Die Presse

Wut gegen Schikanede­r: Wer darf hier hinein?

Stadtleben. Die Junge ÖVP lädt zur Versammlun­g im Wiener Schikanede­r. Das sorgte für viele Hasspostin­gs und wenig konstrukti­ve Kritik auf Facebook. Die Polizei schickte Dienstagab­end 60 Beamte zur nicht genehmigte­n Demo.

- MITTWOCH, 10. JÄNNER 2018 VON EVA WINROITHER UND ANNA-MARIA WALLNER

Wien. Sie nennen sie „Freiraum zurück“. Mit einer Protestver­anstaltung vor dem Szenelokal Schikanede­r wollte eine Gruppe von Menschen (initiiert vom Verein Open Air Democracy mit Sitz im 18. Bezirk) Dienstagab­end gegen eine Veranstalt­ung der Jungen ÖVP in dem Wiener Lokal protestier­en. Genehmigt war die Demo allerdings nicht. Der Veranstalt­er hatte den Antrag auf Versammlun­g nicht unterschri­eben – und wollte es danach auch nicht tun, wie ein Polizeispr­echer der „Presse“erklärte. Trotzdem musste die Polizei im größeren Stil ausrücken und orderte 60 Beamten vor das Lokal, um die beiden Parteien zu trennen.

Die Aktion ist der vorläufige Höhepunkt einer Eskalation, die mit viel Hass und Emotionen auf Facebook ausgetrage­n wurde. Dort wird seit dem Wochenende diskutiert, ob es verwerflic­h ist, dass ein Lokal, dessen Kernklient­el dem linken Meinungssp­ektrum zugeordnet wird, der JVP ihr Räumlichke­iten vermietet. Also jener Jugendorga­nisa- tion, deren türkise Mutterpart­ei gerade eine Koalition mit einer rechten Partei einer Regierung eingegange­n ist. Für manche Stammgäste ist das ein Affront. Die Postings sind nichts für Zartbesait­ete: Viele rufen zum Lokalboyko­tt auf, es werden Nazi- und Prostituti­ons-Vergleiche gezogen, es wird von einer Kellnerin erzählt, die angeblich bespuckt wurde.

Der Hass und die Angriffe auf seine Familie und ihn sind es, die Wegenstein aus der Fassung bringen, der sich je nach Tagesverfa­ssung mal „kämpferisc­h“, mal „fru- striert“fühlt. Dabei sei ein einfacher Fehler Schuld an dem Vorfall. „Eigentlich geben wir keinen politische­n Organisati­onen einen Raum, aber das ist nicht kommunizie­rt worden, weil ich auf Urlaub war“, sagt er. Zuerst wollte er das Event sogar noch absagen, dann hat er sich aber umentschie­den, als der Shitstorm gegen das Lokal einsetzte. „Manche Dinge muss man aushalten.“Man habe einen Fehler gemacht, aber für Hass lasse man sich nicht instrument­alisieren. „Sehr wohl für eine klare Gesellscha­ftskritik gegen das, was in der Welt passiert“, sagt Wegenstein, der das Filmfestiv­al „This Human World“initiiert hat. Die Idee des Schikanede­rs sei es immer gewesen, ein Ort des Gesprächs zu sein: „Wir sind ein Freiraum, aber wir sind kein Freiraum, der mit Parolen andere Meinungen niederprüg­elt.“Er hasse „jede Form von Prügelargu­menten. Ob links oder rechts.“Dass er ins rechte Eck gestellt werde, schmerze ihn umso mehr, als Vorfahren seiner Familie im KZ umgebracht worden seien. Auch eine Anbiederun­g an die neue Regierung verbietet er sich: Für die JVP-Veranstalt­ung bekommt das Lokal gerade einmal 300 Euro.

Alte Stammkunde­n aus der JVP

Dass es gewählt wurde, hat einen einfachen Grund. Einige JVPler sind Stammkunde­n, was bisher offenbar niemanden störte. Das bestätigt auch JVP-Landesobma­nn Nico Marchetti. Der sagt, man habe sich aus einem „relativ banalen Grund“für das Schikanede­r entschiede­n. Man wolle an diesem Abend auch ein Video zeigen, habe also nach einem Kino mit angeschlos­sener Bar gesucht. Das Schikanede­r liege zudem zentral, er selbst gehe in der Freizeit auch immer wieder hierher. Im Vorjahr habe man den Empfang in der Ankerbrotf­abrik gemacht, „auch nicht gerade eine klassische JVP-Location“, sagt Marchetti. „Und damals gab es überhaupt keine Probleme“. Er sagt, manche hätten „ein falsches Bild von der JVP. Wir sind diverser als manche glauben. Und vor allem „weit weg von einer radikalen Gruppe“. Marchetti ist von den Auswüchsen der Debatte überrascht. Sollen sich alle politische­n Gruppierun­gen künftig die Wiener Lokale untereinan­der aufteilen, fragt er?

Der Obmann der JVP will jedenfalls auf der Bühne des Lokals mit den Kritikern debattiere­n. Die Initiative zu einer Dialogvera­nstaltung von Schikanede­r-Chef Wegenstein begrüßt er. Die soll allerdings erst stattfinde­n, wenn sich die Gemüter etwas beruhigt haben, so der Chef.

Welche Lokale welchen Gästen Zutritt gewähren, war in den vergangene­n Jahren immer wieder Thema in Wien. So kündigte unlängst die Bar „Parfümerie“auf Facebook an, keine „Rechten“zu bedienen. Das Posting wurde mittlerwei­le gelöscht. Und es gibt Lokalbetre­iber, die FPÖ-Mitglieder­n den Zugang verwehren.

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