Wie Mifid Finanzmärkte umkrempelt
Regulierung. Seit gestern gelten für den Wertpapierhandel in Europa neue Regeln. Macht die EURichtlinie den Markt transparenter, sicherer und attraktiver? Oder geht der Schuss nach hinten los?
Wien. Es ist eine Reform der Superlative – zumindest ihrem Umfang nach: Zehn Jahre haben Europas Regulatoren an der Neufassung ihrer Richtlinie für Finanzinstrumente getüftelt. Über zwei Milliarden Euro hat die Umstellung die Banken und Vermögensverwalter gekostet. 20.000 Seiten umfasst das „Regulierungsmonster“, wie Kritiker es nennen. Um ein Jahr hat sich die Einführung verzögert, seit gestern ist Mifid II endlich in Kraft.
Wie die neuen Regeln für den Wertpapierhandel kleine Anleger besser schützen sollen, ist ein Thema für „Mein Geld“am nächsten Montag. Aber auch für die Hochfinanz ändert sich viel. Wer gewinnt, wer verliert? Hier ein Überblick über wichtige Themen. Kleiner Eingriff, große Wirkung: Bisher verrechnen Banken und Broker für die Durchführung von Wertpapiergeschäften den Investoren eine Gesamtgebühr. Sie schließt auch den Gratiszugriff auf ihr „Research“ein, also die Informationen und Einschätzungen ihrer Analysten über börsenotierte Unternehmen. Das war den Regulierern ein Dorn im Auge: Es ist intransparent, was zu überhöhten Kosten führt. Und es fördert Interessenkonflikte. Denn es konzentriert die Recherche bei Händlern, die ihr Volumen steigern wollen, und Banken, die selten unparteiisch sind. Künftig sind die Leistungen getrennt zu verrechnen. Neue Anbieter treten auf: Low-CostHändler zum einen, kleine Rechercheanbieter zum anderen. Es tobt ein Preiskampf. Denn nun entscheidet der Kunde, also etwa ein Fondsmanager, wie viel ihm das Wissen wirklich wert ist.
Auf Aktien von Großkonzernen kann er kaum verzichten, über sie will er genau auf dem Laufenden bleiben. Das Nachsehen haben kleinere gelistete Unternehmen. Sie verlieren Investoren. Um weiter zu Geld zu kommen, müssen sie sich Gehör verschaffen – indem sie selbst Analysen in Auftrag geben. Aber wie unabhängig sind deren Ergebnisse? Zittern müssen auch die Analysten selbst: Wenn sie weniger Firmen abdecken, kann man einige von ihnen einsparen – 20 bis 30 Prozent, laut Schätzungen. Die Geister, die man rief, will man nun wieder loswerden: Die erste Richtlinie von 2007 erlaubte, nach US-Vorbild, neue Handelsplätze. Heute läuft rund die Hälfte des europäischen Aktienhandels an den klassischen Börsen vorbei. Durch diese Liberalisierung sind die Kosten für den Wertpapierhandel massiv gesunken – ein Erfolg. Aber die Transparenz geht verloren. Dazu kommt: Werden weniger Papiere über reguläre Börsen gehandelt, verschlechtert das deren Preisbildung und die Effizienz ihres Handels. Besonderes Kopfzerbrechen bereitet der Vormarsch der „Dark Pools“, über die ein Zehntel des Aktienhandels läuft.
Im Grunde waren auch diese Plattformen eine gute Idee: Institutionelle Investoren können über sie diskret große Aktienpakete kaufen oder verkaufen. Anders als an der Börse erfahren die anderen Händler nicht vorab, wie viele Papiere angeboten oder nachfragt werden. So verhindert man, dass Rivalen gegen den Deal wetten oder Hochfrequenzhändler ihn ausnutzen. Dem Titel bleiben wilde Kursausschläge erspart, was allen hilft. Dieser Vorteil soll auch erhalten bleiben, aber nur als Ausnahmeregelung. Denn in den vergangenen Jahren nutzen Investoren diese dunklen Pools immer öfter auch für kleinere Transaktionen. Auch Insidergeschäfte lassen sich so verschleiern. Hier wollen die Regulatoren nun einen Riegel vorschieben: Nur mehr acht Prozent des Volumens einer Aktie dürfen, über ein Jahr gerechnet, in „Dark Pools“gehandelt werden.
Aber wo ein Wille, da ein Schlupfloch: Es gibt andere, von Mifid weiterhin erlaubte Dienste, die Orders genauso verbergen und damit der Regulierung entziehen. Die Broker bauen sie nun entsprechend aus. Eine Alternative hört auf den geheimnisvollen Namen „Systematischer Internalisierer“(SI). Banken können aber auch Aufträge sammeln, statt sie an die Börse weiterzugeben, und sie dann selbst per Auktion abwickeln. Die Beispiele zeigen: Je komplexer die Regeln, desto unsicherer die Reaktionen und die Folgen, die tatsächlich zu erwarten sind. Bisher meldeten sich vor allem jene klagend zu Wort, die unter der zusätzlichen Regulierung und dem immensen bürokratischen Aufwand leiden: Banken, Vermögensverwalter und Börsen. Damit gerieten die Chancen, auf die Mifid II abzielt, fast in Vergessenheit: Die Aufseher gewinnen durch die größere Transparenz und die vielen Daten, die sie einfordern, einen besseren Überblick. Das erleichtert ihre Aufgabe, einen gemeinsamen europäischen Finanzmarkt zu schaffen, der mit den USA und Asien mithalten kann. Sie sollen auch schneller eingreifen können, wenn Anomalien wie ein Flash Crash auftreten, und auf längere Sicht neuen Finanzkrisen vorbeugen.
Damit rückt der EU-Finanzmarkt näher an den amerikanischen heran, der als besonders ausgefeilt und transparent gilt. Bei manchen Regeln, wie der „Entbündelung“von Handel und Analysen, ist Europa sogar ein Vorreiter. Ob das alles den Markt für internationale Investoren attraktiver macht oder die bürokratischen Fesseln nur alles verkomplizieren – das können erst die Erfahrungen der nächsten Monate weisen.