Sozialpartnerschaft: Gewinn oder Belastung?
Gastkommentar. Die Kritik an der Sozialpartnerschaft ist zuletzt immer schärfer geworden. Viele fragen sich, ob sie überhaupt noch eine Zukunft hat. Überleben kann sie längerfristig wohl nur, wenn sie grundlegend reformiert wird.
Der österreichischen Sozialpartnerschaft geht es ähnlich wie der österreichischen Neutralität. Ihre Bedeutung und ihre Verdienste in der Vergangenheit sind allgemein anerkannt, wenngleich auch möglicherweise überschätzt, wie kritische Geister anmerken. Aktuelle und zukunftsbesorgte Beurteilungen klingen dagegen weniger freundlich: retro, erstarrt, visionslos, von den europäischen und globalen Entwicklungen überrollt und überholt und den vor uns stehenden Herausforderungen des digitalen Zeitalters nicht gewachsen. Kurz gesagt, die Sozialpartnerschaft habe sich von einem Gewinn für die österreichische Wirtschaft zu einer Belastung gewandelt.
Tatsächlich war die Sozialpartnerschaft jahrzehntelang, oft unter widrigen Rahmenbedingungen, eine wichtige Stütze des rasanten internationalen Aufholprozesses Österreichs. Und sie hat danach die weitere Europäisierung und Internationalisierung der österreichischen Wirtschaft mitgetragen – gekrönt durch den von der Sozialpartnerschaft unterstützten Beitritt zur Europäischen Union 1995 und zur Wirtschafts- und Währungsunion 1999.
Erfolgreicher Politikmix
Die Sozialpartnerschaft besteht aus vier Institutionen (Arbeiter-, Landwirtschafts- und Wirtschaftskammer mit Pflichtmitgliedschaft und ÖGB) sowie der „lose assoziierten“Industriellenvereinigung. Ihre Bedeutung beruhte von Anfang an auf drei Säulen.
Erstens die mithilfe des Instituts für Wirtschaftsforschung entwickelte gemeinsame Daten- und Faktenbasis für den wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozess.
Zweitens die Rationalisierung der wirtschaftspolitischen Diskussion im sozialpartnerschaftlichen Rahmen des Beirats- für Wirtschafts- und Sozialfragen, der in seiner Blütezeit jedes Jahr mehrere gemeinsame Studien mit fundierten Analysen und Maßnahmenvorschlägen erarbeitete. Drittens eine gesamtwirtschaftlich verantwortungsbewusste Lohnpolitik mit Blick auf die außenwirtschaftlichen Erfordernisse und später ergänzt um die Hartwährungspolitik. Dieser erfolgreiche Politikmix bescherte Österreich ein hohes Maß an sozialem Frieden nahezu ohne Streiks.
Drei Charakteristika der österreichischen Sozial partnerschaft weichen vom europäischen Mainstream ab. Erstens die gesetzliche Pflicht mitgliedschaft im Wesentlichen aller Arbeitnehmer, Unternehmen und Landwirte. Zweitens die formelle und informelle Involvierungd er Sozial partnerschaft in eine breite Palette von Politikfeldern jenseits ihrer Kernaufgaben (Kollektiv verträge, Einkommenspolitik, Arbeitsbedingungen, Arbeitnehmerschutz). Drittens die enge V erquickung aller vier Sozialpartner institutionen mit einer der beiden langjährigen Regierung sparteienÖVP( Wirt schafts-und Landwirt schafts kammer) und SPÖ (Arbeiter kammer und Gewerkschaftsbund ). Das führte aus parteipolitischen Gründen oft zu suboptimalen Entscheidungen für den Wirt schafts standort.
