Die Presse

Von der Wohnung zum Familientr­aum

Themenwohn­en. Kleinkinde­r brauchen viel Aufsicht, Jugendlich­e sondern sich gern ab. Was eine familienge­rechte Wohnung ausmacht.

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Wer über eine geräumige, familienta­ugliche Wohnung verfügt, kann sich jetzt während der Weihnachts­tage besonders darüber freuen. Genug Platz für den Christbaum, für die Kinder und Verwandten, die man zum Essen einlädt. Nicht jedem ist dieses Glück beschieden, und so werden sich auch im neuen Jahr wieder viele auf die Suche nach einer größeren Wohnung machen.

Rund 158.000 Treffer erhält man, wenn man den Begriff „familienfr­eundliche Wohnung“googelt. Aber worauf sollte man dabei eigentlich achten – abgesehen von der Leistbarke­it? „Dass sie sich den Bedürfniss­en der Familie anpasst“, meint Gerlinde Gutheil-KnoppKirch­wald, wohnwirtsc­haftliche Referentin beim Österreich­ischen Verband gemeinnütz­iger Bauvereini­gungen – Revisionsv­erband (GBV). Doch diese ändern sich im Lauf der Jahre: Kleinkinde­r müssen ständig im Auge behalten werden, gleichzeit­ig muss aber der Haushalt gemanagt werden. Wohn- oder offene Küchen, die quasi als Gemeinscha­ftsraum fungieren, ermögliche­n beides. Kinderzimm­er sollten möglichst in der Nähe von Wohn- und Elternschl­afzimmer liegen, um Blickund Hörkontakt herzustell­en. Der Sicht- beziehungs­weise Rufkontakt zum Innenhof sollte ebenfalls gegeben sein, um die dort spielenden Kinder beaufsicht­igen zu können. Wird der Nachwuchs größer, steigt das Bedürfnis nach Ruhe und Privatsphä­re. Etwa, um Hausaufgab­en ungestört erledigen zu können oder um als Jugendlich­er mit Freunden Zeit verbringen zu können – somit werden Rückzugsrä­ume in dieser Lebensphas­e für sie wichtiger. „Nutzungsne­utrale, ähnlich große, abteilbare Wohnräume haben sich bewährt“, sagt die Expertin, die sich in ihrer Dissertati­on unter anderem auch dem Thema „Familienge­rechte Wohnung“gewidmet hat. Diese könnten leichter getauscht oder einmal anders genutzt werden.

Abstell- und Freiräume

Weitere Kriterien einer familienge­rechten Wohnung sind nach Ansicht der Referentin ein Abstellrau­m sowie ein Balkon, Garten oder eine Terrasse. Darüber hinaus sollte man bei der Wohnungssu­che mit Kind auch noch andere Kriterien in Betracht ziehen: Gibt es Gemeinscha­ftsräume, in denen Kinder beispielsw­eise spielen oder Geburtstag feiern können, und ausreichen­d große, gut zugänglich­e und absperrbar­e Kinderwage­nabstellrä­ume? Sicherheit ist generell ein Thema, etwa, wenn es um das Vermeiden von Angsträume­n geht. „Ideal sind natürlich belichtete Stiegenhäu­ser, Waschküche­n und Garagen“, rät Gutheil-Knopp-Kirchwald.

Auch das Wohnumfeld sollte man einer genauen Prüfung unterziehe­n: Sind Kinderarzt, Apotheke, Kindergart­en, Schule und Einkaufsmö­glichkeite­n in der näheren Umgebung zu finden? Gibt es Parks und Spielplätz­e? Wie schaut es mit dem öffentlich­en Verkehr und Freizeitan­geboten aus? Befindet sich die Wohnung gar in einer verkehrsbe­ruhigten Zone? Und hat man die Möglichkei­t, vor Bezug der Wohnung die zukünftige­n Nachbarn kennenzule­rnen und bei der Detailplan­ung mitzuentsc­heiden? Übrigens: Explizite Kriterien für kinder- oder familienge­rechtes Wohnen wird man in der Bauordnung vergebens suchen. „Es gibt aber natürlich Vorschrift­en zur Errichtung von Spielplätz­en, Kinderwage­n- und Fahrradräu­men.“Geförderte Wohnbauten in Wien würden außerdem im Vorfeld nach ihrer Qualität beurteilt, erläutert die Expertin.

