Was Wien und Visegr´ad verbindet
Studie. Österreichs Bedeutung als Partner der mitteleuropäischen Visegr´ad-Gruppe nimmt zu. Auch in der Europapolitik gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Österreich, Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei.
Wien. Wie ticken die Visegrad-´Staaten? Dieser Frage geht seit einigen Jahren der tschechische Thinktank AMO gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung nach. Aus westeuropäischer Perspektive erscheint die Vierergruppe oft als homogene Interessengemeinschaft, doch neben tatsächlich vorhandenen Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen auch handfeste Unterschiede, die von der tschechisch-deutschen Forschungsgruppe in regelmäßigen Abständen vermessen werden. Die Institute befragen dabei Visegrad-´Entscheidungsträger (Politiker, Spitzenbeamte, Unternehmer und Medienmacher) zur Lage der Region und der EU.
Der jüngste Bericht wurde vor Weihnachten fertiggestellt – und er birgt für die neue österreichische Bundesregierung mindestens drei gute Nachrichten. Erstens: Österreich wird in der Region zusehends positiv betrachtet. Zweitens: In der Europapolitik gibt es inhaltliche Synergien. Und drittens: Die Bande zwischen Wien und Visegrad´ könnten noch enger geknüpft werden.
Misstrauen gegenüber Deutschland
Dass Österreich in Mitteleuropa an Statur gewinnt, dürfte allerdings nicht nur mit der österreichischen Außenpolitik zu tun haben, sondern auch mit Deutschland. Zwar wird die Bundesrepublik von allen Visegrad-´Staaten nach wie vor als der mit Abstand wichtigste Partner in der EU betrachtet, doch die Beziehungen zu Deutschland haben sich seit der vorigen Studie im Jahr 2015 teilweise deutlich abgekühlt (siehe Grafik). Besonders prononciert ist die Verschlechterung in Ungarn und Polen – also in jenen Ländern, die gegen die von Deutschland und der EUKommission forcierte Umverteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedstaaten opponiert haben.
Apropos Flüchtlinge: Österreichs Rolle bei der Schließung der Westbalkan-Migrationsroute Anfang 2016 dürfte zu der Imageverbesserung in einem beträchtlichen Ausmaß beigetragen haben – denn am stärksten gestiegen ist Österreichs Ansehen im ein- wanderungsskeptischen Ungarn. Akuten Nachholbedarf hat die österreichische Außenpolitik hingegen in Polen, wo gerade einmal ein Prozent der Befragten Wien als wichtigen Partner wahrnimmt.
Österreich wird als EU-Vorsitzland in der zweiten Jahreshälfte die Gelegenheit haben, den Reformprozess der EU mitzugestalten – und könnte dabei theoretisch auf die Unterstützung der Visegrad-´Staaten zählen. Denn das von der Regierung in Wien favorisierte Reformszenario einer EU, die sich „im Sinne der Subsidiarität auf die wesentlichen, für gemeinsame Lösungen geeigneten Themen fokussiert“, wie es im türkis-blauen Regierungsprogramm heißt, findet auch in der Region Anklang – wobei die in Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei mit Abstand beliebteste Losung „Weitermachen wie bisher“lautet.
Doch nicht in allen Belangen wird in der Visegrad-´Region mit einer Stimme gesprochen. Es gibt nämlich deutliche Differenzen zwischen dem Eurozonenmitglied Slowakei auf der einen und den Nichteurozonenmitgliedern Tschechien, Ungarn und Polen auf der anderen Seite. So sprach sich lediglich in der Slowakei die Mehrheit der Befragten für eine weitere Harmonisierung der Sozialvorschriften aus, um dem Sozialdumping auf dem EU-Binnenmarkt Einhalt zu gebieten – ein Anliegen, das auch Österreich teilt. Die Slowaken waren auch als Einzige mehrheitlich davon überzeugt, ihr Land könne die eigenen Interessen innerhalb der EU mit Erfolg vertreten.
Artikel-7-Verfahren gegen Polen
Der Euro ist nicht die einzige Trennlinie innerhalb der Visegrad-´Gruppe. In den kommenden Monaten müssen die EU-Mitglieder über den Beschluss der EU-Kommission zur Einleitung des Artikel-7-Rechtsstaatsverfahrens gegen Polen befinden – die Brüsseler Behörde wirft der nationalpopulistischen Regierung in Warschau die Aushebelung der unabhängigen Gerichtsbarkeit vor. Während Ungarns Premier, Viktor Orban,´ den Polen seine Unterstützung zugesagt hat, deutet einiges darauf hin, dass sich Prag und Bratislava nicht gegen die EU stellen werden – dafür spricht auch die Tatsache, dass die befragten Entscheidungsträger in Tschechien und der Slowakei ihre Beziehungen zu westeuropäischen EU-Mitgliedern positiver bewerten als Polen und Ungarn.
Der mitteleuropäischen Vierergruppe steht also eine Bewährungsprobe bevor. Und die österreichische Regierung könnte schon bald vor eine schwierige Wahl gestellt werden: zwischen dem illiberalen Duo Ungarn/Polen und Tschechien/Slowakei.