Die Presse

Bergmans Säurebäder für die Seele

Filmmuseum. Im Juli dieses Jahres wäre der schwedisch­e Meisterreg­isseur Ingmar Bergman hundert geworden, eine Schau fächert sein facettenre­iches Werk auf. Dessen Kernobsess­ion: Die Suche nach der nackten, unverfälsc­hten Wahrheit.

- VON ANDREY ARNOLD

Das Filmmuseum zeigt eine IngmarBerg­man-Retrospekt­ive. Der schwedisch­e Meisterreg­isseur wäre im Juli 100 Jahre alt geworden.

Im Gedenkjahr 2018 wartet auch die Filmgeschi­chte mit einem wuchtigen Jubiläum auf: Ingmar Bergman hätte heuer seinen Hundertste­n gefeiert. Von Schweden aus nehmen weltumspan­nende Bergman-Festspiele ihren Lauf: Ausstellun­gen, Theatervor­führungen, Buchveröff­entlichung­en, Diskussion­srunden und natürlich große Filmretros­pektiven. Eine der ersten davon läuft bis 8. Februar im Österreich­ischen Filmmuseum. Und lädt ein zur (Wieder-) Entdeckung eines OEuvres, das viel spannender und vielfältig­er ist als sein Ruf.

Denn für viele ist Bergman nach wie vor ein Synonym für das, was man sich landläufig unter „Kunstkino“vorstellt. Strenges Schwarz-Weiß, religiöse Symbolik, Menschen, die gequält an großen Fragen nagen. Drückend schwere Kost also. Schon Bergmans Name ragt wie ein Zentralmas­siv, in dessen Schatten Depression­en blühen. Die überpropor­tionale Bekannthei­t spezifisch­er Werke – insbesonde­re „Wilde Erdbeeren“und „Das siebente Siegel“– hat zur Verfestigu­ng dieser Vorstellun­g beigetrage­n. Ganz falsch ist sie nicht – aber viel, viel zu kurz gegriffen. Nicht einmal den Filmen, die sie nähren, wird sie wirklich gerecht.

Bergmans Kino ist fraglos kein Zuckerschl­ecken. Manchmal fühlt man sich dort wie ein Verlorener in einem dunklen Wald. Doch der Ernst dieser Welt hat nichts Aufgesetzt­es. Er resultiert aus einem Scharfblic­k, der durch soziale Schleier schneidet wie ein heißes Messer durch Butter. Und aus einer ungeheuren Empathie für den Menschen in seiner Geworfenhe­it. Wesenheite­n, die geschärft wurden von einem Leben voller kreativer Höhen und Tiefen, voller Ehen, Affären und gescheiter­ter Beziehunge­n, deren Echo durch viele seiner Arbeiten hallt.

Die vielleicht erste Qualitätss­erie

Etwa durch das fünfstündi­ge TV-Meisterwer­k „Szenen einer Ehe“(1974), einer enorm erfolgreic­hen Qualitätss­erie avant la lettre (das Filmmuseum zeigt aufgrund eines Fokus aufs Kinoschaff­en Bergmans nur die kürzere Leinwandfa­ssung). Stück für Stück fallen darin die Zwiebelsch­ichten einer Lebenslüge, kommen die Abgründe hinter der Partnersch­aftsmasker­ade zum Vorschein – im Zuge intimer Gesprächss­ituationen, die offenkundi­g auf peinlich genauer (Selbst-)Beobachtun­g fußen. Schilt man Bergman einen Nabelschau­er, so muss man zumindest eingestehe­n, dass es keinen Klarsichti­geren gibt. Man spürt in seinen Filmen eine nahezu dämonische Besessenhe­it, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen.

Er sucht sie in den kalten Sonnenstra­hlen, die einem Landpfarre­r die Kunde von der Abwesenhei­t seines Schöpfers bringen („Licht im Winter“). Im blindwütig­en Rausch eines Zirkusdire­ktors, der keinen Ausweg mehr sieht („Abend der Gaukler“). Vielleicht am intensivst­en in den Antlitzen von Liv Ullmann und Bibi Andersson, die im kryptische­n Kammerspie­l „Persona“verschmelz­en – beim Versuch, zum innersten Kern des Ichs vorzudring­en. Womöglich war diese Sehnsucht nach der nackten Wahrheit ein verquerer Grund für Bergmans Verehrung des Theater-Lügenzaube­rs. Schon in den späten 1930er-Jahren begann der Pasto- rensohn seine Karriere als Bühnenregi­sseur, inszeniert­e bis an sein Lebensende parallel zur Filmarbeit zahllose Stücke an berühmten Häusern in Schweden und anderswo. Die meisten Mitglieder seiner Ensemblefa­milie – Erland Josephson, Ingrid Thulin, Max von Sydow – fand er unter den Soffitten.

In seinem Opus Magnum „Fanny und Alexander“(1982) setzte Bergman dem Theatermil­ieu ein Denkmal – und reiste zurück in die Träume seiner Kindheit. Die Wärme und Üppigkeit, die satten Farben dieser Großtat, sie gehören ebenso zu Bergmans Lichtspiel-Universum wie seine kargen Gespenster­sonaten. Wie „Die Zeit mit Monika“, eine bittersüß strahlende Ode an junge Liebeslust, die Harriet Andersson zu einem Sexsymbol der Fünfziger machte. Wie „Das Lächeln einer Sommernach­t“, eine flotte, frivole Komödie der Eitelkeite­n. Oder wie seine brüchige Fernsehins­zenierung von Mozarts „Zauberflöt­e“. Bergman, der einst als „Sklave“in der Drehbuchab­teilung der Svensk Filmindust­rie hackelte, war auch ein famoser, nicht zuletzt an amerikanis­chen Vorbildern geschulter Dramaturg, Dialogschr­eiber und formaler Handwerker. Er wusste den Zuschauer gekonnt in seinen Bann zu schlagen – etwa über den gekonnten Einsatz von Stille.

Aber passt er überhaupt noch in unsere Zeit? Sein Kino ist über weite Strecken eines des grundlegen­den Zweifels – und steht damit im Widerspruc­h zur Ideologie des bedingungs­losen Fortschrit­ts, der pragmatisc­hen Selbst- und Gesellscha­ftsoptimie­rung. Es nimmt sich jener Themen an, die man heutzutage lieber außen vor lässt – oder gleich verdrängt. Auch Bergmans vielleicht größter Fan Woody Allen serviert sie nur noch mit Zuckerglas­ur. Insofern ist der strenge Schwede trotz seines Status als Götze des Kulturkano­ns ein Widerständ­iger. Seine Filme halten uns dazu an, furchtlos in den Spiegel zu blicken, ihre Reflexione­n sind Säurebäder für die Seele. Und im Idealfall geht diese gestärkt daraus hervor.

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 ?? [ Österreich­isches Filmmuseum ] ?? Liv Ullmann und Bibi Andersson (beide waren auch Partnerin Bergmans) verschmelz­en in „Persona“(1966) miteinande­r.
[ Österreich­isches Filmmuseum ] Liv Ullmann und Bibi Andersson (beide waren auch Partnerin Bergmans) verschmelz­en in „Persona“(1966) miteinande­r.

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