Regierungspläne treffen Ältere
Arbeitslose. Der „Presse“liegen neue Zahlen über die Notstandshilfe vor. Diese zeigen, dass von der geplanten Abschaffung ältere Menschen besonders stark betroffen wären.
Wien. Zunächst die gute Nachricht: Wie bei den Arbeitslosen ist im Vorjahr auch die Zahl der Menschen gesunken, die Notstandshilfe beantragt haben. Dies zeigt eine Sonderauswertung, die das Arbeitsmarktservice (AMS) für die „Presse“vorgenommen hat. Die offiziellen Zahlen über die Notstandshilfebezieher für 2017 werden erst im März veröffentlicht. Doch aus den Zahlen für die ersten drei Quartale 2017 ist bereits ein klarer Trend erkennbar: Von Jänner 2017 bis September 2017 ist die Zahl der Notstandshilfebezieher in fast allen Altersgruppen zurückgegangen – besonders stark war das Minus bei den jungen Menschen.
Nur bei den über 50-Jährigen gab es erneut einen Anstieg. In Summe gibt es zudem bereits seit 2014 mehr Notstandshilfebezieher als Personen, die das Arbeitslosengeld ausbezahlt bekommen (siehe Grafik). Von der von der Regierung angedachten Abschaffung der Notstandshilfe wären somit vor allem ältere Langzeitarbeitslose betroffen.
Laut Sonderauswertung des AMS war von Jänner bis September 2017 durchschnittlich jeder dritte Notstandshilfebezieher älter als 50. Das Argument von ÖVP und FPÖ, dass bei sinkender sozialer Abfederung der Anreiz steigt, einen Job anzunehmen, dürfte auf die 50-plus-Generation allerdings nur bedingt zutreffen. Trotz Konjunkturbooms ist im Vorjahr die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen um drei Prozent gestiegen, während sie bei den Jugendlichen unter 25 Jahren um 6,7 Prozent und bei den Menschen im Haupterwerbsalter (25 bis 49 Jahre) um 4,4 Prozent gesunken ist.
Ausgaben für Notstand steigen massiv
Die Notstandshilfe ist eine Anschlussleistung an das Arbeitslosengeld und somit eine wichtige Sozialleistung. Derzeit erhalten Menschen, die arbeitslos werden und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, für mindestens 20 Wochen Arbeitslosengeld. Der Grundbetrag macht 55 Prozent des früheren Nettoeinkommens aus, eventuell erhöht durch Familienzuschlag und Ergänzungsbetrag. Wer nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes noch keinen Job hat, kann die Notstandshilfe beantragen. Diese beträgt maximal 95 Prozent des vorher bezogenen Grundbetrags des Arbeitslosengeldes. Die Notstandshilfe wird grundsätzlich ein Jahr lang gewährt, kann aber immer wieder ver- längert werden. Mit 75.810 Personen gab es die meisten Notstandshilfebezieher in Wien, gefolgt von Niederösterreich und der Steiermark. Die meisten Notstandshilfebezieher sind österreichische Staatsbürger.
Die Notstandshilfebezieher erhielten 2016 durchschnittlich 747,1 Euro im Monat. Das Arbeitslosengeld lag bei 941,3 Euro im Monat. Wer zu wenig Notstandshilfe bekommt, kann auf die Mindestsicherung aufstocken. Das nahmen 2016 aber nur 34.165 Personen in Anspruch. Denn anders als bei der Notstandshilfe greift der Staat bei der Mindestsicherung auf das Vermögen der Antragsteller zu.
Nach dem Aus für den Beschäftigungsbonus und die Aktion 20.000 will die Regierung nun auch mit der Abschaffung der Notstandshilfe Geld sparen, denn seit 2010 schossen die Ausgaben für diesen Bereich in die Höhe. 2010 wurden 820,57 Millionen Euro für die Notstandshilfe ausgegeben. 2016 waren es bereits 1,472 Milliarden. Dabei darf aber nicht vergessen werden: Viele ältere Menschen fallen jetzt unter die Notstandshilfe, weil die Zugänge zur Frühpension verschärft wurden.
Neben den Bemühungen der Politik, das faktische Pensionsantrittsalter zu erhöhen, ist auch die demografische Entwicklung zu berücksichtigen: Die Menschen werden immer älter. Konkret ist von 2008 bis 2016 die Zahl der unselbstständig Beschäftigen, die älter als 50 Jahre sind, um mehr als 300.000 Personen gestiegen. Die Ausweitung des Arbeitskräfteangebots in diesem Alterssegment führte wiederum dazu, dass sich die Zahl der über 50-jährigen Arbeitslosen ebenfalls stark erhöht hat.
Die entscheidende Frage lautet daher: Wie können ÖVP und FPÖ die Wirtschaft unterstützen, damit mehr ältere Menschen ins Erwerbsleben integriert werden? Denn im internationalen Vergleich ist in Österreich die Erwerbsbeteiligung der Älteren noch immer niedrig.
Kommt Hartz IV oder doch nicht?
Eine weitere Frage ist der Umgang mit Langzeitarbeitslosen. In Deutschland wurde die Zahl der „chronischen“Arbeitslosen durch die Hartz-IV-Reformen drastisch reduziert, wie eine am gestrigen Dienstag veröffentlichte Studie zeigt. Galten in Deutschland im Jahr 2006 noch 2,6 Millionen Menschen als „chronisch“arbeitslos, waren es 2015 nur 1,2 Millionen. Als Grund sehen Experten die Hartz-IV-Reformen und die gute Konjunkturentwicklung. SPÖ und Grüne befürchten, dass Langzeitarbeitslose nach Abschaffung der Notstandshilfe nur noch die Mindestsicherung bekommen, was dem deutschen Hartz-IV-Modell gleichkommt.
Auch die Bundesländer laufen dagegen Sturm. Denn die Notstandshilfe ist eine Bundesleistung, während die Länder für die Mindestsicherung zuständig sind. Eine Reform könnte vor allem das „rote“Wien treffen. Aber auch Vorarlbergs Landeshauptmann, Markus Wallner (ÖVP), äußerte sich dazu am Dienstag kritisch.
Bei dem Thema werden zunehmend Differenzen zwischen ÖVP und FPÖ erkennbar: Die neue Sozialministerin, Beate Hartinger-Klein (FPÖ), erklärte am Dienstag erneut, dass auch künftig das Vermögen von Langzeitarbeitslosen nicht angetastet werden soll. ÖVP-Klubobmann August Wöginger schloss hingegen einen solchen Schritt nicht aus. Ein Sozialabbau würde viele FPÖWähler treffen. Daher versucht nun FPÖChef Heinz-Christian Strache seine Anhänger über Facebook zu beruhigen.