Zerbröckelnder Grundkonsens
Globalisierung und europäische Integration haben wichtige Bereiche der bisherigen Wirtschaftsund Sozialpolitik de jure und de facto der nationalen Kontrolle ent- zogen und damit auch der Sozialpartnerschaft – und so deren Geschäftsgrundlage massiv verändert. Der klassische sozialpartnerschaftliche Do-ut-des-Kompromiss – etwa „Tausche sechste Urlaubswoche gegen flexiblere Arbeitszeit“–, häufig garniert mit der Forderung nach zusätzlichen Mitteln, ließ sich immer weniger mit Budgetrestriktionen und den Bedürfnissen der im globalen Wettbewerb stehenden und einem rasanten Strukturwandel ausgesetzten Unternehmen vereinbaren.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Welt der Unternehmer (von digitalen Start-ups und Konzernen bis zu neuen Selbstständigen) wie auch die der Arbeitnehmer (prekäre Jobs, verliehene und entsendete Arbeitskräfte) immer heterogener werden.
Der Grundkonsens über die längerfristigen existenziellen Prioritäten für den Wirtschaftsstandort Österreich zerbröckelt zusehends. Das spiegelt sich auch im Bedeutungsverlust der Beiratsarbeit wider, in einer endlosen und unfruchtbaren Diskussion über Neoliberalismus und Keynesianismus, in zunehmenden Kontroversen über die vier Freiheiten des Euro- päischen Binnenmarkts und über die Liberalisierung globaler Handels- und Investitionsströme sowie nicht zuletzt in einer Verschleppung bzw. Blockade notwendiger Strukturreformen. Diese betreffen insbesondere die Bereiche Bildung, Immigration, Forschung und Innovation, Digitalisierung, Finanzierung der Sozialsysteme, Steuersystem, Staats- und Bürokratiereform und Erweiterung des unternehmerischen Freiraums.
Die „Fouls“mehren sich
Darauf fokussiert sich die aktuelle Kritik an der Sozialpartnerschaft und mündet in die Forderung nach ihrem Umbau zu einer „Zukunftspartnerschaft“. Deren Kernaufgabe müsste es sein, an der Konzeption und der Umsetzung einer breit angelegten Reformagenda für den Wirtschaftsstandort mitzuwirken und damit das österreichische Wirtschafts- und Sozialsystem langfristig abzusichern.
Stattdessen mehren sich in jüngster Zeit die „Fouls“innerhalb der Sozialpartnerschaft, wie etwa der ohne Absprache mit den Arbeitgebern im Parlament gefasste Beschluss zur Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten.
Leider konzentriert sich die aktuelle Diskussion über die Reform der Sozial partnerschaft einseitig auf Beitragshöhe und Abschaffung der Pflicht mitgliedschaft. Letztere hat durchaus ihre Meriten: hohe Legitimation, Konzentration der Interessenvertretung, interner Interessenausgleich, stärkere Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Aspekte.
Viel wichtiger aber wäre, zunächst die institutionelle und personale Verquickung zwischen den einzelnen Sozial partner institutionen und den politischen Parteien und Einrichtungen massiv zurückzu drängen, etwa durchUnv er einbarkeits regeln und Reduktion auf beratende Funktionen in Gremien. Überlegens wert wäre die Schaffung eines„ Wirt schafts-und Sozial rats“für den institutionalisierten Dialog mit der Regierung.
Verlagerung der Kompetenzen
Zweitens sollte es zu einer wohlbedachten Verlagerung bestimmter Kompetenzen von der Makro ebene der Sozial partnerschaft( Kollektiv vertrag) auf diebetrie blich eMikro ebene( Betriebsrat/ Unternehmensleitung) kommen, wo beiden Gewerkschaften eine Beratungsund Monitor ing kompetenz und dafür notwendige In format ionsrechte zu kämen.
Gerade die vorhin erwähnte Heterogenität der Klientel auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmer seite führt detaillierte, Hunderte Seiten umfassende Kollektiv vertrags regelungen ad absurdum und legt nahe, Sozialpartner-Entscheidungen verstärkt dorthin zu verlagern, wo den jeweiligen besonderen Gegebenheiten Rechnung getragen werden kann: in die Unternehmen.