Viktor Or\an´ sieht das Jahr der Konfrontationen auf die EU zukommen
Ungarn/Polen. Beim Besuch des neuen polnischen Premiers Morawiecki in Ungarn erwartete man starke Worte Richtung Brüssel. Diese lieferte aber nur Viktor Orb´an.
Budapest. Viel war über das Treffen schon im Vorfeld geschrieben worden: Polens neuer Ministerpräsident, Mateusz Morawiecki, begab sich auf seiner ersten Auslandsreise demonstrativ nach Budapest. Das Signal, so deuteten es die Experten einhellig, war als kämpferische Botschaft in Richtung Brüssel gedacht. Die EU-Kommission hat erstmals in der Geschichte der Union das sogenannte Artikel-7-Verfahren aktiviert, mit dem einem Land, dessen Regierung demokratische Grundwerte „nachhaltig gefährdet“, die Stimmrechte in den europäischen Institutionen entzogen werden können. Dafür bedarf es aber einer einstimmigen Entscheidung, und Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orban,´ hatte gleich nach der Brüsseler Entscheidung gesagt, Ungarn werde das nicht zulassen und die Polen schützen.
Insofern erwartete man bei der gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Männer jede Menge Säbelrasseln in Richtung Brüssel, aber das blieb komplett aus. Keiner von beiden erwähnte es in seinen einführenden Bemerkungen. Keiner von beiden erwähnte es im Rahmen einer Antwort auf eine Journalistenfrage. Und keiner der fragenden Journalisten – nur Vertreter von regierungsfreundlichen Medien beider Länder kamen zu Wort – stellte die Frage.
Es war, als hätten sie mit Orban´ und Morawiecki abgesprochen, das Thema nicht zu erwähnen. Ohnehin war bereits alles gesagt, und vielleicht war die polnische Seite bedacht, bei allem Selbstbewusstsein nicht unnötig Öl ins Feuer zu gießen. Morawiecki sagte sogar, Polen verteidige „europäische Werte“, und er formulierte das kunstvoll, ohne im selben Atemzug „national“oder „christlich“zu sagen. In der Debatte um die Deutungshoheit darüber, was „europäische Werte“sind, zählt die Wortwahl sehr: Orban´ spricht – und sprach auch diesmal – selten alleinstehend von „europäischen Werten“, sondern nennt stets die „christlichen Werte“Europas und die Werte der Nationalstaaten als jene, die Europa ausmachen.
„Migrationspolitik ist gescheitert“
Letztlich sei es bei dem Treffen um die Wirtschaftsbeziehungen gegangen, sagten die beiden Regierungschefs. Orban´ betonte, die Volkswirtschaften der mitteleuropäischen Länder, allen voran Polens und Ungarns, gehörten zu den Dingen in der EU, die „gut funktionieren“. Deutschlands Handel mit der Region sei beispielsweise deutlich umfangreicher als der zwischen Deutschland und Frankreich. In Ungarn stehen demnächst Parlamentswahlen an, und so forcier- te Orban´ das Thema, das ihm beim heimischen Publikum immer Beifall bringt: Die Migrationspolitik der EU, so sagte er, sei „spektakulär gescheitert“. Ungarn werde seine Grenzen weiterhin schützen – mit polnischer Hilfe.
Morawiecki pflichtete ihm bei, überließ es aber Orban,´ so richtig gegen die EU vom Leder zu ziehen. Man wolle nicht in einem „Imperium“leben, sagte Orban´ über die Union, „sondern in einem Bündnis freier Länder“. Er sagte voraus, dass 2018 ein Jahr großer Konfrontationen auf der europäischen Bühne sein werde, zunächst im März und dann wieder im Sommer, wenn „eine große Anzahl von Mitgliedstaaten“eine für alle EU-Länder gültige Asylpolitik erzwingen wolle – inklusive einer Umverteilung von Flüchtlingen in Europa. Das lehnen die Mitteleuropäer weiterhin ab.
„Wie tief ist der Wandel in Österreich?“
Orban´ und Morawiecki sagten erneut, dass die Visegrad-´Gruppe (die V4: Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) keine weiteren Mitglieder aufnehmen wolle, etwa Österreich. Das war nichts Neues, sondern immer schon der Standpunkt der V4 – nur in Österreich war das Thema einer Erweiterung von der FPÖ ins Spiel gebracht worden. Bemerkenswerter war ein anderer Satz Orbans´ zur Wahl von Sebastian Kurz zu Österreichs Bundeskanzler. Es sei noch zu früh, um erkennen zu können „wie tief der Wandel in Österreich tatsächlich ist“, sagte er. Ob es beispielsweise nur ein Wandel an der Oberfläche sei, auf der Ebene der politischen Eliten, oder ein gesellschaftlich tiefer verankerter Paradigmenwechsel. Das werde sich erst im Laufe der Zeit zeigen, und im persönlichen Kontakt mit der österreichischen Seite, mit der man sich intensiv austauschen wolle.
In ungarischen Regierungskreisen ist man zwar hocherfreut über Kurz und will mit ihm eng zusammenarbeiten. Zugleich aber kommt gelegentlich die Frage auf, ob man sich auf ihn „weltanschaulich wirklich verlassen“könne.