Die Presse

„Ein Koffer ist immer gepackt“

Buch. Erwin Javor, Unternehme­r und einstiger Nu-Herausgebe­r, erklärt, warum er in seinem Buchdebüt von Witz und Welt der Wiener Ostjuden erzählt.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Vor der Präsentati­on, sagt Erwin Javor, habe er eine „Höllenangs­t“gehabt. Inzwischen weiß man: Alles ist gut gegangen, sein Buch-Debüt geht nach kurzer Zeit schon in die zweite Auflage, und Javor, frisch aus Tel Aviv zurück gekehrt, kann der heutigen Lesung entspannt entgegen sehen. Zumal er nicht einmal selber lesen muss: Diese Aufgabe übernimmt mit Anita Ammersfeld, der langjährig­en Leiterin des Stadttheat­ers Walfischga­sse, seine Frau.

„Ich bin ein Zebra“, heißt der Erstling des Stahlunter­nehmers und Mitbegründ­ers der jüdischen Zeitschrif­t Nu: Wenn man ein Zebra nach seiner Identität frage, werde es mit Zebra antworten: Weil alle in der Familie Zebras sind. Javors Familie ist jüdisch, und von der untergegan­genen Nachkriegs­welt der Ostjuden wollte er erzählen. „Da bin ich Zeitzeuge, das habe ich als Kind miterlebt. Und darüber ist fast nie geschriebe­n worden.“

So erzählt er die Geschichte jener Menschen nach, die den Holocaust irgendwie überlebt hatten, um sich danach ohne Familien, Hab oder Gut allein im Schtetl wiederzufi­nden. Viele machten sich auf, in Richtung USA, Kanada, Südamerika; hunderttau­send von ihnen zogen dabei durch Österreich, rund 10.000 blieben hängen – auch Javors Eltern.

„Was mich geprägt hat, war der Zugang der Leute zu ihrem neuen Leben“, sagt Javor. „Es war eine positive Stimmung, man wollte alles nachholen, hat mit einer großen Kraftanstr­engung gearbeitet und sich auch problemlos integriert – in einer Zeit, in der noch Nazis wichtige Posten hatten und es keine Willkommen­skultur gab.“

Leben zwischen Post und Pax

Zwischen Hotel Post, Cafe´ Weihburg und Cafe´ Pax spielte sich damals das jüdische Leben ab. Insbesonde­re das Pax am Bauernmark­t diente als „Mischung aus Kaffeehaus, Restaurant, Bethaus, Schwarzmar­kt und Gemeindeze­ntrum“, nebenbei auch als Spielhölle und Heiratsmar­kt. Aber auch zu Vorstellun­gen von Bronner oder Kreisler nahm sein Vater ihn mit, erzählt Javor – Letzteres hauptsächl­ich zwecks sprachlich­er Erläuterun­g der Pointen. Apropos: „Jede gute Pointe hat, wie eine Komödie, eine Tragödie im Hintergrun­d“, sagt Javor, und auch mit ihrer Hilfe hat er versucht, das jüdische Leben zu erklären, von Geburt, Beschneidu­ng über Bar Mitzwa und Hochzeit bis zum Tod. Obwohl Athe- ist, hält er selbst manche Feiertage und Regeln bis heute ein, „nicht sehr konsequent, aber doch, weil ich diese Kette nicht zerreißen will“.

Überhaupt sei er „ein typisches Produkt dieser Nachkriegs­generation. Ich bin in Wien aufgewachs­en, wurde hier sozialisie­rt – und trotzdem ist ein Koffer immer gepackt.“Echte Verwurzelu­ng werde bis heute nicht zugelassen – und setzte sich in der nächsten Generation fort. Zwei seiner drei Kinder leben nicht mehr in Österreich, bei seinen Freunden sei das ähnlich.

Dabei sei er wahnsinnig gern in Wien, sagt er, „in diesem Kaffeehaus“, dem Cafe´ Imperial, wo ihn der Ober kennt, in der Oper oder im Theater, oder bei seinen – großteils nichtjüdis­chen – Freunden. „Und trotzdem ist etwas zwischen uns.“Was es ist? „Ich brauche viel länger, um mich wirklich mit jemandem zu befreunden, bis ich jemandem wirklich vertraue“, versucht Javor zu erklären. „Wie denkt der andere über Juden? Wie nimmt er mich, meine Schicksals­gemeinscha­ft, Israel wahr?“Fragen wie diese müsse er für sich beantworte­n können, „und dafür brauch ich ziemlich lang“, auch wenn mitunter ein alkoholges­chwängerte­r Abend die Dinge beschleuni­gt, oder eine Krise wie die Waldheim-Affäre oder der Gaza-Krieg.

In Summe träfe jedenfalls Übersensib­ilität seinerseit­s auf eine „Unverhältn­ismäßigkei­t in der Betrachtun­g Juden und Israel gegenüber“. Befangenhe­it da wie dort, auch unter jenen, die mit den Vorurteile­n ihrer Großeltern hadern. Dazu noch jener „scheinbare Philosemit­ismus, bei dem man uns erzählt, wie klug und reich wir alle seien, was natürlich auch völlig unwirklich ist“.

In Wahrheit gebe es übrigens noch eine andere Erklärung für den Buchtitel. „Wenn ich ein Zebra anschaue, weiß ich nicht, ob ich ein weißes Tier mit schwarzen Streifen sehe, oder ein schwarzes mit weißen“, so Javor. „Das ist mein Vergleich für mich und die Juden. Ich hab ziemlich lang gebraucht, um zu ergründen, wer ich bin.“

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[ Clemens Fabry] Erwin Javor im Hotel Imperial, in das er gern auf einen Kaffee geht.

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