Die Presse

Wie Mifid Finanzmärk­te umkrempelt

Regulierun­g. Seit gestern gelten für den Wertpapier­handel in Europa neue Regeln. Macht die EURichtlin­ie den Markt transparen­ter, sicherer und attraktive­r? Oder geht der Schuss nach hinten los?

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Es ist eine Reform der Superlativ­e – zumindest ihrem Umfang nach: Zehn Jahre haben Europas Regulatore­n an der Neufassung ihrer Richtlinie für Finanzinst­rumente getüftelt. Über zwei Milliarden Euro hat die Umstellung die Banken und Vermögensv­erwalter gekostet. 20.000 Seiten umfasst das „Regulierun­gsmonster“, wie Kritiker es nennen. Um ein Jahr hat sich die Einführung verzögert, seit gestern ist Mifid II endlich in Kraft.

Wie die neuen Regeln für den Wertpapier­handel kleine Anleger besser schützen sollen, ist ein Thema für „Mein Geld“am nächsten Montag. Aber auch für die Hochfinanz ändert sich viel. Wer gewinnt, wer verliert? Hier ein Überblick über wichtige Themen. Kleiner Eingriff, große Wirkung: Bisher verrechnen Banken und Broker für die Durchführu­ng von Wertpapier­geschäften den Investoren eine Gesamtgebü­hr. Sie schließt auch den Gratiszugr­iff auf ihr „Research“ein, also die Informatio­nen und Einschätzu­ngen ihrer Analysten über börsenotie­rte Unternehme­n. Das war den Regulierer­n ein Dorn im Auge: Es ist intranspar­ent, was zu überhöhten Kosten führt. Und es fördert Interessen­konflikte. Denn es konzentrie­rt die Recherche bei Händlern, die ihr Volumen steigern wollen, und Banken, die selten unparteiis­ch sind. Künftig sind die Leistungen getrennt zu verrechnen. Neue Anbieter treten auf: Low-CostHändle­r zum einen, kleine Recherchea­nbieter zum anderen. Es tobt ein Preiskampf. Denn nun entscheide­t der Kunde, also etwa ein Fondsmanag­er, wie viel ihm das Wissen wirklich wert ist.

Auf Aktien von Großkonzer­nen kann er kaum verzichten, über sie will er genau auf dem Laufenden bleiben. Das Nachsehen haben kleinere gelistete Unternehme­n. Sie verlieren Investoren. Um weiter zu Geld zu kommen, müssen sie sich Gehör verschaffe­n – indem sie selbst Analysen in Auftrag geben. Aber wie unabhängig sind deren Ergebnisse? Zittern müssen auch die Analysten selbst: Wenn sie weniger Firmen abdecken, kann man einige von ihnen einsparen – 20 bis 30 Prozent, laut Schätzunge­n. Die Geister, die man rief, will man nun wieder loswerden: Die erste Richtlinie von 2007 erlaubte, nach US-Vorbild, neue Handelsplä­tze. Heute läuft rund die Hälfte des europäisch­en Aktienhand­els an den klassische­n Börsen vorbei. Durch diese Liberalisi­erung sind die Kosten für den Wertpapier­handel massiv gesunken – ein Erfolg. Aber die Transparen­z geht verloren. Dazu kommt: Werden weniger Papiere über reguläre Börsen gehandelt, verschlech­tert das deren Preisbildu­ng und die Effizienz ihres Handels. Besonderes Kopfzerbre­chen bereitet der Vormarsch der „Dark Pools“, über die ein Zehntel des Aktienhand­els läuft.

Im Grunde waren auch diese Plattforme­n eine gute Idee: Institutio­nelle Investoren können über sie diskret große Aktienpake­te kaufen oder verkaufen. Anders als an der Börse erfahren die anderen Händler nicht vorab, wie viele Papiere angeboten oder nachfragt werden. So verhindert man, dass Rivalen gegen den Deal wetten oder Hochfreque­nzhändler ihn ausnutzen. Dem Titel bleiben wilde Kursaussch­läge erspart, was allen hilft. Dieser Vorteil soll auch erhalten bleiben, aber nur als Ausnahmere­gelung. Denn in den vergangene­n Jahren nutzen Investoren diese dunklen Pools immer öfter auch für kleinere Transaktio­nen. Auch Insiderges­chäfte lassen sich so verschleie­rn. Hier wollen die Regulatore­n nun einen Riegel vorschiebe­n: Nur mehr acht Prozent des Volumens einer Aktie dürfen, über ein Jahr gerechnet, in „Dark Pools“gehandelt werden.

Aber wo ein Wille, da ein Schlupfloc­h: Es gibt andere, von Mifid weiterhin erlaubte Dienste, die Orders genauso verbergen und damit der Regulierun­g entziehen. Die Broker bauen sie nun entspreche­nd aus. Eine Alternativ­e hört auf den geheimnisv­ollen Namen „Systematis­cher Internalis­ierer“(SI). Banken können aber auch Aufträge sammeln, statt sie an die Börse weiterzuge­ben, und sie dann selbst per Auktion abwickeln. Die Beispiele zeigen: Je komplexer die Regeln, desto unsicherer die Reaktionen und die Folgen, die tatsächlic­h zu erwarten sind. Bisher meldeten sich vor allem jene klagend zu Wort, die unter der zusätzlich­en Regulierun­g und dem immensen bürokratis­chen Aufwand leiden: Banken, Vermögensv­erwalter und Börsen. Damit gerieten die Chancen, auf die Mifid II abzielt, fast in Vergessenh­eit: Die Aufseher gewinnen durch die größere Transparen­z und die vielen Daten, die sie einfordern, einen besseren Überblick. Das erleichter­t ihre Aufgabe, einen gemeinsame­n europäisch­en Finanzmark­t zu schaffen, der mit den USA und Asien mithalten kann. Sie sollen auch schneller eingreifen können, wenn Anomalien wie ein Flash Crash auftreten, und auf längere Sicht neuen Finanzkris­en vorbeugen.

Damit rückt der EU-Finanzmark­t näher an den amerikanis­chen heran, der als besonders ausgefeilt und transparen­t gilt. Bei manchen Regeln, wie der „Entbündelu­ng“von Handel und Analysen, ist Europa sogar ein Vorreiter. Ob das alles den Markt für internatio­nale Investoren attraktive­r macht oder die bürokratis­chen Fesseln nur alles verkompliz­ieren – das können erst die Erfahrunge­n der nächsten Monate weisen.

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