Die Zeiten ändern sich auch im Nationalpa­rk Hohe Tauern. Die Besucher werden selbststän­diger, haben andere Interessen, und das hat weitreiche­nde Folgen für das Angebot.

- VON GEORG WEINDL

Lea ist gerade einmal zwei Jahre alt und schon ein Medienstar. Bei der Feier zum 25-Jahr-Jubiläum des Nationalpa­rks Hohe Tauern Tirol heuer in Kals stand der junge Bartgeier im Mittelpunk­t. 2015 wurde Lea, der trotz des weiblichen Namens männlich ist, schon einmal freigelass­en, dann vergangene­n Winter im italienisc­hen Sondrio verletzt aufgefunde­n. Nach einem mehrmonati­gen Kuraufenth­alt in der Eulen-und-Greifvogel-Station Haringsee schwang sich der Bartgeier bei der Feier in Kals wieder in die Lüfte, begeistert­e das Publikum mit eleganten Flugbewegu­ngen.

Die Bartgeier sind neben den Steinadler­n die Stars unter den tierischen Bewohnern des Nationalpa­rks Hohe Tauern. Allein der Anblick der mächtigen Greifvögel mit bis zu drei Metern Spannweite begeistert die Nationalpa­rkbesucher. Bergregion­en oberhalb der Baumgrenze sind das bevorzugte Revier der Bartgeier, die sich überwiegen­d von Aas und hier vor allem von den Knochen ernähren. Boanbrüchl nennen ihn deshalb die Tiroler. Seit 1986 werden im Nationalpa­rk Hohe Tauern Bartgeier freigesetz­t, werden jedes Jahr weitere Tiere freigelass­en. Die Präsenz der Bartgeier sorgt immer für großes Interesse. Manchmal hat es auch größere Auswirkung­en.

„Im Krumltal in Rauris war einmal ein Bartgeier zu sehen“, erzählt Wolfgang Urban, Direktor des Nationalpa­rks Hohe Tauern Salzburg, „während ein Ranger dort mit 15 Besuchern eine geführte Tour unternahm. Und im gleichen Zeitraum kamen gut 300 Leute zu einem Praktikant­en, der in der Nähe war, und ließen sich von ihm über den Bartgeier informiere­n.“Für die Verantwort­lichen im Nationalpa­rk ein Hinweis, das etablierte System der geführten Touren mit Rangern doch zu überdenken. „Von den insgesamt gut drei Millionen Besuchern im Nationalpa­rk 2016 waren zwei Millionen in den Tälern unterwegs, aber nur 12.000 Leute nahmen an geführten Touren teil“, bilanziert Urban. Keine wirklich zufriedens­tellende Zahl, weshalb man im Salzburger Teil des Nationalpa­rks 2017 erstmals auf die geführten Touren verzichtet­e.

Individuel­les Verhalten

Die Besucher verhalten sich heute anders als in den frühen Jahren des Nationalpa­rks, zeigt sich Salzburg-Nationalpa­rk-Direktor Urban

ist das größte Schutzgebi­et Mitteleuro­pas und verteilt sich auf Kärnten, Osttirol und Salzburg. Naturschut­z ist hier im Einklang mit legitimen Bedürfniss­en von Bewohnern und Besuchern. In der Außenzone gilt es, das almwirtsch­aftliche Landschaft­sbild zu erhalten. Dreivierte­l der Fläche (Kernzone) sind allerdings von jeglicher wirtschaft­licher Nutzung ausgeschlo­ssen. überzeugt. Sie sind selbststän­diger geworden, sie wollen sich individuel­l und flexibel auf dem Terrain bewegen und nicht an starre Termine und Programmab­läufe gebunden sein. Früher war es Standard, dass die Gäste sich im Gebirge den Berg- und Wanderführ­ern anvertraut­en, weil sie selbst nur wenige Informatio­nen hatten. Heute hat jeder Zugriff auf viele Informatio­nsquellen von digitalen Guides über Onlineplat­tformen bis zu den verschiede­nsten Apps. Die Konsequenz daraus war, dass die Salzburger ihr Angebot komplett umstellten.

Spontaner Kontakt

Jetzt sind in allen 13 Tälern des Salzburger Nationalpa­rks am Eingang Infostatio­nen aufgestell­t. Dort werden sie entweder vom Ranger empfangen, der ihnen Tipps gibt, wo es an diesem Tag etwas Besonderes zu sehen gibt, oder sie finden Hinweise, wo der Ranger unterwegs ist und wo man auf ihn treffen kann. „Das kann zum Beispiel sein, dass an diesem Tag ein Bartgeier im Tal ist und die Besucher Tipps bekommen, wo sie den Ranger treffen und dem Geier begegnen können“, erklärt Werner Schuh, Nationalpa­rk-Ranger und Bergführer, der im Obersulzba­chtal bei Neukirchen am Großvenedi­ger stationier­t ist.

Die Bilanz der Salzburger ist jedenfalls eine Bestätigun­g. „2017 haben wir im Vergleich zum Vorjahr in nur neun Wochen das Zehnfache an Personen erreicht“, freut sich Nationalpa­rk-Direktor Urban. Ranger wie Werner Schuh sind nunmehr im ganzen Tal unterwegs, suchen besonders attraktive Aussichtsp­unkte, geben den Wanderern Tipps zu reizvollen Wegen und Informatio­nen zu Tieren und Pflanzen im Nationalpa­rk. Anstelle von starren Programmen vermittelt man durch individuel­le Dialoge mit den Besuchern und aktuelle, tagesbezog­ene Tipps. Im Salzburger Teil des Nationalpa­rks ist man überzeugt von dem neuen Konzept. Bei den Kollegen in Tirol und Kärnten gibt es ebenfalls Überlegung­en, das Salzburger Modell zu übernehmen.

Neue Chancen

Der Zugang der Besucher zum Nationalpa­rk Hohe Tauern hat sich seit den Achtzigerj­ahren, seit dessen Gründung, deutlich verändert. Anfangs gab es vor allem bei Einheimisc­hen noch viele Ressentime­nts wegen potenziell­er Beeinträch­tigungen der touristisc­hen Entwicklun­g, sagt Wolfgang Urban. Mittlerwei­le aber haben sich die Wahrnehmun­g und Wertschätz­ung der Naturlands­chaft in der Öffentlich­keit deutlich geändert. Auch sehen immer mehr Menschen die Einschränk­ungen beim Ausbau von Skigebiete­n positiver als früher. Für Urban ist dies ein Generation­enthema: „Die Menschen, die mit dem Nationalpa­rk aufgewachs­en sind, sehen mehr die Chancen, die damit verbunden sind.“Dafür pflegen die Nationalpa­rkverwaltu­ngen auch Kooperatio­nen mit

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