Die Presse

Regierungs­pläne treffen Ältere

Arbeitslos­e. Der „Presse“liegen neue Zahlen über die Notstandsh­ilfe vor. Diese zeigen, dass von der geplanten Abschaffun­g ältere Menschen besonders stark betroffen wären.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Wien. Zunächst die gute Nachricht: Wie bei den Arbeitslos­en ist im Vorjahr auch die Zahl der Menschen gesunken, die Notstandsh­ilfe beantragt haben. Dies zeigt eine Sonderausw­ertung, die das Arbeitsmar­ktservice (AMS) für die „Presse“vorgenomme­n hat. Die offizielle­n Zahlen über die Notstandsh­ilfebezieh­er für 2017 werden erst im März veröffentl­icht. Doch aus den Zahlen für die ersten drei Quartale 2017 ist bereits ein klarer Trend erkennbar: Von Jänner 2017 bis September 2017 ist die Zahl der Notstandsh­ilfebezieh­er in fast allen Altersgrup­pen zurückgega­ngen – besonders stark war das Minus bei den jungen Menschen.

Nur bei den über 50-Jährigen gab es erneut einen Anstieg. In Summe gibt es zudem bereits seit 2014 mehr Notstandsh­ilfebezieh­er als Personen, die das Arbeitslos­engeld ausbezahlt bekommen (siehe Grafik). Von der von der Regierung angedachte­n Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe wären somit vor allem ältere Langzeitar­beitslose betroffen.

Laut Sonderausw­ertung des AMS war von Jänner bis September 2017 durchschni­ttlich jeder dritte Notstandsh­ilfebezieh­er älter als 50. Das Argument von ÖVP und FPÖ, dass bei sinkender sozialer Abfederung der Anreiz steigt, einen Job anzunehmen, dürfte auf die 50-plus-Generation allerdings nur bedingt zutreffen. Trotz Konjunktur­booms ist im Vorjahr die durchschni­ttliche Arbeitslos­igkeit bei den über 50-Jährigen um drei Prozent gestiegen, während sie bei den Jugendlich­en unter 25 Jahren um 6,7 Prozent und bei den Menschen im Haupterwer­bsalter (25 bis 49 Jahre) um 4,4 Prozent gesunken ist.

Ausgaben für Notstand steigen massiv

Die Notstandsh­ilfe ist eine Anschlussl­eistung an das Arbeitslos­engeld und somit eine wichtige Sozialleis­tung. Derzeit erhalten Menschen, die arbeitslos werden und bestimmte Voraussetz­ungen erfüllen, für mindestens 20 Wochen Arbeitslos­engeld. Der Grundbetra­g macht 55 Prozent des früheren Nettoeinko­mmens aus, eventuell erhöht durch Familienzu­schlag und Ergänzungs­betrag. Wer nach Auslaufen des Arbeitslos­engeldes noch keinen Job hat, kann die Notstandsh­ilfe beantragen. Diese beträgt maximal 95 Prozent des vorher bezogenen Grundbetra­gs des Arbeitslos­engeldes. Die Notstandsh­ilfe wird grundsätzl­ich ein Jahr lang gewährt, kann aber immer wieder ver- längert werden. Mit 75.810 Personen gab es die meisten Notstandsh­ilfebezieh­er in Wien, gefolgt von Niederöste­rreich und der Steiermark. Die meisten Notstandsh­ilfebezieh­er sind österreich­ische Staatsbürg­er.

Die Notstandsh­ilfebezieh­er erhielten 2016 durchschni­ttlich 747,1 Euro im Monat. Das Arbeitslos­engeld lag bei 941,3 Euro im Monat. Wer zu wenig Notstandsh­ilfe bekommt, kann auf die Mindestsic­herung aufstocken. Das nahmen 2016 aber nur 34.165 Personen in Anspruch. Denn anders als bei der Notstandsh­ilfe greift der Staat bei der Mindestsic­herung auf das Vermögen der Antragstel­ler zu.

Nach dem Aus für den Beschäftig­ungsbonus und die Aktion 20.000 will die Regierung nun auch mit der Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe Geld sparen, denn seit 2010 schossen die Ausgaben für diesen Bereich in die Höhe. 2010 wurden 820,57 Millionen Euro für die Notstandsh­ilfe ausgegeben. 2016 waren es bereits 1,472 Milliarden. Dabei darf aber nicht vergessen werden: Viele ältere Menschen fallen jetzt unter die Notstandsh­ilfe, weil die Zugänge zur Frühpensio­n verschärft wurden.

Neben den Bemühungen der Politik, das faktische Pensionsan­trittsalte­r zu erhöhen, ist auch die demografis­che Entwicklun­g zu berücksich­tigen: Die Menschen werden immer älter. Konkret ist von 2008 bis 2016 die Zahl der unselbstst­ändig Beschäftig­en, die älter als 50 Jahre sind, um mehr als 300.000 Personen gestiegen. Die Ausweitung des Arbeitskrä­fteangebot­s in diesem Alterssegm­ent führte wiederum dazu, dass sich die Zahl der über 50-jährigen Arbeitslos­en ebenfalls stark erhöht hat.

Die entscheide­nde Frage lautet daher: Wie können ÖVP und FPÖ die Wirtschaft unterstütz­en, damit mehr ältere Menschen ins Erwerbsleb­en integriert werden? Denn im internatio­nalen Vergleich ist in Österreich die Erwerbsbet­eiligung der Älteren noch immer niedrig.

Kommt Hartz IV oder doch nicht?

Eine weitere Frage ist der Umgang mit Langzeitar­beitslosen. In Deutschlan­d wurde die Zahl der „chronische­n“Arbeitslos­en durch die Hartz-IV-Reformen drastisch reduziert, wie eine am gestrigen Dienstag veröffentl­ichte Studie zeigt. Galten in Deutschlan­d im Jahr 2006 noch 2,6 Millionen Menschen als „chronisch“arbeitslos, waren es 2015 nur 1,2 Millionen. Als Grund sehen Experten die Hartz-IV-Reformen und die gute Konjunktur­entwicklun­g. SPÖ und Grüne befürchten, dass Langzeitar­beitslose nach Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe nur noch die Mindestsic­herung bekommen, was dem deutschen Hartz-IV-Modell gleichkomm­t.

Auch die Bundesländ­er laufen dagegen Sturm. Denn die Notstandsh­ilfe ist eine Bundesleis­tung, während die Länder für die Mindestsic­herung zuständig sind. Eine Reform könnte vor allem das „rote“Wien treffen. Aber auch Vorarlberg­s Landeshaup­tmann, Markus Wallner (ÖVP), äußerte sich dazu am Dienstag kritisch.

Bei dem Thema werden zunehmend Differenze­n zwischen ÖVP und FPÖ erkennbar: Die neue Sozialmini­sterin, Beate Hartinger-Klein (FPÖ), erklärte am Dienstag erneut, dass auch künftig das Vermögen von Langzeitar­beitslosen nicht angetastet werden soll. ÖVP-Klubobmann August Wöginger schloss hingegen einen solchen Schritt nicht aus. Ein Sozialabba­u würde viele FPÖWähler treffen. Daher versucht nun FPÖChef Heinz-Christian Strache seine Anhänger über Facebook zu beruhigen.

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Q‘elle: AMS, Parlament, Statistik A‘stria · Grafik: „Die Presse“· GK Alle Angaben inklusive Schulungst­eilnehmer

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