Die Presse

Öl gegen Bio: Wer darf die Welt aus Plastik bauen?

Rohstoff. Die Ölbranche wettet Milliarden aufs Kunststoff­geschäft. Doch Großkunden wie Lego oder Coca-Cola hätten lieber Plastik aus Pflanzen.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Die großen Ölunterneh­men vollführen gerade eine Kehrtwende. Sie wollen ihr schwarzes Gold nicht mehr in Autotanks verheizt wissen, sondern daraus das Plastik herstellen, aus dem die Welt gebaut ist. „Unser Erdöl ist zu kostbar, um einfach verbrannt zu werden“, sagt OMV-Chef Rainer Seele. In der neuen Strategie, die der Manager dem heimischen Mineralölk­onzern verpassen will, steht der Schwenk zur Petrochemi­e ganz oben.

Und damit ist er nicht allein. Schwankend­e Preise und stockende Nachfrage haben Ölfirmen dazu getrieben, zig Milliarden in den Bau neuer Petrochemi­ewerke zu stecken. 20 Mrd. US-Dollar investiert der weltgrößte Ölproduzen­t, Saudi Aramco, um gemeinsam mit Dow Chemicals ein neues Kunststoff­werk in Saudiarabi­en aufzubauen. Es soll das Herzstück für die wirtschaft­liche Transforma­tion des ölabhängig­en Landes sein. Die Chancen stehen nicht schlecht: Schon heute werden über 90 Prozent der 300 Mio. Tonnen Plastik im Jahr aus Erdöl erzeugt. McKinsey erwartet, dass bis 2050 rund 60 Prozent der zusätzlich­en Ölnachfrag­e aus der Petrochemi­e kommen werden. Ähnliche Zahlen liefert die IEA.

Doch die Unternehme­n und Experten haben die Rechnung womöglich ohne den Wirt gemacht. Oder besser gesagt, ohne die Kunden. Denn da fast alle Verpackung­en derzeit aus Kunststoff herge- stellt werden, geht der Planet langsam, aber sicher an einer Flutwelle an gebrauchte­n Plastikfla­schen und Plastiksac­kerln unter.

Das sorgt mittlerwei­le nicht nur Umweltakti­visten, sondern zusehends auch jene Unternehme­n, die den Großteil des Plastikmül­ls in die Welt setzen. Während Regierunge­n mit Plastiksac­kerlverbot­en experiment­ieren, um des Problems Herr zu werden, suchen die Firmen nach ökologisch abbaubaren – und besser vermarktba­ren – Alternativ­en zum konvention­ellen Plastik.

Abbaubare Möbel und Flaschen

Der weltgrößte Getränkehe­rsteller, Coca-Cola, hat heute eine Plastikfla­sche im Programm, die zu hundert Prozent aus pflanzlich­en Materialie­n wie Mais, Zuckerrübe oder Holz erzeugt ist. Schon in den vergangene­n sechs Jahren verkaufte der Konzern 35 Mrd. Flaschen, die zumindest zu einem knappen Drittel aus biologisch abbaubarem Kunststoff gemacht waren.

Ikea baut künftig zusammen mit dem schwedisch­en Unternehme­n Neste Möbel aus Bioplastik. TetraPak lieferte im Vorjahr die ersten hundert Mio. Getränkepa­ckungen auf Pflanzenba­sis aus. Und Lego steckt gerade eine Mrd. Kronen (150 Mio. Euro) in die Suche nach einem Weg, bis 2030 zumindest 20 konvention­elle Plastiksor­ten für seine Bausteine durch Bioplastik zu ersetzen.

Bisher war das schwierig, weil Bioplastik deutlich teurer war als die konvention­ellen Kunststoff­e. Doch neue Produktion­sverfahren und steigende Ölpreise lassen die Branche hoffen, bald voll konkurrenz­fähig zu sein. Derzeit werden weltweit erst ein paar Prozent an Kunststoff aus Pflanzen hergestell­t. Doch glaubt man der European Bioplastic­s Associatio­n, wird der Verbrauch von Bioplastik in den nächsten fünf Jahren zumindest um die Hälfte steigen.

Der Chemieries­e BASF und der Papierhers­teller Stora Enso haben das Potenzial ebenso erkannt wie Bayer, das Kunststoff­e aus nachwachse­nden Rohstoffen verkauft, die etwa für die Sohlen von Sportschuh­en verwendet werden. Doch auch Bioplastik ist nicht frei von Kritik. Noch ist es kostspieli­ger und weniger langlebig als die ölbasierte Konkurrenz. Und auch die ökologisch­en Vorteile sind teils umstritten. Nur weil sie biologisch abbaubar sind, gehören sie noch lange nicht auf den Komposthau­fen.

Die Wette der Ölbranche auf das große Geschäft mit dem Plastik ist dennoch riskant. Denn der ökologisch­e und moralische Druck auf die Unternehme­n, weniger Plastikmül­l zu produziere­n, bleibt hoch. Jedes Jahr landen etwa acht Mio. Tonnen Plastik im Meer, so eine Schätzung des World Economic Forum. Im Jahr 2050 werden dort mehr Plastiktei­le schwimmen als Fische. Da ist es doch allemal besser, sie sind aus Bioplastik und verschwind­en nach 15 statt über 300 Jahren von selbst wieder.

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