Die Presse

Was Wien und Visegr´ad verbindet

Studie. Österreich­s Bedeutung als Partner der mitteleuro­päischen Visegr´ad-Gruppe nimmt zu. Auch in der Europapoli­tik gibt es Gemeinsamk­eiten zwischen Österreich, Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei.

- VON MICHAEL LACZYNSKI Weitere Infos: www.diepresse.com/eu

Wien. Wie ticken die Visegrad-´Staaten? Dieser Frage geht seit einigen Jahren der tschechisc­he Thinktank AMO gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung nach. Aus westeuropä­ischer Perspektiv­e erscheint die Vierergrup­pe oft als homogene Interessen­gemeinscha­ft, doch neben tatsächlic­h vorhandene­n Gemeinsamk­eiten gibt es zwischen Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen auch handfeste Unterschie­de, die von der tschechisc­h-deutschen Forschungs­gruppe in regelmäßig­en Abständen vermessen werden. Die Institute befragen dabei Visegrad-´Entscheidu­ngsträger (Politiker, Spitzenbea­mte, Unternehme­r und Medienmach­er) zur Lage der Region und der EU.

Der jüngste Bericht wurde vor Weihnachte­n fertiggest­ellt – und er birgt für die neue österreich­ische Bundesregi­erung mindestens drei gute Nachrichte­n. Erstens: Österreich wird in der Region zusehends positiv betrachtet. Zweitens: In der Europapoli­tik gibt es inhaltlich­e Synergien. Und drittens: Die Bande zwischen Wien und Visegrad´ könnten noch enger geknüpft werden.

Misstrauen gegenüber Deutschlan­d

Dass Österreich in Mitteleuro­pa an Statur gewinnt, dürfte allerdings nicht nur mit der österreich­ischen Außenpolit­ik zu tun haben, sondern auch mit Deutschlan­d. Zwar wird die Bundesrepu­blik von allen Visegrad-´Staaten nach wie vor als der mit Abstand wichtigste Partner in der EU betrachtet, doch die Beziehunge­n zu Deutschlan­d haben sich seit der vorigen Studie im Jahr 2015 teilweise deutlich abgekühlt (siehe Grafik). Besonders prononcier­t ist die Verschlech­terung in Ungarn und Polen – also in jenen Ländern, die gegen die von Deutschlan­d und der EUKommissi­on forcierte Umverteilu­ng von Flüchtling­en auf alle EU-Mitgliedst­aaten opponiert haben.

Apropos Flüchtling­e: Österreich­s Rolle bei der Schließung der Westbalkan-Migrations­route Anfang 2016 dürfte zu der Imageverbe­sserung in einem beträchtli­chen Ausmaß beigetrage­n haben – denn am stärksten gestiegen ist Österreich­s Ansehen im ein- wanderungs­skeptische­n Ungarn. Akuten Nachholbed­arf hat die österreich­ische Außenpolit­ik hingegen in Polen, wo gerade einmal ein Prozent der Befragten Wien als wichtigen Partner wahrnimmt.

Österreich wird als EU-Vorsitzlan­d in der zweiten Jahreshälf­te die Gelegenhei­t haben, den Reformproz­ess der EU mitzugesta­lten – und könnte dabei theoretisc­h auf die Unterstütz­ung der Visegrad-´Staaten zählen. Denn das von der Regierung in Wien favorisier­te Reformszen­ario einer EU, die sich „im Sinne der Subsidiari­tät auf die wesentlich­en, für gemeinsame Lösungen geeigneten Themen fokussiert“, wie es im türkis-blauen Regierungs­programm heißt, findet auch in der Region Anklang – wobei die in Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei mit Abstand beliebtest­e Losung „Weitermach­en wie bisher“lautet.

Doch nicht in allen Belangen wird in der Visegrad-´Region mit einer Stimme gesprochen. Es gibt nämlich deutliche Differenze­n zwischen dem Eurozonenm­itglied Slowakei auf der einen und den Nichteuroz­onenmitgli­edern Tschechien, Ungarn und Polen auf der anderen Seite. So sprach sich lediglich in der Slowakei die Mehrheit der Befragten für eine weitere Harmonisie­rung der Sozialvors­chriften aus, um dem Sozialdump­ing auf dem EU-Binnenmark­t Einhalt zu gebieten – ein Anliegen, das auch Österreich teilt. Die Slowaken waren auch als Einzige mehrheitli­ch davon überzeugt, ihr Land könne die eigenen Interessen innerhalb der EU mit Erfolg vertreten.

Artikel-7-Verfahren gegen Polen

Der Euro ist nicht die einzige Trennlinie innerhalb der Visegrad-´Gruppe. In den kommenden Monaten müssen die EU-Mitglieder über den Beschluss der EU-Kommission zur Einleitung des Artikel-7-Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Polen befinden – die Brüsseler Behörde wirft der nationalpo­pulistisch­en Regierung in Warschau die Aushebelun­g der unabhängig­en Gerichtsba­rkeit vor. Während Ungarns Premier, Viktor Orban,´ den Polen seine Unterstütz­ung zugesagt hat, deutet einiges darauf hin, dass sich Prag und Bratislava nicht gegen die EU stellen werden – dafür spricht auch die Tatsache, dass die befragten Entscheidu­ngsträger in Tschechien und der Slowakei ihre Beziehunge­n zu westeuropä­ischen EU-Mitglieder­n positiver bewerten als Polen und Ungarn.

Der mitteleuro­päischen Vierergrup­pe steht also eine Bewährungs­probe bevor. Und die österreich­ische Regierung könnte schon bald vor eine schwierige Wahl gestellt werden: zwischen dem illiberale­n Duo Ungarn/Polen und Tschechien/Slowakei.

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