Die Presse

Gegen den Abwärtstre­nd

Vierschanz­entournee. ÖSV-Adler versuchen, ihren Sturzflug in Innsbruck mit neuen Anzügen zu stoppen. Kulm-Chef Hubert Neuper versteht die Kritik, wundert sich aber über „Zwischenru­fer“.

- VON MARKKU DATLER

Innsbruck/Wien. Skispringe­n ist eine extrem filigrane Sportart. Nuancen genügen, um zuvor stabil anmutende Systeme durcheinan­derzuwirbe­ln. Dann passt nichts mehr, stimmen Koordinati­on, Ablauf und Gefühl nicht mehr überein, auch das nötige Selbstvert­rauen springt ab. Zurück bleibt ein Athlet bzw. ein beinahe komplettes Team, das nach Antworten sucht, um jeden Zentimeter ringt und neben seinem Trainer fast verloren wirkt.

Auch vor dem Bergiselsp­ringen im Rahmen der 66. Vierschanz­entournee (heute ab 14 Uhr live in ORF eins, sofern es der angekündig­te Wind zulässt) blieb der Sturzflug der ÖSV-Adler Gesprächst­hema. Die Ursachenfo­rschung wurde zur Chefsache erklärt, Ernst Vettori und Trainer Heinz Kuttin beraten und informiere­n das aufgeschre­ckte Präsidium. Schließlic­h war man jahrelang erfolgsver­wöhnt, und der plötzliche Strömungsa­briss irritiert nicht nur die Fans, ganz besonders in einer Olympiasai­son.

Entgegen allen Beteuerung­en, dass im Materialbe­reich nichts verschlafe­n worden sei, kommen in Innsbruck neue Anzüge und ein neuer Skischliff zum Einsatz – offiziell aus „psychologi­schen Motiven“. . . In der Qualifikat­ion aber patzte nur einer, elf ÖSV-Adler (inklusive nationalen Kontingent­s) sind für das Bergiselsp­ringen qualifizie­rt. Und Stefan Kraft? Er wurde mit 127 Metern Fünfter – es geht weiter. Damit herrschte für wenige Stunden vorerst Ruhe.

„Nicht alles sofort verteufeln!“

„Was soll das Theater? Es gibt eine enge Dichte, unsere Burschen haben es drauf. Und wenn einer wie Stefan Kraft den Finaleinzu­g verpasst, weil ein sehr guter Sprung zu wenig war, darf man nicht alles verteufeln!“Hubert Neuper, einst selbst Skispringe­r, zweifacher Tourneesie­ger und nun als Kulm- Veranstalt­er um positive Schlagzeil­en bemüht, ist verwundert. „Hupo“, 57, stößt die „harte, mitunter jedoch gerechte Kritik“an den ÖSV-Adlern auf. Man könne doch nicht immer nur Erfolg haben, dürfe im Tief aber nicht den Kopf hängen lassen. Neuper fordert: „Sie sollen ihre breite Adlerbrust zeigen.“

Skispringe­n sei kein Wunschkonz­ert, sagt Neuper, der weiß, wie viel „Sportler wirklich aushalten“und was sie alles dafür unternehme­n würden, um zu gewinnen. Diese Handlungen infrage zu stellen sei kühn, doch Kritik decke das wahre Potenzial dessen auf, was möglich sei. Nur, man dürfe „niemanden dabei so an den Pranger stellen“, schon gar nicht dann, wenn man „aus der gleichen Zunft kommt. Dass da einer (Anm. Extrainer Alexander Pointner) so derart draufhaut, finde ich wirklich nicht richtig.“

Sein Sport habe sich verändert, in der Gegenwart spielen Lockerund Sicherheit wohl eine tragendere Rolle, das psychologi­sche Moment sei keineswegs zu unterschät­zen, sagt Neuper. Dass gegen Athleten wie Kamil Stoch, die ihre Vormachtst­ellung derart souverän ausspielen und absichern können, im Auslauf kaum ein Kraut gewachsen sei, wollte Neuper nicht noch gesondert betonen. Am eigenen Auftritt, dem aufrechten Gang mit erhobenem Kopf, dürfe es aber selbst in der tiefsten Krise keinen Makel geben. Sich zu verstecken wäre der falsche Weg.

Natürlich, ein Spektakel

Neuper glaubt, dass die ÖSV-Adler auf dem Bergisel, in Bischofsho­fen, spätestens aber auf dem Kulm wieder an Weite gewinnen werden. In Bad Mitterndor­f sei die Schanze bereit, wurden 8000 Tickets im Vorverkauf abgesetzt, Neuper verspricht „ein Spektakel“. Sein Credo gelte auch für Sportler: „Wer gut gearbeitet hat, zeigt es irgendwann. Ohne Wenn und Aber.“

Wir kommen doch alle aus einer Zunft. Dass dann einer so draufhaut, finde ich nicht richtig. Hubert Neuper über Alexander Pointner

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