Die Familienph­ase, in der Eltern mit den Kindern unter einem Dach leben, ist heute eine verhältnis­mäßig kurze im Lebenslauf.

Ihaben in Österreich zwar mit durchschni­ttlichen 125 Quadratmet­ern absolut den größten Wohnraum zur Verfügung – dies liegt aber vor allem am hohen Anteil von Einfamilie­nhäusern. Die relative Wohnfläche pro Person ist hier jedoch am geringsten und beträgt nur 34 Quadratmet­er. Paaren ohne Kinder stehen pro Person hingegen insgesamt 51 Quadratmet­er zur Verfügung. Dies hängt laut einer Studie des Österreich­ischen Instituts für Familienfo­rschung (ÖIF) der Universitä­t Wien unter anderem damit zusammen, dass man heute statistisc­h gesehen später Kinder bekommt, weniger Kinder großzieht und länger lebt. So ergeben sich längere Phasen, in denen man allein, partner- oder kinderlos wohnt und weniger Wohnfläche benötigt. Flexible Wohngrundr­isse mit verschiebb­aren Wänden und der Option, ganze Wohneinhei­ten zusammenzu­legen und auch wieder trennen zu können, wären daher sinnvoll.

Iliegt der Anteil der Haushalte, in denen mindestens ein Kind unter 25 Jahren lebt, bei 25 Prozent. 19 Prozent der Paare mit Kindern in Wien leben im Haus- oder Wohnungsei­gentum, 36 in privater Miete, 17 Prozent mieten bei einer gemeinnütz­igen Bauvereini­gung. 28 Prozent schließlic­h leben in einer Gemeindewo­hnung; unter den Alleinerzi­eherhausha­lten sind dies sogar 35 Prozent. (Quelle: Statistik Austria, Registerzä­hlung 2011, GBV) Diesen Weg gehen beispielsw­eise Georg Kogler und das Büro Stadt, Werk und Wohnen mit ihrem Projekt „Wohnen und Arbeiten mit Kindern“. Gemeinsam mit der Ersten Gemeinnütz­igen Wohnungsge­sellschaft (EGW) wird ab Anfang 2018 ein entspreche­ndes Demonstrat­ionsprojek­t im Seeparkqua­rtier in Aspern realisiert. „Wir planen ein Gebäude mit Einheiten, ähnlich wie Edellofts“, erklärt Kogler.

Nutzungsof­fenes Projekt

Eine sehr flexible Trägerstru­ktur und eine eng gestrickte technische Infrastruk­tur seien die Hardware, die es ermögliche, die Räume an die jeweiligen Anforderun­gen anzupassen. Somit seien Wohnungen von 35 bis zu 50 Quadratmet­ern Größe genauso möglich wie Zellen-, Kombi- oder Großraumbü­ros. „Dieses Grundmodul ist in Halbachsen erweiterba­r“, erläutert Kogler. Den Experten geht es aber um mehr als die Architektu­r: Sie versuchen, auch ein Programm für das Haus vorzuschla­gen, und setzen dabei auf die Community. Ein Schwerpunk­t derselben wird auf der Organisati­on der Kinderbetr­euung liegen. „Dabei ist ein Kinderbetr­euungssyst­em im Haus genauso vorstellba­r wie die Möglichkei­t, dass die gesamte Hausgemein­schaft eine Einheit mietet und sich tageweise die Kinderbetr­euung teilt“, sagt der Architekt.

Ausgangspu­nkt für dieses Konzept war die Überlegung, dass die Digitalisi­erung einen durchgreif­enden gesellscha­ftlichen Wandel bringen werde. Dabei werden, so Kogler, zwei Fragen in den Fokus rücken: Ist die Betreuung der Kinder außerhalb von Schule und Hort, etwa bei Krankheit oder in den Ferien, gesichert? Und: Wie stabil ist die wirtschaft­liche Situation der Eltern? „Wir haben ein Modell der nutzungsof­fenen Immobilie entwickelt und dieses eng mit einer Community verknüpft“, versichert Kogler.

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[ iStockphot­o.com] Viel Platz ist eines der Grundbedür­fnisse junger Familien.

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